Quelle: Gettyimages.ru © SOPA Images Die Moskauer Börse zeigt sich von den westlichen Sanktionen nahezu unbeeindruckt.
Von Alexander Männer
Fast unmittelbar nach dem Beginn der russischen Intervention in der Ukraine am 24. Februar haben die USA, die Mitglieder der Europäischen Union, Großbritannien, Kanada, Japan sowie andere Staaten schwerwiegende Sanktionen gegen Russland eingeführt, die die russische Wirtschaft isolieren und folglich in den Abgrund stürzen sollten. Zahlreiche Politiker, Finanzanalysten und andere Experten weltweit sagten damals einen schnellen wirtschaftlichen Niedergang Russlands voraus.
Analyse
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So hatte Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock im vergangenen März erklärt, dass die Sanktionen die russische Wirtschaft “ruinieren” würden. Der Ansicht waren auch die Analysten der US-Investmentbank JPMorgan, die einen Rückgang des russischen Bruttoinlandsprodukts im zweiten Quartal um 35 Prozent gegenüber dem Vorquartal prognostizierten und auch einen Bankrott Russlands nicht ausschlossen. Eine andere große US-Bank, Morgan Stanley, sowie die Ratingagentur Fitch befanden ebenfalls, dass ein russischer Zahlungsausfall “unmittelbar” bevorstehe. Bei dem Handelsblatt ging man sogar davon aus, dass die russische Wirtschaft vor dem schlimmsten Einbruch seit dem Zerfall der Sowjetunion stünde.
Der erwartete Einbruch blieb aus – Russland hielt dem Sanktionsdruck stand. Und auch wenn die Lage weiterhin schwierig bleibt, ist das Land von einem wirtschaftlichen Niedergang nach wie vor weit entfernt. Tatsächlich geht es der russischen Wirtschaft sogar viel besser, als die optimistischsten Prognosen vorhergesagt hatten, weshalb die meisten Experten, die von einem Finanzkollaps in Russland ausgingen, ihre Einschätzung inzwischen revidiert haben.
Experten der britischen Zeitung The Economist führen diesbezüglich an, dass die Widerstandsfähigkeit der russischen Wirtschaft zum einen den “kompetenten Maßnahmen der russischen Führung” zu verdanken ist, die sehr schnell entsprechende Schritte unternommen hatte, um einen wirtschaftlichen Zusammenbruch zu verhindern. Zum anderen liegt es an dem Export von Rohstoffen, der nicht zuletzt wegen der Höchststände bei den Öl- und Gaspreisen Russland Rekordeinnahmen beschert.
Dies ist auch der Grund, warum die USA seit Monaten alles daransetzen, Moskaus Einnahmen aus dem Rohstoffgeschäft durch ein weltweites Embargo auf russisches Erdöl zu begrenzen. Und während die Mitglieder der EU und zahlreiche andere Länder dem Druck Washingtons nachgaben, haben andere Staaten ihre Handelsbeziehungen zu Russland aufrechterhalten und sogar noch verstärkt.
China – wichtigster Handelspartner und Absatzmarkt
Dazu gehört in erster Linie die Wirtschaftsgroßmacht China, die von Anfang an die Mentalität der Konfrontation vonseiten des kollektiven Westens und die Logik einseitiger Sanktionen scharf kritisiert und als veraltet zurückgewiesen hat. Für die USA gilt China als der Hauptverantwortliche dafür, dass das Sanktionsregime die erhoffte Wirkung bislang verfehlte.
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Wie die Washington Post dazu berichtete, versucht Peking, Moskau zu helfen und gleichzeitig darauf zu achten, keine US-Sanktionen auf sich zu ziehen. Diesbezüglich betonen die russischen Medien, dass das Risiko von Sanktionen die chinesische Unternehmen bei ihren Geschäften mit der russischen Seite zwar durchaus hemme, jedoch soll sich dieser Umstand auf den Handel der beiden Länder insgesamt nicht kritisch auswirken.
In der Tat sind die russisch-chinesischen Beziehungen vor dem Hintergrund der Versuche des Westens, Russland zu isolieren, für die Moskauer Führung lebenswichtig und darum hervorzuheben. Die Chinesen sind Russlands wichtigster Handelspartner, und von ihnen ist die russische Wirtschaft dementsprechend auch am stärksten abhängig. Und wie schon angesichts der Sanktionen im Jahr 2014, als es für die Russen darum ging, ihre Wirtschaft von West nach Ost umzuorientieren, so gilt Peking auch heute für Moskau als der große Helfer in der Not, der entscheidend dazu beitragen kann, dass Russland sich an die neuen Bedingungen gut anpasst.
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Insofern liefern die Chinesen verstärkt auch solche Produkte, die die westlichen Länder nicht mehr nach Russland exportieren wollen, wie etwa Autos und Elektronikgeräte. Zugleich stellt China einen Absatzmarkt dar, den die Russen brauchen, um ihre vom Westen sanktionierten Rohstoffe absetzen zu können. Das gilt insbesondere für das Erdöl, das die USA nicht mehr importieren und das die EU kürzlich mit einer “Preisgrenze” belegt hat. Die chinesischen Händler hingegen konnten den Ölimport aus Russland seit dem vergangenen Februar um mehr als 50 Prozent steigern.
In diesem Sinne verzeichnete auch Russlands Gesamtexport nach China zwischen Januar und September laut Angaben der Nachrichtenagentur TASS einen Zuwachs von mehr als 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr und betrug 73 Milliarden US-Dollar. Das gesamte Handelsvolumen zwischen den beiden Ländern ist in diesem Zeitraum um 31,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen und betrug 117 Milliarden US-Dollar. Beobachter prognostizieren diesbezüglich, dass der russisch-chinesische Handelsumsatz in diesem Jahr sogar die Rekordmarke von 147 Milliarden Dollar knacken und am Ende etwa 170 Milliarden Dollar ausmachen könnte.
Bilateraler Handel in Rubel und Yuan
Ein nicht minder wichtiger Vorteil, den die Partnerschaft mit Peking für Moskau bietet, ist die Möglichkeit, den Handel ohne die Verwendung des Dollars sowie des Euro abzuwickeln. Denn Russland kann aufgrund der westlichen Sanktionen sowohl die amerikanische Reservewährung als auch diverse internationale Zahlungssysteme wie SWIFT nicht mehr verwenden. Die Transaktionen in Yuan und Rubel lösen dieses Problem und machen die Volkswirtschaften der beiden Länder dadurch nicht nur unabhängiger von dem US-dominierten Weltfinanzsystem, sondern stärken auch die von ihnen angestoßene “De-Dollarisierung”, die das Ende der globalen Hegemonie des kollektiven Westens herbeiführen soll.
Für Russland, das sich im Finanzbereich noch stärker Richtung China orientieren will, geht es aufgrund der Sanktionen auch darum, die Finanzen seiner Bevölkerung und Unternehmen vor Risiken zu schützen, die von der Verwendung des US-Dollars zurzeit ausgehen. Falls nämlich die USA den russischen Finanzsektor mit weiteren Sanktionen belegen sollten, könnten russischen Angaben nach bis zu 50 Milliarden Dollar eingefroren werden, die sich auf russischen Konten befinden.
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Nicht zuletzt aus diesem Grund versuchen die russische Regierung und die Zentralbank des Landes, einen Teil der Finanzreserven des Landes in Yuan anzulegen und diesen damit als einen Ersatz für die beiden Top-Währungen Dollar und Euro zu etablieren – und das nicht ohne Erfolg. Wie die Entwicklung an der Moskauer Börse, der größten Börse Russlands, zeigt, spielt der Handel von Anleihen, die auf die chinesische Währung lauten, in diesem Jahr im Vergleich zum Dollar nicht mehr nur eine untergeordnete Rolle.
Dem Portal Infobrics zufolge ist der Handel mit dem Yuan und dem Rubel seit Ende Februar um 1.067 Prozent auf umgerechnet knapp vier Milliarden Dollar gestiegen. Der Anteil des Yuan-Umsatzes an dem gesamten russischen Devisenverkehr 2022 hat sich bis August nach russischen Angaben fast verdoppelt und machte bis dato 20 Prozent aus. Im vergangenen März lag dieser Anteil bei gerade mal einem Prozent. Im August hatte das tägliche Handelsvolumen des Yuan schließlich zum ersten Mal in der Geschichte der Moskauer Börse den Dollar-Umsatz überschritten.
Diese Tendenz deutet ganz klar darauf hin, dass der Yuan-Handel das Volumen der auf Euro lautenden Transaktionen schon bald einholen und dass der Dollar-Anteil weiter zurückgehen könnte. Dies beweist auch, dass Russlands Schwenk nach Osten weiter an Fahrt gewinnt.
Indien weitet russische Ölimporte massiv aus
Auch Indien, das ungeachtet aller Kritik aus den USA es ablehnt, Partei in dem Konflikt zwischen dem Westen und Russland zu ergreifen, pfeift weiterhin ganz offen auf die westlichen Sanktionsforderungen und betreibt Geschäfte mit Moskau. Für Neu-Delhi ist die Zusammenarbeit mit den Russen offensichtlich dermaßen lukrativ, dass sogar außenpolitische Spannungen mit den westlichen Staaten in Kauf genommen werden.
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So hatten die Inder die Gunst der Stunde genutzt, um weitreichende Lieferverträge für russisches Rohöl abzuschließen, in deren Folge die Unternehmen des Landes ihre Einfuhren aus Russland im ersten Quartal sogar verdoppeln konnten. Allein der Umfang der russischen Ölimporte im März, der vergleichbar mit dem Umfang der Lieferungen für das gesamte Jahr 2021 ist, belegt, dass ein aus russischer Sicht befürchteter Rückgang des Handels verhindert wurde. Im Gegenteil: Der russisch-indische Handelsumsatz konnte zwischen Februar und September sogar eine deutliche Zunahme verzeichnen und stieg in diesem Zeitraum im Vergleich zum Vorjahr auf das Fünffache an.
Heute importiert Indien täglich fast eine Million Barrel Öl aus Russland – das ist dreimal so viel wie im vergangenen Jahr und sogar mehr als der Import aus dem Irak oder Saudi-Arabien. Durch die Rekordausfuhren konnten die Russen in den letzten zwei Monaten den Rückgang ihrer Exporte nach Europa ausgleichen. Und man kann in Anbetracht der Tatsache, dass ein Konsortium aus staatlichen und privaten Gasunternehmen Indiens zehn Milliarden US-Dollar in russische Ölfelder investiert hatte, davon ausgehen, dass die Ölimporte sich in naher Zukunft wahrscheinlich noch steigern werden.
Nicht zu vergessen, dass ein Großteil des russischen Indien-Exports nicht nur Rohstoffe ausmacht, sondern auch Kriegsgerät. Die meisten Panzer, U-Boote und Kampfjets der indischen Streitkräfte werden aus Russland geliefert, und man kann angesichts der Spannungen in der Welt davon ausgehen, dass Neu-Delhi weitere Milliarden-Verträge mit Moskau in diesem Bereich abschließen wird.
Des Weiteren umfasst die russisch-indische Kooperation den Transport, der zum Leidwesen Russlands ebenfalls sanktioniert wurde. Abhilfe schafft dabei die seit dem vergangenen Juli bestehende Möglichkeit, Waren aus Russland nach Indien über Land zu liefern. Der neue Handelsweg über Zentralasien und Iran löst dabei das Problem, dass Schiffe aufgrund von Sanktionen gestoppt oder im wegen des Problems der Überlastung des Suez-Kanals aufgehalten werden könnten. Geplant ist auch eine Direktverbindung für den Seehandel zwischen Wladiwostok in Russlands Fernem Osten und Chennai an der Ostküste Indiens.
Rupien-Rubel-Zahlungsmechanismus
Ein weiterer Schritt, der als Förderung für den Handel mit dem von Sanktionen betroffenen Russland gesehen wird, sind die direkten Rupien-Rubel-Zahlungen zwischen Indien und Russland. Seit mehreren Jahren haben die Regierungen beider Länder Vorschläge geprüft und Versuche unternommen, den Zahlungsweg ihren nationalen Währungen auszubauen, um die Abhängigkeit vom US-Dollar zu beseitigen.
Vor Kurzem wurde in dieser Angelegenheit ein Weg gefunden, um die Rupie und den Rubel bei der Abwicklung ihrer Handelsgeschäfte zu verwenden. Die indische Zentralbank (Reserve Bank of India, RBI) hat ein entsprechendes System eingeführt, das den staatlichen indischen Banken ermöglichen soll, sich an dem Rupien-Rubel-Handelsmechanismus zu beteiligen.
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Durch die direkten Zahlungen in Rupien oder Rubel können indische Exporteure ungeachtet der Sanktionen weiterhin Geschäfte mit den in Russland ansässigen Unternehmen tätigen. Wie das Portal Deutsche Wirtschaftsnachrichten im September berichtete, plant die State Bank of India (SBI), den neuen Mechanismus zu nutzen und entsprechende Konten zur Abwicklung von Handelsgeschäften mit Russland zu eröffnen.
Die SBI sei eine große Bank, die den Bedarf der Exporteure decken könne und zudem einen ähnlichen Mechanismus zuvor für die Verrechnung von Zahlungen mit dem ebenfalls sanktionierten Iran verwendet habe, heißt es. Darum würden die indischen Unternehmen bereits Dollar und Euro gegen asiatische Währungen tauschen, um die westlichen Sanktionen gegen Russland zu umgehen.
Außerdem gilt es für Neu-Delhi, die Exportanreize im Rahmen des Handels in Rupien auszuweiten, um die Exporte nach Russland, die zwischen April und Juli um etwa ein Drittel zurückgegangen waren, anzukurbeln und die Akzeptanz der heimischen Währung zu erhöhen.
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