Während ein wachsender Teil der Mittelschicht um seinen Lebensstil bangt, kämpfen immer mehr obdachlose Jugendliche in Deutschland ums blanke Überleben. Wie viele junge Menschen tatsächlich betroffen sind, weiß keiner. Denn niemand zählt sie, und staatliche Hilfsangebote scheitern nicht selten an der Realität. Der Jahresabschluss 2022 der privaten Stiftung “Off Road Kids”, die sich um die vergessenen Jugendlichen kümmert, lässt aber einen Schluss zu: Es werden mehr.
Immer mehr Notrufe
Demnach suchten im vergangenen Jahr mehr als 5.200 Jugendliche ohne ein Dach über dem Kopf Hilfe bei den Streetworkern der Stiftung. “Das waren viermal mehr als vor fünf Jahren”, sagte der Vorstandssprecher von “Off Road Kids”, Markus Seidel. In den ersten Monaten dieses Jahres sei der Zulauf sogar weiter angestiegen. Allein im März habe die Stiftung über sechshundert neue Anfragen erhalten, so viele wie noch nie.
Seit einigen Jahren setzen die Streetworker auch auf die Digitalisierung. Jugendliche in Not können über ihr Smartphone den ersten Kontakt mit den Sozialarbeitern aufnehmen und ein Beratungsgespräch vereinbaren, wie Seidel erklärte. Fast 87 Prozent aller Hilferufe seien im Jahr 2022 auf diesem Weg über die virtuelle Streetwork-Station “sofahopper.help” eingegangen.
“Müssen Verelendung verhindern”
“Unsere Strategie, frühe digitale Hilfe mit persönlicher Beratung zu koppeln, ist sehr wirksam”, resümierte der Vorstandssprecher. Man ziele vorrangig darauf ab, “die gefährliche Anziehungskraft von großstädtischen Szenetreffpunkten einzudämmen und Abstürze ins Straßenleben zu vermeiden”. Aber der hohe Anstieg der Notrufe besorgt ihn.