Quelle: AFP © Ivan Flores / AFP Die peruanische Polizei geht mit Panzern und Tränengas gegen Demonstranten gegen die Putsch-Präsidentin Dina Boluarte vor. (Cusco / Peru, 11. Januar 2023)
Eine Analyse von Ociel Ali Lopez
Was in den ersten Tagen des neuen Jahres in Brasilien und Peru passiert ist, zeigt das latente Risiko in den lateinamerikanischen Demokratien, wenn die sozial und ökologisch orientierten Kräfte versuchen, ihre früher erzielten und von rechten Regierungen zunichte gemachten Fortschritte wiederherzustellen. Oder wenn sie – gemäß dem neuen Wahlmandat der Bevölkerung – versuchen sollten, einmal erreichte demokratische Veränderungen noch weiter zu vertiefen. Der konservative Zyklus, der die Region in den letzten fünf Jahren beherrschte, hat vieles blockiert oder eliminiert. Die alles dominierende Presse- und Medienlandschaft lieferte den Diskurs für das neoliberale Modell, verbreiterte die konservative Basis und polarisierte die lateinamerikanischen Gesellschaften.
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Die Ereignisse zeigen auch, wozu die rechtsradikalen Parteigänger in der Lage sind, wenn sie die Regierungsgewalt durch legitime Wahlen verlieren und beschließen, den Boden der Verfassung zu verlassen.
Der knappe Wahlsieg Lulas in Brasilien, wo die Anhänger Bolsonaros den Senat beherrschen, zwingt ihn nun von Anfang an, politische Bündnisse einzugehen, die seinen Reformplänen wiederum Grenzen setzen werden. Dennoch könnten die gemäßigten Kräfte der Rechten und der politischen Mitte seiner Regierung mehr Stabilität verschaffen, auch wenn er dadurch gezwungen ist, auf tiefgreifende Reformen in Fragen der Gleichberechtigung und des Kräftegleichgewichts im Staat zu verzichten.
In Brasilien kam der rechte Aufstand trotz seiner alarmierenden Aktionen nicht weiter voran, zumindest nicht beim ersten Anlauf. Andererseits gelang es ihm in Peru, die Regierung an sich zu reißen und versucht jetzt, die Lage mit extremer Gewalt zu stabilisieren. Er setzt vor aller Welt und ohne Komplexe all die außergesetzliche Willkür ein, zu der die radikale Rechte in der Lage ist.
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In Peru ist die Situation besorgniserregender als in Brasilien. Einerseits, weil der Staatsstreich bereits real stattgefunden hat und seine Vollstrecker sich nun eiserner Mechanismen bedienen, um an der Macht zu bleiben. Der Mord an 48 Demonstranten, die innerhalb weniger Tage erschossen wurden, die Ausgangssperre, die Verhaftungen, Drohungen usw. zeigen, dass die Rechte versucht, sich mit allen Mitteln an der Macht festzukrallen.
Aber andererseits ist langfristig gesehen vielleicht das Wichtigste, dass die Rückkehr zur institutionellen Normalisierung sehr komplex und schwierig sein wird, denn die Oligarchie in der Hauptstadt Lima und insgesamt die Ultrarechte unter Führung der Tochter des Diktators Fujimori dominieren die staatlichen Strukturen und die Medien.
Damit hat sich in beiden Ländern, insbesondere aber in Peru, eine Kluft quer durch die ganze Bevölkerung vertieft. Heute zeigt sich eine Gefährdung des geografischen Bestands mehrerer Nationen durch rechtsradikale Bewegungen – sei es in der Opposition oder in der bereits etablierten Regierungsgewalt. Die separatistischen Umtriebe in Boliviens reichster Provinz Santa Cruz, die stark geografisch aufgeteilte Polarisierung zwischen rechts und links in Brasilien, und in Peru die heftige Widerstandsbewegung der ländlichen Bevölkerung im Süden des Landes und die extreme Repression durch Polizei und Militär.
Die Spaltung der Gesellschaft vertieft sich
In Peru finden die größten Demonstrationen und die schärfste Repression vor allem im Süden des Landes statt. Die südlichen Bergregionen, mit den Departments Apurímac, Puno, Cusco, Ayacucho und Arequipa und ihrer überwiegend indigenen und bäuerlichen Bevölkerung sind das abgelegenste und verarmteste Gebiet des Landes. Es sind Provinzen, die den nun gestürzten Präsidenten Pedro Castillo mit überwältigender Mehrheit unterstützen, der dort in einigen Fällen mehr als 80 Prozent Zustimmung erhielt.
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Als es im November 2020 nach Demonstrationen in Lima zu zwei Todesfällen durch die Polizei kam, musste der damalige Präsident Manuel Merino aufgrund des Skandals zurücktreten. Als Anfang Januar 2023 die Polizei im Süden fast fünfzig Demonstranten erschoss, gabt es in Lima keine vergleichbaren Proteste.
Dies könnte bedeuten, dass Morde an Demonstranten im Süden nicht so schwer wiegen wie in der Hauptstadt. Man hat den Süden politisch kurzerhand zum “Terroristengebiet” erklärt. Damit diskriminiert das rechte politische und mediale Spektrum die sozialen, demokratischen, fortschrittlichen Kräfte und Bewegungen. Das ist der Diskurs einer Kriminalisierung, mit der auch die härteste Repression bis hin zur Ermordung Dutzender von Mitbürgern legitimiert werden soll. Die Methode stammt aus den 1980er Jahren, als man damit die Guerillaorganisation Sendero Luminoso (Kommunistische Partei Perus – Leuchtender Pfad) bekämpfte, obwohl dieses Schema auch bereits in den Diktaturen Lateinamerikas in den 1970er Jahren gegen bewaffnete linksorientierte Gruppen angewendet wurde.
Heute verwendet die Putschregierung Perus diesen Begriff erneut, um die gegenwärtige aufständische Bürgerbewegung mit ihren legitimen politischen Forderungen zu kriminalisieren– ein klassischer faschistischer Mechanismus.
Unabhängigkeit der Staatsgewalten
Egal wie vereinnahmt die peruanische Demokratie ist, eine Reaktion seitens einer staatlichen Institution könnte ein gewisses Maß an Gewaltenteilung noch aufrechterhalten.
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Der Generalstaatsanwalt der Republik hat eine Untersuchung wegen Völkermords gegen die De-facto-Präsidentin Dina Boluarte eingeleitet. Aufgrund des Ausmaßes der Ereignisse und der beobachteten Straflosigkeit ist dies ein Zeichen für eine logische institutionelle Reaktion.
Aber es ist immer noch nicht abschätzbar, ob die angekündigten Ermittlungen darauf abzielen, dem Putsch gegen Pedro Castillo einen demokratischen Anschein zu geben, oder ob es sich im Gegenteil um erste Reaktionen auf die Forderungen der Demonstranten handelt: Neuwahlen, Verfassungsänderung, Rücktritt von Boluarte, Rückkehr von Castillo.
Die Herausforderung der Demokratie durch die radikale Rechte steht erst am Anfang
Der neue progressive Regierungszyklus sieht sich riskantesten Bedrohungen gegenüber und wir wissen noch nicht, wie sie zu überwinden sind. Denn die reaktionären Kräfte haben sich ausgebreitet und eine immensen Macht angesammelt.
Der brasilianische institutionelle Rahmen und die Führungen der politischen Parteien haben sich überwiegend als viel kompetenter im Umgang mit dem Ausbruch der Rassisten erwiesen. Doch die angesammelte Macht der Bolsonaro-Bewegung im Kongress und in den Regionen ist eine reale, noch unkalkulierbare Bedrohung für die Demokratie. Vor allem die soziale und ethnische Polarisierung wurde in beiden Ländern als zentrales Thema im politischen Diskurs von rechts mit Erfolg propagiert. Wahrscheinlich können diese Konflikte kurzfristig nicht überwunden werden.
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Bolsonaro appellierte an den immer noch latent vorhandenen Rassismus in der brasilianischen Gesellschaft und beschuldigte die Armen, Indigenen und Afrobrasilianer als Mitverursacher der Wirtschaftskrise. Die Kosten des Sozialstaates würden die unter Lula aufgestiegene Mittelschicht mit erneuter Verarmung bedrohen, was einen fruchtbaren Boden für rechte Hasstiraden schuf.
Die Demokratie wurde am stärksten getroffen, und die Aktionsformen der Rechten lassen latent die Möglichkeit der Rückkehr von Militärdiktaturen in Lateinamerika offen. Zudem kommt der historische, fünfhundert Jahre dauernde Überlebenskampf der unterdrückten Bevölkerungsgruppen in Lateinamerika immer deutlicher zum Ausdruck.
Übersetzt aus dem Spanischen .
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