Japans Premierminister Kishida: Tokio strebt weiterhin Friedensvertrag mit Russland an
“Im Wesentlichen bleibt nur die Frage der Energie übrig. Japan hat entschieden, die Projekte Sachalin 1 und Sachalin 2 nicht aufzugeben, weil es dringend Ressourcen benötigt und es für Tokio keine Alternative gibt. Andernfalls wird Japans gesamter Energiesektor untergehen”, sagte Kistanow. Ihm zufolge sind die Beziehungen zwischen Russland und Japan in jeder anderen Hinsicht zum Erliegen gekommen.
Von Churchill und Roosevelt genehmigt
Auf der Konferenz von Jalta, an der Joseph Stalin, Franklin D. Roosevelt und Winston Churchill teilnahmen, wurde im Februar 1945 vereinbart, die Kurilen und den südlichen Teil von Sachalin der UdSSR zu überlassen. Die UdSSR versprach im Gegenzug, sich spätestens zwei oder drei Monate nach dem Sieg über Nazideutschland dem Krieg im Pazifik anzuschließen. Die südlichen Kurilen wurden zwischen August und September 1945 von sowjetischen Streitkräften eingenommen und ein Jahr später offiziell zum Territorium der UdSSR erklärt.
Japan willigte ein, auf alle Ansprüche auf die Kurilen und Süd-Sachalin zu verzichten, als es das Abkommen von San Francisco unterzeichnete. Jedoch präzisierte der von den USA und Großbritannien ausgearbeitete Text des Abkommens weder, an wen es diese Gebiete abtritt, noch listete er die Namen der einzelnen Inseln auf. Dennoch verzichtete Tokio auf eine Mitsprache über die Zukunft dieser Inseln, weil sonst in der Folge alle 48 Vertragsstaaten sie auch hätten beanspruchen können. Diese Umstände und die Abwesenheit der Volksrepublik China bei der Konferenz führten dazu, dass die sowjetische Delegation sich weigerte, das Abkommen von San Francisco zu unterzeichnen.
Zunächst schien es, als hätte sich Japan damit abgefunden, diese Gebiete verloren zu haben. Kumao Nishimura, Chefunterhändler des japanischen Außenministeriums, bezeichnete den Verlust der Inseln Kunaschir und Iturup vor dem japanischen Parlament als vollendete Tatsachen. Washington, das zu dieser Zeit einen kalten Krieg gegen Moskau begonnen hatte, war jedoch bestrebt, seinem Rivalen ein territoriales Problem zu schaffen. Bei der Erörterung des Abkommens von San Francisco verabschiedete der US-Senat eine Resolution, in der man sich weigerte, irgendwelche sowjetischen Rechte oder Ansprüche auf Gebiete zu akzeptieren, die am 7. Dezember 1941 zu Japan gehörten, einschließlich der Kurilen und sogar Süd-Sachalin. Doch schon bald fand Tokio neue Gründe, um die Hoheit über die südlichen Kurilen zu beanspruchen.
Eine amerikanische Einmischung
Japan und die UdSSR begannen 1956 bilaterale Gespräche in der Hoffnung, eine Einigung zu erzielen. Tokios Forderungen waren zunächst sehr ehrgeizig: Die Zustimmung zur UN-Mitgliedschaft Japans und die Rückgabe aller Gebiete, die 1905 nach dem Russisch-Japanischen Krieg unter japanischer Kontrolle standen, einschließlich Süd-Sachalin und aller Inseln der Kurilen. Der Vorschlag der Sowjetunion hingegen sah vor, Tokio die Kontrolle über die Inseln Schikotan und Habomai zu geben, wenn Japan sich bereit erklären würde, alle zukünftigen territorialen Ansprüche aufzugeben. Shunichi Matsumoto, der Japan bei diesen Gesprächen vertrat, sagte später, dass er “zunächst nicht glauben konnte, was er vernahm” und “sehr darüber erfreut war”.
Nach mehreren Gesprächsrunden schraubte Japan seine Forderungen auf die vier südlichen Inseln zurück. Die Begründung dafür war, dass diese vier Inseln historisch gesehen nicht als Teil der Kurilen betrachtet werden und daher nicht unter das Abkommen von San Francisco fielen. Dies entsprach völlig den Interessen der USA, da Washington nicht wollte, dass das Abkommen verletzt wird. Aber man wollte auch nicht, dass die Sowjetunion die Kontrolle über diesen Teil der Kurilen behält. Washingtons Wunsch war, dass Tokio die Kontrolle über alle vier Inseln erlangen würde, aber die Sowjetunion gab dieser Forderung nicht nach.
Medienbericht: Japan will Hyperschallwaffen auf Inseln Kyushu und Hokkaido stationieren
Als der japanische Außenminister Mamoru Shigemitsu die Empfehlung unterbreitete, Moskaus Vorschlag anzunehmen und der Übertragung der beiden Inseln an Japan zuzustimmen, gefiel das der Führung des Landes nicht. Der stellvertretende Sekretär des Kabinetts, Takizo Matsumoto sagte dazu: “Moskau nahm Einfluss auf Shigemitsu, und das Kabinett beschloss, ihn nach London zu entsenden, wo er sich mit dem Außenminister der USA treffen konnte.”
Bei den Gesprächen in der britischen Hauptstadt drohte die US-Delegation ihren Kollegen aus Tokio und erinnerte sie daran, dass Japan keine legalen Rechte auf die Kurilen hätte und nicht über deren Status mit der UdSSR verhandeln könne. Am 19. August 1956 teilte US-Staatssekretär John Dulles Außenminister Shigemitsu mit, dass im Falle einer Einigung zwischen Moskau und Tokio “Japan der Sowjetunion von der harten Linie, die von den Vereinigten Staaten eingenommen wird, erzählen könnte – dass, wenn die Sowjetunion alle Inseln der Kurilen behalten würde, die Vereinigten Staaten für immer in Okinawa stationiert bleiben könnten und keine japanische Regierung dies überleben werde.”
Diese kaum verhüllte Drohung, getarnt als “freundschaftliche Empfehlung”, brachte die sowjetisch-japanischen Gespräche über die Kurilen effektiv zum Erliegen.
Die Ryūkyū-Inseln südlich von Japan wurden 1945 von US-Truppen eingenommen, wobei ihre größte Insel, Okinawa, bis 1972 unter amerikanischer Administration blieb. Heute unterhalten die USA dort mehrere Militärstützpunkte.
“Natürlich stand Japan bereits in den 1950er Jahren unter amerikanischem Druck, und bis heute besteht unter Historikern kein Konsens darüber, wie diese Situation ausgelegt werden sollte. Aber eines wissen wir mit Sicherheit: die USA waren nicht daran interessiert, der Sowjetunion zu erlauben, ihre Beziehungen zu Japan zu normalisieren, selbst wenn die pro-amerikanischen politischen Kräfte in Japan nicht gegen die Wiederherstellung der Beziehungen zu den Sowjets waren”, erklärte Wladimir Nelidow.
Trotz aller Bemühungen der USA unterzeichneten die UdSSR und Japan jedoch 1956 in Moskau eine gemeinsame Erklärung, die den Kriegszustand zwischen den beiden Ländern formell beendete. Darüber hinaus versprach die Sowjetunion, die Inseln Habomai und Shikotan an Japan zurückzugeben, jedoch erst nach Unterzeichnung eines Friedensvertrags.
Diese großzügige Geste wurde jedoch davon überschattet, dass die USA einen Vertrag über gegenseitige Zusammenarbeit und Sicherheit mit Tokio abschlossen, der ihnen das Recht gab, Militärstützpunkte auf japanischem Boden zu errichten und zu nutzen, sowie dort eine beliebige Anzahl von Truppen zu stationieren. Dies bedeutete praktisch, dass alle sowjetischen Gebiete, die der japanischen Gerichtsbarkeit zurückgegeben werden sollten, für amerikanische Militärstützpunkte genutzt werden konnten. Daher entschied sich die UdSSR 1960, die gemeinsame Erklärung von 1956 mit Japan aufzuheben.
Kurilenfrage: “Eine der höchsten Prioritäten” – Japan will Friedensvertrag mit Russland
Eine erneute amerikanische Einmischung
Theoretisch hätte Moskau den Streit um die Kurilen zu diesem Zeitpunkt ein für alle Mal ad acta legen können. Jahrzehnte später, im Jahr 2018, einigten sich Premierminister Shinzo Abe und Präsident Putin darauf, die Gespräche auf der Grundlage der Erklärung von 1956 wieder aufzunehmen. Dennoch interpretierte die japanische Führung das Dokument, das nur zwei der vier Inseln erwähnte, auf sehr eigenartige Weise. Tokio war nicht bereit, seine Absicht aufzugeben, alle vier Inseln zurückzubekommen. Außerdem war man nicht bereit Russlands Souveränität über die Kurilen anzuerkennen.
Im Januar 2023 erinnerte sich Außenminister Sergei Lawrow während einer Pressekonferenz an diese Zeit der aktiven Verhandlungen unter der Leitung von Premierminister Abe: “Irgendwann sagten die Japaner, dass sie den ‘großen Friedensvertrag’, den Russland anbot, nicht brauchen würden. Wir hatten vorgeschlagen, einen umfassenden Friedensvertrag zu unterzeichnen, der die Prinzipien der Zusammenarbeit auf der Grundlage von gegenseitigem Respekt, gegenseitigen Interessen und Nachbarschaft umfassen würde. Der Friedensvertrag sollte auch Investitionen, wirtschaftliche und humanitäre Zusammenarbeit beinhalten. All das sollte als Grundlage dienen, um die staatlichen Grenzen zu definieren. Die Japaner lehnten unseren Vorschlag ab und sagten, sie bräuchten eine Vereinbarung, die auf den Punkt kommt, und keinen Vertrag voller überflüssiger Rhetorik.”
Laut Waleri Kistanow glaubte Putin aufrichtig, dass ein Friedensvertrag notwendig sei – darum ging es ihm beim diplomatischen Tauwetter während der Amtszeit von Abe. Die beiden Staatschefs von Russland und Japan hielten insgesamt 27 Treffen ab, aber auch die Vereinigten Staaten beteiligten sich daran.
Laut Wladimir Nelidow hat sich Präsident Obama nach 2014 gegen eine Zusammenarbeit zwischen Russland und Japan ausgesprochen. Zum Beispiel bat Obama 2016 Premierminister Abe, seinen Besuch in Russland abzusagen, was Abe jedoch ignorierte.
“Die Vereinigten Staaten haben die russisch-japanischen Beziehungen meistens negativ beeinflusst, und heute mehr als bisher.”
Erstmals seit 2003: Japan bezeichnet Kurilen als “von Russland illegal besetzt”
Heute ignorieren die USA das Abkommen von San Francisco gänzlich. Anlässlich des japanischen “Tag der nördlichen Territorien” im Jahr 2022 gab der US-Botschafter in Japan, Rahm Emanuel, offen zu, dass Washington Tokio in dieser Angelegenheit voll und ganz unterstützt. Auch Japans neue Regierung hat ihre Position glasklar zum Ausdruck gebracht und hält an ihrem Narrativ von “vier illegal besetzten Inseln” fest, die Russland ihrer Meinung nach vor einer Unterzeichnung eines Friedensvertrags zurückgeben muss.
Kistanow schließt daraus: “Meines Erachtens braucht Russland keinen Friedensvertrag mit Japan. Wir haben 70 Jahre ohne einen gelebt und können das auch weiterhin tun. Wir waren immer entgegenkommend und haben jede Bemühung unterstützt, einen Kompromiss zu finden, aber Japan hat nie auf die selbe Weise reagiert, und ich glaube, wir sollten das auch nicht erwarten. Außenminister Lawrow zitierte kürzlich einen Japan-Experten, der sagte: ‘Sollte Japan eines Tages zum Schluss kommen, dass es diese vier Inseln nie zurückbekommt, wird es dem Club der schärfsten Gegner Russlands beitreten.”
Und genau das erleben wir heute.
Aus dem Englischen.
Maxim Hwatkow ist ein russischer Journalist, mit Schwerpunkt auf internationale Sicherheit, Chinas Politik und die Mechanismen der Soft-Power.
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