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Wie “pflegt” man eine koloniale Ideologie?

Wie "pflegt" man eine koloniale Ideologie?

Quelle: www.globallookpress.com © imago stock&peopleEin “Kolonialwarenladen” als Nachbau im Kölner Schokoladenmuseum (29. März 2017)

Von Dagmar Henn

Kaum jemand wird mehr ernsthaft bezweifeln, dass die Länder des Westens sich in den vergangenen Jahrhunderten beim Rest des Planeten eifrig bedient haben und jetzt gerade alles daran setzen, dass dieser Zustand nicht beendet wird. Die Frage, warum die Bevölkerungen der westlichen Länder diese Plünderung mitgetragen haben und bis heute mittragen, ist allerdings gar nicht so einfach zu beantworten.

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Es gibt die Behauptung, dass nennenswerte Teile der Bevölkerung schlicht von diesen Machtverhältnissen profitieren. Man erinnere sich an die Bananenfrage zwischen BRD und DDR – in der BRD gab es immer Bananen, aber sie kamen (und kommen) aus Plantagen mit elenden Arbeitsverhältnissen; in der DDR gab es sie höchst selten, aber sie waren kein Produkt einer Raubökonomie. Natürlich, wenn man sich die Liste all der Produkte betrachtet, die früher einmal das Etikett “Kolonialwaren” trugen, von Obst über Gewürze über Kaffee bis zur Schokolade, ist das schon eine beeindruckende Menge.

Aber im großen Maßstab ist das nicht wirklich relevant, selbst wenn der eine oder andere Putsch für die Bilanz der United Fruit Company inszeniert wurde. Wenn man die langfristige Entwicklung von Rohstoffpreisen betrachtet, gibt es ungefähr von Mitte der 1950er bis Anfang der 1970er Jahre eine Beule nach oben. In dieser Zeit waren viele Rohstoffe deutlich teurer als später wieder, nachdem durch IWF und Weltbank als Reaktion auf eine Welle von Unabhängigkeitskämpfen nach dem Zweiten Weltkrieg das koloniale Regime in anderer Gestalt wieder festgezurrt wurde. Die Bevölkerung der westlichen Länder hatte davon allerdings herzlich wenig – seit Mitte der 1970er Jahre ist der Lebensstandard der einfachen Bevölkerung gefallen – was jedoch erst dann deutlich wird, wenn man mitbetrachtet, ob die Menschen es sich leisten können, ein Haus zu bauen und Kinder großzuziehen. Dass heute die Regierungen aller westlichen Länder jammern, sie bräuchten “Fachkräfte”, ist die langfristige Konsequenz einer Absenkung des Lebensstandards unter die Schwelle, die eine gesicherte Familienbildung ermöglicht.

Die Beute wurde und wird also nicht mit dem Pöbel geteilt. Aber es ist trotzdem unverzichtbar, dass weite Teile der Bevölkerung die zur Durchsetzung einer solchen Politik erforderlichen kriegerischen Aktionen mittragen; das geht nur, indem eine entsprechende Ideologie geschaffen wird, die derartige Handlungen scheinbar rechtfertigt. Die neueste Version dieser Ideologie trägt Regenbogenfahnen und glorifiziert Männer in Frauenkleidern. Aber die wenigsten Anhänger solcher Ideologie sind imstande, deren Funktion zu durchschauen.

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Dabei gehen sie in eine historizistische Falle. Wenn man aus der Gegenwart in die Vergangenheit blickt – gerade in die reichlich blutbesudelte Kolonialgeschichte –, so sind die älteren Versionen kolonialer Ideologie dermaßen desavouiert, dass niemand mehr auf den Gedanken käme, sie mit einer Idee von angeblichem Fortschritt zu verbinden; ganz gleich, ob es dabei um den Drang zur Christianisierung, um die Erfindung menschlicher Rassen samt einer Einteilung in Unter- und Überlegene geht oder um das Klischeebild des armen, ewig hungernden Afrikaners geht. Was bei Betrachtung dieser früheren Ideologien oft verdrängt wird, ist, dass sie alle jeweils in den Ländern des Westens als Verkörperung von Fortschritt und Humanität galten. Das galt sogar für die Betrachtung der menschlichen Art selbst durch die Brille eines Viehzüchters.

Schlimmer noch: einzelne Motivationen sind immer wieder aus real fortschrittlichen Bewegungen übernommen und integriert worden. So kann man definitiv sagen, dass jene, die in Großbritannien für die Abschaffung der Sklaverei eintraten, als Großbritannien noch einer der großen Sklavenhändler war, etwas Gutes für die Opfer wollten und es sogar zum Teil erreichten. In der Folge aber wurde die “Bekämpfung des Sklavenhandels” erst zur Begründung für Einsätze der britischen Flotte gegen die wirtschaftliche Konkurrenz und schließlich zur Besetzung afrikanischer Länder.

Ähnlich verlief das mit dem Begriff der Entwicklung, der ursprünglich als Gegenmodell zur kolonialen Herrschaft, zum kontinuierlichen Absaugen gesellschaftlichen Wohlstands gedacht war, aber dann übernommen wurde und als Begründung für IWF, Weltbank und das Netz aus Knebelkrediten und Auflagen diente, die gerade die Entwicklungsmöglichkeiten der “Begünstigten” strangulierten.

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Seitdem wurden Menschenrechte und Demokratie mit Feuer und Schwert verbreitet, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Bomben zum Erzwingen einer CSD-Parade abgeworfen werden; immer demselben Muster folgend. Eine Idee, die in der Gesellschaft, aus der sie stammt, ursprünglich durchaus ein gewisses Potential für Verbesserungen in sich trug, wird so gründlich entkernt und überdreht, dass sie problemlos als Waffe nach außen eingesetzt werden kann.

Es ist sogar so, dass diese Ideologie den Eindruck von Fortschrittlichkeit unbedingt erwecken muss. Denn der Trick, mit dem selbst aus einer ursprünglich fortschrittlichen Idee eine praktisch zutiefst reaktionäre Ideologie wird, besteht darin, eine Vorstellung von Überlegenheit zu verankern; weil man ja nicht (mehr) mit Sklaven handelt, weil man die bessere Moral besitzt, demokratischer ist, klimafreundlicher etc. pp.

Dabei gibt es natürlich noch weitere Rahmenbedingungen. Die Entwicklungserzählung der 1970er Jahre wäre heute gleich aus zwei Gründen nicht mehr nutzbar – zum einen, weil sich konkret überprüfen lässt, ob es tatsächlich einen Fortschritt gegeben hat, die Erzählung also auffliegen könnte, und zum anderen, weil längst jeder Gedanke an konkrete, materielle Verbesserungen auch den Bevölkerungen des Westens ausgetrieben werden musste, denen seit der ökonomischen Wende Anfang der 1970er eben nur noch Verschlechterungen zu bieten sind. Sprich, je weniger die aktuelle koloniale Ideologie mit der Wirklichkeit zu tun hat, mit Zahlen, mit Ökonomie, desto nebulöser bleibt sie und desto besser ist das. Man will schließlich keine schlafenden Hunde wecken (und die Klimaerzählung funktioniert schließlich – das zeigt sich immer deutlicher – nach innen ebenso gut wie nach außen, um Lebensstandard abzusenken).

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Nun hätte man im Verlauf der langen Kolonialgeschichte durchaus darauf kommen können, dass in dem Moment, in dem was auch immer zu einer Begründung für die westliche Überlegenheit wird, diese Ideologie “toxisch” wird. Und es gab auch tatsächlich immer wieder Phasen, in denen es in den westlichen Ländern gar nicht so einfach war, von der Frage der realen, ökonomischen Machtverhältnisse abzulenken.

Aber man gab sich gewaltige Mühe, mit einer “neoliberalen” Politik jeden Blick auf die Verhältnisse zwischen Arm und Reich – selbst innerhalb der westlichen Länder – zu unterbinden; man denke nur an das hübsche Wort “Sozialneid”, mit dessen Hilfe es gelang, das Aussprechen einer Forderung nach sozialer Gerechtigkeit zu etwas ethisch Niedrigem zu machen. Es war schon einiger Aufwand erforderlich, um die Gesellschaften so weit zuzurichten, dass sie kein Problem mehr mit angeblichen “Philanthropen” auf der einen und den Zeltstädten von Obdachlosen auf der anderen Seite haben. Aber wer immer es schafft, solche Gesellschaften für fortschrittlich und nicht für zutiefst verkommen zu halten, wird auch nicht mit der Wimper zucken, wenn wieder einmal das eine oder andere “nichtweiße” Volk ins Elend gestürzt wird.

Innerhalb der Linken fing das einmal ganz harmlos an, mit der Debatte über den Haupt- und Nebenwiderspruch. Für jene, denen diese einmal verbreiteten Begriffe fremd sind: der Hauptwiderspruch ist der zwischen Kapital und Arbeit, und alles andere fällt unter die Nebenwidersprüche. Als es mit dieser Debatte losging, hätte niemand ahnen können, dass es mit dem völligen Vergessen besagten Hauptwiderspruchs enden würde. Aber es war nicht allzu schwer zu ahnen, dass bei Behandlung der Nebenwidersprüche nichts herauskommen wird, was man essen, womit man sich kleiden, worin man wohnen oder womit man seine Kinder aufziehen kann.

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Und natürlich ist es schwer, die koloniale Ordnung überhaupt als solche zu erkennen, wenn der ökonomische Blick erst einmal verloren gegangen ist. Denn es waren immer diese harten, materiellen Fakten: die Geldflüsse von Süd nach Nord, die erkennen ließen, wer mit wem was anstellt auf diesem Planeten. Das begleitende Geschwätz handelte immer vom Wahrhaftigen, vom Guten und Schönen, auch wenn man die alten Versionen mit dem gleichen Schaudern betrachtet, den die ausgestopften Menschenexemplare in manchen westlichen Museen oder die Bilder der Menschenzoos des vergangenen Jahrhunderts auslösen.

Immerhin: die besitzlosen Klassen erweisen sich als schwer zu umgarnen, weil sie es kennen, wenn ihnen die Butter zum Brot fehlt; aber die ganze mehr oder weniger intellektuelle Meute giert nach allem, was ihr das Gefühl verleiht, etwas besser zu sein als die da unten, und stürzt sich mit Eifer auf jedes Bröckchen, das hingeworfen wird. Was bei der “Genderei” deutlich zu sehen ist: die Frage nach dem Pronomen ist die dreisteste Diskriminierung von Nichtabiturienten seit wilhelminischen Tagen. Die Komplizenschaft mit dem kolonialen Regime ergibt sich dann von allein.

Nun, im Weltmuseum des Kolonialismus, das wohl demnächst irgendwann, vermutlich in Peking, gebaut werden wird, wenn das Thema durch ist, wird das ganze “woke” Theater seinen Platz neben dem Rohrstock des britischen Kolonialbeamten finden. Es wäre übrigens einen Gedanken wert, ob die viktorianische Zensur des britischen Englisch nicht eigentlich ein ähnliches Ziel verfolgte und nicht nur darauf ausgerichtet war, die Sprache tiefer nach Klassen zu teilen, sondern außerdem die durchaus des Englischen fähigen Inder der “akzeptablen” Sprache berauben sollte. Ein subtiles, aber wirkungsvolles Mittel, um die Idee eigener Überlegenheit zu stärken und das Gegenüber in einer möglichst sprachlosen Stellung zu halten.

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Die Gesellschaften des Westens jedenfalls werden dann damit beschäftigt sein, all die wirklichen Probleme, die derzeitig einem Sprechverbot unterliegen, wieder auszugraben, und werden sich längere Zeit mit dem guten alten Hauptwiderspruch befassen müssen. Denn wenn der Zufluss von außen abbricht, verschwinden weder die “Philanthropen” noch ihr Anspruch auf stetig wachsende Macht und noch mehr Reichtum. Und sie werden es zumindest versuchen, sich an den Bevölkerungen des Westens schadlos zu halten, die dann endgültig begreifen müssen, dass der Satz “erst kommt das Fressen, dann die Moral” nicht nur hilfreich ist, um das eigene Interesse zu erkennen, sondern sogar noch einen besseren Pfad zum gesellschaftlich Guten weist als die Menschenrechte, das Gendern und der ganze woke Rest zusammengenommen.

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