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Der gute Wlassow: Wie ein gefangener sowjetischer Jägerpilot die größte KZ-Flucht organisierte

Der gute Wlassow: Wie ein gefangener sowjetischer Jägerpilot die größte KZ-Flucht organisierte

Quelle: www.globallookpress.com Der gute Wlassow: Wie ein gefangener sowjetischer Jägerpilot die größte KZ-Flucht organisierte (Denkmal an die sowjetischen Opfer des Todeslagers Mauthausen. Mauthausen, Österreich, 20. November 2016)

Vor 80 Jahren, am 23. November 1942, wurde dem Jägerpiloten Nikolai Iwanowitsch Wlassow der Titel Held der Sowjetunion für vorbildliche Erfüllung der vom Kommando gestellten Kampfaufgaben und dabei bewiesenen Mut verliehen. Er schoss bei mehreren hundert Kampfeinsätzen persönlich zehn feindliche Flugzeuge ab, eines davon durch einen Rammangriff. Seine herausragendste Heldentat jedoch, so Historiker, vollbrachte Wlassow, erst nachdem er seinerseits abgeschossen und von den Nazis gefangen genommen worden war: In Hitlers Konzentrationslagern wurde er zu einem der Führer des antifaschistischen Untergrunds und plante den Aufstand im Todeslager Mauthausen. Obwohl Wlassow und die anderen Organisatoren von den Nazis gefangen genommen und brutal zu Tode gefoltert wurden, war der Aufstand selbst so gut vorbereitet, dass es den Häftlingen selbst nach dem Tod ihrer Anführer gelang, die Wachen zu entwaffnen – wonach ihnen die größte Flucht aus einem Konzentrationslager in der Geschichte des Krieges gelang.

Von Swjatoslaw Knjasew und Maxim Lobanow 

Nikolai WlassowWikimedia Commons

Der Weg in den Himmel

Nikolai Wlassow wurde am 11. November 1916 in Petrograd (heute St. Petersburg) als Sohn eines Arbeiters und späteren Teilnehmers an der Oktoberrevolution geboren. Er verbrachte seine Kindheit in Kolomna und Saraisk, wo sein Vater in Fabriken arbeitete.

Wlassow war ein hervorragender Zeichner: Der Leiter des Kunstateliers im Pionierhaus von Saraisk befand sogar, der Junge könne sein gesamtes späteres Leben mit der Malerei verbinden. Jedoch trat der junge Kolja stattdessen nach Abschluss der Fabrik-Berufsschule in die 1. A.-F.-Mjasnikow-Lenin-Orden-Rotbanner-Militärfliegerschule von Katschinsk ein (am Fluss Katscha, heute ein Stadtteil von Sewastopol). Nikolai studierte gut und blieb nach seinem Abschluss an der Fliegerschule, um als Ausbilder zu arbeiten.

Katschinsker FlugschuleArchiv der Flugakademie

Gleich in den ersten Tagen des Großen Vaterländischen Krieges wurde Wlassow an die Front geschickt.

“Als Kommandeur eines Jagdgeschwaders gab Wlassow sowjetischen Bombern Geleitschutz hinter die feindlichen Linien und machte erfolgreich Jagd auf Nazi-Flugzeuge, die sowjetische Stellungen angriffen”,

erklärte Alexander Makuschin, Ko-Vorsitzender der russischen IstPatriotika-Stiftung, gegenüber RT.

Laut Andrei Gorbunow, Leiter der wissenschaftlich-methodischen Abteilung des Moskauer Siegesmuseums, arbeiteten die Piloten der West- und der Brjansker Front, an denen Wlassow im Jahr 1941 kämpfte, bis zur völligen Erschöpfung: Sie flogen zwei oder drei Einsätze pro Tag, wobei der Charakter der Luftkämpfe höchste körperliche Belastung durch g-Kräfte bedeutete.

Am 18. August 1941 flog Wlassow vom Flugplatz Brjansk aus, um ein feindliches Aufklärungsflugzeug abzufangen. Er holte den Feind ein, aber unmittelbar an der Frontlinie stellte Wlassow fest, dass die Maschinengewehre seines Flugzeugs vor dem Abflug nicht geladen wurden. Er konnte aber den feindlichen Aufklärer mit all seinen über sowjetischem Gebiet aufgenommenen Fotos nicht einfach ziehen lassen – und beschloss, das Flugzeug zu rammen. Trotz heftigem Gegenfeuer schloss er zum feindlichen Flugzeug auf und brachte es mit einem Rammstoß am Heck zum Absturz. Nikolai gelang es, sein eigenes, ebenfalls beschädigtes Flugzeug im von der Roten Armee kontrollierten Gebiet zu landen.

Der Pilot wurde bewusstlos aus dem Flugzeug geholt: Er war mit dem Gesicht auf dem Armaturenbrett aufgeschlagen und hatte zudem Wunden erlitten. Er wollte jedoch nicht im Hospital bleiben und bat darum, sofort in den aktiven Dienst zurückkehren zu dürfen. Zunächst durfte er nur unterrichten, aber Wlassow wollte unbedingt zurück in den Himmel. Daraufhin wurde ihm ein leichter Universal-Doppeldecker des Typs Polikarpow Po-2 anvertraut. Mit dieser Maschine überflog Wlassow die Frontlinie und evakuierte seinen Kollegen, den Helden der Sowjetunion Filipp Demtschenkow, der zuvor im feindlichen Hinterland abgeschossen wurde.

Am 23. November 1942 erhielt auch Wlassow selbst den Goldenen Stern des Helden der Sowjetunion – für die vorbildliche Erfüllung der Kampfaufgaben des Kommandos und die dabei gezeigte Tapferkeit. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits Hunderte von Einsätzen, 27 Luftkämpfe und zehn abgeschossene feindliche Flugzeuge hinter sich. Luftfahrthistoriker Nikolai Bodrichin betonte im Gespräch mit RT:

“Nach den Maßstäben von 1942, als der Krieg noch weniger als anderthalb Jahre gedauert hatte, waren zehn abgeschossene Flugzeuge eine ganze Menge.”

Dem Feind ausgeliefert

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Im Jahr 1943 diente Nikolai Wlassow, mittlerweile im Rang eines Oberstleutnants, als Chefinspekteur der Jagdfliegerei für Pilotiertechnik bei der Inspektion der Luftwaffe der Roten Armee. Historikern zufolge war die Zuweisung zu diesem Posten eine Anerkennung für höchste fliegerische Fähigkeiten. Parallel zu seinem Inspektionsdienst führte Wlassow weiterhin Kampfeinsätze an der Front durch.

Am 29. Juli 1943 wurde Wlassows Flugzeug auf dem Überflug zum belagerten Leningrad über dem vom Feind kontrollierten Gebiet abgeschossen. Eine Zeit lang galt der Pilot als verschollen. In der Sowjetunion erfuhr man erst nach dem Ende des Krieges von seinem Schicksal.

Wlassow gelang es, das brennende Flugzeug notzulanden, doch durch den Aufschlag auf dem Boden wurde er aus dem Cockpit geschleudert und verlor das Bewusstsein. Der Pilot kam erst in Gefangenschaft zu sich. Historikern zufolge behandelten die Nazis die Gefangenen anfangs sehr behutsam: Er durfte sogar seine Uniform und seine Auszeichnungen behalten.

Nikolai Wlassow in GefangenschaftWikimedia Commons

Andrei Gorbunow kommentiert:

“Als die Nazis begriffen, mit wem sie es zu tun hatten, begannen sie sofort, Nikolai Wlassow zu bearbeiten, um ihn auf ihre Seite zu ziehen. Die Deutschen suchten nach neuen Formen der Kriegsführung und stützten sich dabei auf Kollaborateure, um den Zusammenhalt der Sowjetunion zu untergraben. Ein gefangengenommener Held der Sowjetunion – zudem sogar ein Jägerpilot – schien ihnen daher ein großer Erfolg zu sein. Doch wie General Dmitri Karbyschew lehnte auch Wlassow alle Angebote zur Zusammenarbeit mit den Hitlerschergen strikt ab.”

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Im Konzentrationslager in der Nähe der polnischen Stadt Lodz angekommen, wurde Wlassow schon bald zu einem der Anführer des antifaschistischen Untergrunds. Angesichts der relativen Nähe des Lagers zur sowjetischen Grenze beschlossen die Untergrundkämpfer, eine Flucht zu organisieren. Mithilfe aus dem Lagerlazarett gestohlener Aluminiumschalen begannen sie, einen unterirdischen Gang unter den Lagerzäunen zu graben. Während eines starken Regens sackte jedoch ein deutscher Lastwagen durch den nassen Erdboden in den Tunnel ab. Die Verschwörung wurde aufgedeckt, die Mitglieder des Untergrunds wurden in Einzelhaft gesteckt und dann auf andere Lager verteilt.

So landete Wlassow in der Würzburger Gefängnisfestung. Hier freundete sich der Pilot mit Generalleutnant Michail Lukin an, der nach einer schweren Verwundung gefangen genommen wurde. Wlassow engagierte sich erneut im Untergrundwiderstand und bereitete seine Flucht vor. Bei dem Versuch, aus dem Lazarett zu fliehen, wurde er jedoch von den Wachen gefasst und schwer verprügelt. Bevor er in das Gestapo-Gefängnis in Nürnberg überführt wurde, zeigte Wlassow dem General Lukin das Versteck mit seinem goldenen Stern des Helden der Sowjetunion. Nach dem Krieg besuchte der General Wlassows hinterbliebene Familie und erzählte von Nikolais Heldentaten. Den Goldenen Stern übergab er dem Volkskommissariat für Verteidigung der UdSSR.

Im Nürnberger Gefängnis unternahm Wlassow während eines Luftangriffs einen weiteren Fluchtversuch, wurde jedoch gefasst und daraufhin in eines der schlimmsten Hitler-Konzentrationslager – Mauthausen – gebracht. Wie Historiker anmerken, erinnerten sich seine Kameraden in der Gefangenschaft an ihn als einen körperlich erschöpften, dürren und grauhaarigen Mann – der aber nicht moralisch gebrochen war.

Treppe des Todes im Todeslager Mauthausen. KZ-Insassen schleppen Steinquader den Hang hoch.Wikimedia Commons

Trotz dem strengen Haftregime der Nazis in Mauthausen wurde Wlassow auch dort Mitglied der Untergrundorganisation des Lagers. Zusammen mit zwei anderen Kriegsgefangenen, Alexander Issupow und Kirill Tschubtschenkow, begann er mit den Vorbereitungen für einen Aufstand der Häftlinge und eine Flucht aus dem Konzentrationslager. Historikern zufolge kam der Untergrundwiderstand so weit, sich einen Plan des Lagers zu beschaffen und die Rollen unter den Teilnehmern des geplanten Aufstands zu verteilen. Doch dann, so Alexander Makuschin, kam der Aufstand in Gefahr zu scheitern:

“Ein unbekannter Provokateur stahl Wlassow ein Notizbuch mit Namen von Menschen, die von den Nazis zu Tode gefoltert und geschunden worden waren.”

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Die Deutschen fanden heraus, dass Wlassow besonders aktiv mit anderen gefangenen Piloten kommunizierte – Piloten, die sie ohnehin schon verdächtigten, dem Untergrund anzugehören –, und folterten sie alle. Keiner der Gefangenen verriet jedoch seine Kameraden. Wlassow und die anderen gefassten Mitglieder des Untergrundwiderstandes wurden brutal ermordet: Einer der Überlieferungen zufolge wurden sie lebendig verbrannt.

Der Aufstand selbst jedoch war bereits so gründlich und mit solcher Sachkenntnis vorbereitet worden, dass sich die Häftlinge von Mauthausen trotz dem Tod der Anführer am 2. Februar 1945 gegen ihre Kerkermeister und Henker erheben konnten. Durch die Entwaffnung der Wachen mithilfe improvisierter Waffen konnten mehrere hundert Häftlinge aus dem Lager fliehen. Dies war die größte Einzelflucht aus einem Konzentrationslager des Dritten Reiches während des gesamten Krieges: Etwa 570 Menschen entkamen auf einmal. Den Nazis gelang es allerdings, die meisten der Entflohenen aufzufinden und wiedereinzufangen. Doch immerhin etwa 20 Personen konnten entkommen – vor allem dank den von Wlassow und seinen Kameraden ausgearbeiteten Plänen. Andrei Gorbunow resümiert:

“Nikolai Wlassow war einer der erbittertsten und unversöhnlichsten Kämpfer gegen den Nationalsozialismus. Durch sein Handeln in den Reihen des Untergrunds gab er Tausenden von Menschen Hoffnung, denen die Nazis einen schrecklichen Tod bereitet hatten. Es gelang ihm, das Feuer des Widerstands zu entfachen, wodurch einige Gefangene ihr Leben retten konnten, während andere ihrem Tod würdig entgegentraten – im Kampf gegen den Feind.”

Nach Kriegsende wurde Nikolai Wlassows Heldentat auch in der UdSSR bekannt. Straßen in verschiedenen Städten der Sowjetunion wurden nach dem gefallenen Helden benannt, und er selbst wurde permanent in die Truppenstammrolle seiner Einheit aufgenommen.

“Auf ewig in der Stammrolle” – Nikolai Wlassow auf einer Postmarke.Wikimedia Commons

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