Medien: Kiew appelliert an USA und EU-Länder um Hilfe bei Wiederherstellung der Energieversorgung
Neben dem bereits erwähnten Aspekt der Gewöhnung mag es einen stillen Konsens darüber geben, dass die ukrainische Führung “zur Räson gebracht” werden muss. Zwar betonen führende Repräsentanten des Westens wiederholt, dass Kiew selbst entscheiden soll, wann es zu Gesprächen mit Russland bereit ist. Dennoch wird latent Druck ausgeübt. Das “Zuckerbrot” sind die versprochenen Milliarden für den Wiederaufbau und eine künftige EU-Mitgliedschaft, die “Peitsche” die immer schrofferen Reaktionen auf Kiews Waffenwünsche und seine Versuche, die NATO militärisch in die Kriegshandlungen einzubinden. Als Minimum erwartet der Westen von der ukrainischen Führung Signale, dass sie dem internationalen Druck nach einer Aufnahme von Verhandlungen zumindest verbal nachgibt.
Hintergrund der westlichen Ungeduld ist zum einen der schwindende Rückhalt in der eigenen Bevölkerung. Angesichts von Inflation, Versorgungslücken und drohendem Arbeitsplatzverlust sinkt die Bereitschaft, den Argumenten von Politikern und Medien zu folgen. Zum anderen gibt es zunehmende Engpässe bei der Lieferung von Rüstungsgütern. Mancherorts haben sich die Arsenale so weit geleert, dass die Landesverteidigung nicht mehr gewährleistet ist. Angesichts der unterschiedlichen Belastungen in den Unterstützerstaaten der Ukraine nehmen deren Konflikte untereinander zu, sodass sich die Geschlossenheit der westlichen Gemeinschaft zunehmend als Schimäre erweist.
Chinesische Interessen im Hintergrund russischer Entscheidungen
Ebenso befindet sich Russland unter externem Druck, einen baldigen Ausstieg aus den Kampfhandlungen anzustreben. Moskaus Erwartungen, zusammen mit China ein alternatives globales Finanzsystem etablieren zu können, haben in den seit März stattfindenden Expertengesprächen zu keinem greifbaren Ergebnis geführt. Immer häufiger werden in Russland Vorwürfe artikuliert, dass China wie auch andere enge Partner nicht die erwartete wirtschaftliche Unterstützung und politische Rückendeckung leisten. Stattdessen drängen sie auf eine Verhandlungslösung des Ukraine-Konflikts, weil sie einerseits negative Konsequenzen für ihre Volkswirtschaften befürchten und andererseits Angst vor einer Eskalation haben.
Während der Besuche von Olaf Scholz und Emmanuel Macron in Peking herrschte trotz mancher Spekulationen und sich widersprechender Verlautbarungen wohl Einigkeit darüber, dass die Konfliktparteien in Moskau und Kiew zu baldigen Verhandlungen über eine Beendigung der militärischen Aktivitäten gedrängt werden sollen. Während auf der europäischen Seite Wirtschaftsinteressen wie die Versorgung mit Erdgas und anderen Rohstoffen im Vordergrund stehen, möchte China die wirtschaftlichen und politischen Bindungen zu den führenden EU-Staaten erhalten.
Zwar profitiert Peking von der wachsenden Zusammenarbeit mit Moskau im Energiesektor, etwa durch den beschleunigten Bau neuer Erdgasleitungen. Ebenso kann China wegen der westlichen Sanktionen seine Exporte nach Russland steigern und dessen technologische Abhängigkeit erwirken. Gleichwohl war das Handelsvolumen mit der EU im letzten Jahr mit 828 Milliarden Dollar mehr als fünfmal so groß wie jenes mit Russland, das nur 147 Milliarden Dollar betrug. Damit China seinen langfristigen Plan umsetzen kann, den Warenaustausch mit Europa auf den sichereren und schnelleren Landweg zu verlagern, bedarf es eines stabilen politischen Umfelds. Die Routen über Russland und teilweise über die Ukraine sind aufgrund ihrer kürzeren Entfernung und der ausgebauten Infrastruktur dabei unverzichtbar.
Die wirtschaftlichen Verflechtungen mit den Europäern lassen es für China opportun erscheinen, an dem etablierten Wirtschafts- und Finanzsystem festzuhalten. Zwar dürften weiterhin Überlegungen in alternative Richtungen existieren, wie die Tatsache zeigt, dass die chinesische Zentralbank in letzter Zeit vermehrt US-Staatsanleihen abstößt und Gold kauft. Die an Paris und Berlin gerichteten Kooperationsbekundungen deuten jedoch darauf hin, dass Peking glaubt, die Europäer im Konflikt mit Washington in einer neutralen Position halten zu können. Zweifellos dürfte die chinesische Führung die Situation aufmerksam beobachten, um nicht den gleichen Fehler wie Russland zu begehen, das bei dem westlichen Griff auf die Ukraine regelrecht verschaukelt wurde.
Damit sind die russischen Bestrebungen, gemeinsam mit China eine parallele globale Finanzarchitektur außerhalb von Dollar, Euro und SWIFT zu errichten, auf die lange Bank geschoben. Der vermehrte Handel auf Basis nationaler Währungen ist nur ein schwacher Trost. Gelingt dem Kreml gegenwärtig schon nicht der Schritt zu der gewünschten multipolaren Ordnung im Wirtschafts- und Finanzsektor, dann könnte er zumindest hoffen, dass die schwerwiegendsten Sanktionen durch die Fürsprache Pekings im Zuge einer Friedensregelung rückgängig gemacht werden. Sollte sich die EU widerspenstig verhalten und überdies im Schulterschluss mit Washington auf Distanz zu China gehen, würde der russisch-chinesische Plan eines alternativen Finanzsystems auf die Tagesordnung zurückkehren.
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