Quelle: www.globallookpress.com © IMAGO/Thomas Imo Benjamina Kari´c mit Annalena Baerbock, 10.03.2022
Eine Analyse von Marinko Učur, Sarajevo
Sarajevo ist die Hauptstadt der ehemaligen jugoslawischen Republik Bosnien und Herzegowina (BiH). Diese Republik wurde auf dem US-amerikanischen Luftwaffenstützpunkt in Dayton, Ohio gegründet. Im Jahr 1995, nach dem vierjährigen Bürgerkrieg in Jugoslawien, wurde sie von den mächtigsten Ländern der Welt ratifiziert, darunter auch von Russland. Nun wird die bosnische Hauptstadt von einer ungewöhnlichen Diskussion zwischen der Botschaft der Russischen Föderation und der Bürgermeisterin der Stadt, Benjamina Karić, erschüttert.
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Die Bürgermeisterin ist nämlich nach der Unterzeichnung eines Kooperationsabkommens mit Vertretern der ukrainischen Hauptstadt Kiew verbal über Russland hergefallen. Zugleich erteilte sie Russland, um es milde auszudrücken, eine “Lektion” wegen der militärischen Sonderoperation in der Ukraine. Was wiederum eine scharfe Reaktion der russischen diplomatischen Vertretung in diesem Dayton-Land auslöste:
“Bedeutet das unterzeichnete Abkommen, dass Frau Karić als Zeichen der Solidarität mit ihren neuen Partnern damit beginnen wird, die Straßen von Sarajevo nach Banderas Unmenschen umzubenennen, die russische Kultur, russische Musik und russisches Ballett in der Hauptstadt von Bosnien und Herzegowina zu verbieten!?”
Das fragten sich Vertreter der Botschaft und brachten ihre Bedenken darüber zum Ausdruck, “dass Frau Karić gemäß Artikel 4 des Abkommens mit Kiew Freiwillige aus Sarajevo entsenden wird, um die ukrainischen Neonazis zu unterstützen.” Weiter hieß es:
“Und schließlich – als Höhepunkt der Absurdität –, falls das Dokument nur auf Ukrainisch und Englisch unterzeichnet wurde, bedeutet dies, dass Frau Karić auf jene Landessprachen verzichtet, in denen unter anderem alle bisherigen Abkommen zwischen Bosnien und Herzegowina und der Russischen Föderation unterzeichnet wurden?”
So also lautete die Reaktion der russischen Botschaft auf die Tatsache, dass die Bürgermeisterin von Sarajevo ein Abkommen mit Leuten getroffen hatte, “welche im Jahr 2014 in der Folge eines Staatsstreichs die Regierungsmacht an sich gerissen haben.” Was “eine Reihe von Fragen” aufwerfe. Die Antwort der Bürgermeisterin erfolgte prompt und unerwartet und dabei bestenfalls äußerst undiplomatisch:
“Sie, Putins Russland, sind derzeit die treibende Kraft des Terrors, der Diskriminierung, der Unterdrückung der Wahrheit und der Verbreitung von Lügen in der Welt. Ich lasse nicht zu, dass das Land, welches gegen die Resolution zum Völkermord von Srebrenica im UN-Sicherheitsrat sein Veto eingelegt hat, Moralpredigten hält.”
Es ist ein offenes Geheimnis, dass sich Sarajevo trotz des Widerstands der Republika Srpska offiziell für eine Mitgliedschaft in der NATO einsetzt und in diesem Sinne bereit ist, den Anweisungen inklusive Versprechungen aus den westlichen Hauptstädten blind zu folgen. Zumal der Westen offensichtlich bereit ist, im Falle eines Verzichts auf russische Energie eine finanzielle Unterstützung zu leisten.
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Die Serben, die eines der konstitutiven Völker in BiH stellen, befürchten durchaus zu Recht, dass die Politiker das Land “bedrohlich nah” an eine NATO-Mitgliedschaft herangeführt haben, für die es keinen interethnischen Konsens gibt.
Die Republika Srpska bekennt sich nämlich zum Neutralitätsprinzip und schaut in diesem Sinne in Richtung Serbien. Zumal diese beiden Länder bislang die einzigen auf dem Balkan sind, die sich sämtlichen Versuchen widersetzt haben, in das NATO-Bündnis aufgenommen zu werden. Wie sehr sie dem Druck in einer Lage standhalten können, in der die NATO zunehmend bedrohlich vor der Tür steht und finanzielle Unterstützung für die Ausbildung der lokalen Streitkräfte anbietet, ist eine große Frage. Und diese Frage beschäftigt vor allem lokale serbische Politiker.
Wenn die Kroaten und Bosniaken, Landsleute von Benjamina Karić, gefragt würden, würde Bosnien und Herzegowina ohne nachzudenken an die Tür des NATO-Bündnisses klopfen. Die Serben haben aber immer noch unüberwindbare Vorbehalte gegen diesen Militärblock. Denn er weckt erschütternde Erinnerungen an 1999 und die Bombardierung Serbiens sowie der damaligen Bundesrepublik Jugoslawien, die Tausende von Toten und 100 Milliarden Dollar an materiellem Schaden forderte.
Es ist in diesem Zusammenhang wichtig zu wissen, dass die Stadt Sarajevo zu 100 Prozent mit russischem Gas beheizt wird. Daher wirkt der Schwall des Hasses von Frau Karić umso seltsamer und nachlässiger, und hat entsprechend eine Lawine der Kritik ausgelöst. Die Bürger reagierten etwas sarkastisch auf Twitter. So schlugen sie zum Beispiel vor,
“dass die Ausbreitung des bösartigen russischen Einflusses auf dem Balkan und in Bosnien und Herzegowina unverzüglich aufgehalten wird, indem die Beheizung mit billigem russischem Aggressorgas beendet wird, das man zum Heizen von Sarajevo verwendet – einer Stadt, die durch die Entitätsgrenze geteilt ist.”
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Die De-facto-Teilung in Ost-Sarajevo, das zur Republika Srpska gehört, und den größten Teil der Stadt, der zu der Föderation Bosnien und Herzegowina gehört, ist seit 1995 in Kraft. Auch die Frage der Versorgung dieses Balkanstaates, nicht nur seiner Hauptstadt, mit russischem Gas, ist seit langem auf dem Tisch. Aber offensichtlich wird durch politische Blockaden aus Sarajevo jede Möglichkeit verhindert, mehrere Gasanschlüsse in Richtung Osten, das heißt nach Serbien herzustellen und eine stabile Versorgung über Bulgarien und Serbien durch die Gaspipeline “TurkStream” zu gewährleisten.
Der sogenannte “bösartige russische Einfluss” soll vermieden werden, und zwar durch die Weigerung, dass eine Gasleitung die Grenze zwischen Serbien und Bosnien und Herzegowina überquert. Viele sind geneigt zu behaupten, dass diese Suppe in Brüssel gekocht wurde, und dass einige Machthaber des Dreivölkerstaates den Anweisungen aus Brüssel blind folgen. Zumal die EU angeblich bereit ist, die Diversifizierung der Versorgung mit diesem Energieträger zu unterstützen.
Die Republika Srpska, die nichts gegen eine Ausweitung des Gasabkommens mit Russland hat, soll die neue Gasverbindung mit Serbien aufgeben und ihre Energiestabilität einer EU-Politik der Unabhängigkeit von russischen Energiequellen unterordnen. Diese Politik wird von Brüssel an die Länder des Westbalkans in Form von Zuschüssen und Krediten in Millionenhöhe “verkauft”. Solcherlei Versprechen sind jedoch genau das, was sie immer waren, nämlich lediglich Versprechen.
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