Analyse Die Eliten haben entschieden: Europa zieht in den Krieg gegen Russland
Manchmal ist es schwierig, den Unterschied zwischen dem, was man vorhersagt, und dem, was man sich wünscht, zu erkennen. Aber dies wäre sicherlich meine Wahl, wenn ich für die russische Planung verantwortlich wäre: nach Süden entlang des Westufers des Flusses Oskol auf der Achse Kupjansk-Isjum und ein gleichzeitiger Angriff nach Norden an Saporoschje vorbei auf Pawlograd. In diesem Fall glaube ich, dass ein Umgehen von Saporoschje besser wäre als sich dort in einem urbanen Nahkampf zu verzetteln.
Ob Russland dies tatsächlich versuchen wird, wissen wir nicht. Die russische operative Geheimhaltung ist viel besser als jene der Ukraine oder jene von Wagner oder der Truppen der LVR und DVR, daher wissen wir wesentlich weniger über die Vorhaben Russlands als über jene der Ukraine. Ungeachtet dessen wissen wir aber, dass Russland über eine starke Überlegenheit an Kampfkraft verfügt, und es liegen attraktive operative Ziele in Reichweite.
Bitte mein Herr, ich will mehr
Die Sicht aus der Vogelperspektive auf diesen Konflikt offenbart die faszinierende Metastruktur dieses Konflikts. Im oberen Abschnitt dieser Analyse beschrieb ich die Sichtweise einer um die russischen Streitkräfte herum strukturierten Front, die nach und nach die aufeinanderfolgenden ukrainischen Verteidigungsgürtel durchbricht. Ich denke, dass eine ähnlich fortschreitende Struktur bei der Steigerung der Kräfte in diesem Krieg auszumachen ist, mit der Russland eine Reihe ukrainischer Einheiten zerstört.
Lassen Sie mich etwas konkreter werden. Während das ukrainische Militär zumindest als Institution teilweise existiert, wurde ihre Kampfkraft bis zum jetzigen Zeitpunkt mehrfach zerstört und durch westliche Hilfe wieder aufgebaut. Es lassen sich somit drei Phasen – Lebenszyklen, wenn man so will – identifizieren:
Nach dieser anfänglichen Erschütterung wurde die ukrainische Kampfkraft erneut gestärkt, indem praktisch alle Bestände an sowjetischen Waffen aus den Depots der ehemaligen Länder des Warschauer Pakts transferiert wurden. Dabei wurden sowjetische Fahrzeuge und Munition, die mit den bestehenden ukrainischen Waffensystemen kompatibel waren, aus Ländern wie Polen und der Tschechischen Republik geliefert. Diese Phase war bis Ende des Frühjahrs 2022 größtenteils abgeschlossen. Anfang Juni mussten die westlichen Quellen jedoch einräumen, dass die sowjetischen Lagerbestände erschöpft sind.
Nachdem nun also die Lagerbestände des ehemaligen Warschauer Pakts aufgebraucht waren, begann die NATO, zerstörte ukrainische Waffen durch westliche zu ersetzen, und zwar in einem Prozess, der im vergangenen Sommer seinen Anfang nahm. Besonders hervorzuheben sind Haubitzen wie die amerikanische M-777 und die französische Caesar.
Russland hat im Wesentlichen mehrere Neuauflagen der ukrainischen Armee bekämpft. Zuerst die Zerstörung der Vorkriegs-Streitkräfte in den ersten Monaten des Konflikts, dann der Kampf gegen Einheiten, die mit Beständen des ehemaligen Warschauer Paktes ausgerüstet wurden. Nun dezimiert es eine Streitmacht, die sich weitgehend auf westliche Waffensysteme stützt.
Dies führte zum inzwischen berühmten Interview von General Saluschny mit der Zeitschrift The Economist , in dem er um viele Hundert Kampfpanzer, Infanterie-Kampffahrzeuge und Artilleriegeschütze bat. Tatsächlich bat er um eine komplette Armee, da die Russen bereits im Begriff waren, jene zu zerstören, die er zu diesem Zeitpunkt noch hatte.
Ich möchte nachfolgend auf einige besondere Bereiche hinweisen, in denen die Fähigkeiten der Ukraine eindeutig über ein akzeptables Maß hinaus herabgesetzt wurden, und erläutern, wie dies mit den Bemühungen der NATO zusammenhängt, die ukrainischen Kriegsanstrengungen aufrechtzuerhalten.
Als Erstes: Die Artillerie
Russland priorisiert seit vielen Wochen den Einsatz von Gegenartillerie und scheint damit beim Aufspüren und Zerstören ukrainischer Artillerie großen Erfolg zu haben. Es scheint, dass dies teilweise mit dem Einsatz eines neuen Systems zum Aufspüren der gegnerischen Artillerie vom Typ “Penicillin” zusammenhängt. Dieses ist ein ziemlich nettes und neues Werkzeug im russischen Arsenal. Gegenartillerie-Gefechte bestehen im Allgemeinen aus einem gefährlichen Duett von Waffen und Radarsystemen. Das Gegenartillerie-Radar hat die Aufgabe, die Artillerie des Feindes zu erkennen und zu lokalisieren, damit sie durch die eigene Artillerie zerstört werden kann. Das Spiel ist ungefähr analog zu verfeindeten Teams von Scharfschützen – die Artillerie – und Spähern – dem Radarsystem –, die versuchen, sich gegenseitig umzubringen. Und natürlich ist es auch sinnvoll, die Radarsysteme der gegnerischen Seite zu beschießen, um den Feind sozusagen blind zu machen.
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Das “Penicillin”-System bietet neue starke Fähigkeiten für Russlands Gegenartillerie, da es feindliche Artilleriebatterien nicht mittels Radar, sondern durch akustische Ortung lokalisiert. Es verfügt über einen ausfahrbaren Horchmast, der in Koordination mit einigen Bodenkomponenten in der Lage ist, feindliche Geschütze durch seismische und akustische Ortung zu lokalisieren. Der Vorteil dieses Systems besteht darin, dass es im Gegensatz zu einem Radar, das Funkwellen aussendet und damit seine Position preisgibt, passiv bleibt – es steht einfach still da und lauscht. Das bedeutet, dass es dem Feind keine leichte Möglichkeit bietet, es zu lokalisieren. Infolgedessen fehlt der Ukraine in der Gegenartillerie derzeit eine passende Fähigkeit, die Russen blind zu machen – oder vielmehr taub. Außerdem wurden die Fähigkeiten der russischen Gegenartillerie durch den verstärkten Einsatz der Drohne vom Typ Lancet massiv erweitert.
Abgesehen davon hat Russland in letzter Zeit ziemlich viel an ukrainischer Artillerie zerstört. Das russische Verteidigungsministerium legt Wert darauf, den Erfolg der Gegenartillerie hervorzuheben. Nun, ich weiß, dass einige an diesem Punkt sagen werden: “Warum sollte man dem russischen Verteidigungsministerium Glauben schenken?” In Ordnung. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.
Am 20. Januar berief die NATO ein Treffen auf dem Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Deutschland ein, und zwar vor dem Hintergrund, dass ein massives neues militärisches Hilfspaket für die Ukraine geschnürt werden soll. Dieses Hilfspaket enthält, siehe da, eine riesige Menge Artilleriegeschütze. Nach meiner Zählung umfasst die in der vergangenen Woche angekündigte Hilfe fast 200 Artillerieeinheiten. Mehrere Länder, darunter Dänemark und Estland, schicken der Ukraine buchstäblich alle ihre Haubitzen. Nennen Sie mich verrückt, aber ich bezweifle ernsthaft, dass mehrere Länder spontan und genau zur selben Zeit beschließen würden, der Ukraine ihren gesamten Bestand an Artilleriegeschützen zu überlassen, wenn die Ukraine nicht mit riesigen Verlusten ihrer Artillerie konfrontiert wäre.
Überdies haben die Vereinigten Staaten neue, beispiellose Schritte unternommen, um die Ukraine mit Artilleriegranaten zu versorgen. In der vergangenen Woche haben sie ihre Lagerbestände in Israel und Südkorea geplündert, während sich Berichte häufen, dass die amerikanischen Vorräte an Granaten dermaßen erschöpft sind, dass es mehr als ein Jahrzehnt dauern wird, sie wieder aufzufüllen.
Überprüfen wir die Sachlage und sehen uns an, ob eine vernünftige Schlussfolgerung daraus gezogen werden kann:
Ich persönlich halte es angesichts des oben Aufgeführten für vernünftig anzunehmen, dass die Artilleriefähigkeiten der Ukraine weitgehend zerschmettert sind und die NATO nun versucht, sie wiederaufzubauen.
Ein Königreich für einen Panzer
Der Hauptstreitpunkt der letzten Wochen war, ob die NATO der Ukraine Kampfpanzer zur Verfügung stellen soll oder nicht. General Saluschny deutete in seinem Interview mit dem Economist , in dem er Hunderte von Panzern forderte, auf einen stark ausgedünnten Vorrat an ukrainischen Panzern hin. Die NATO hat versucht, eine Notlösung anzubieten, indem sie der Ukraine verschiedene gepanzerte Fahrzeuge wie den Bradley und den Stryker zur Verfügung gestellt hat, die eine gewisse Mobilität wiederherstellen. Aber man muss unmissverständlich festhalten, dass diese in keiner Weise Kampfpanzer ersetzen und weit hinterherhinken, was Panzerung und Feuerkraft betrifft. Der Versuch, den Bradley etwa als Kampfpanzer einzusetzen, wird nicht funktionieren.
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Bisher sieht es so aus, als würde die Ukraine eine Handvoll Panzer vom Typ Challenger aus Großbritannien erhalten, und es wurde auch darüber debattiert, deutsche Panzer vom Typ Leopard, amerikanische Abrams und französische Leclercs zu liefern. Wie üblich wird der Einfluss von Panzern auf das Geschehen auf dem Schlachtfeld sowohl von ukrainischen Propagandisten und russischen Pessimisten stark übertrieben als auch von russischen Triumphalisten stark unterschätzt. Ich schlage einen Mittelweg vor.
Die Zahl der Panzer, die der Ukraine vernünftigerweise zur Verfügung gestellt werden können, ist relativ gering, einfach wegen der Ausbildung der Besatzungen und der Logistik beim Unterhalt. Alle oben genannten Panzertypen verwenden unterschiedliche Munition, verfügen über spezielle Komponenten und erfordern eine individuelle Ausbildung. Sie gehören nicht zu der Art von Waffensystemen, die von einer ungeschulten Besatzung einfach von der Garage direkt in den Kampf gefahren werden können. Die ideale Lösung für die Ukraine wäre, nur Leopard A24 zu bekommen, da diese in vernünftiger Anzahl – vielleicht ein paar Hundert – verfügbar sein könnten und sie zumindest ein standardisierter Typ wären.
Wir sollten natürlich auch anmerken, dass die westlichen Panzer wahrscheinlich keinen großen Einfluss auf die Entwicklungen auf dem Schlachtfeld haben werden. Die begrenzten Fähigkeiten des Leopard zeigten sich bereits bei den türkischen Operationen in Syrien. Man beachte das folgende Zitat aus dem verlinkten Artikel von 2018:
“Angesichts der Tatsache, dass dieser Panzer in großer Zahl bei NATO-Mitgliedern im Einsatz ist – darunter Kanada, die Niederlande, Dänemark, Griechenland und Norwegen –, ist es besonders peinlich mitanzusehen, dass er so ohne Weiteres von syrischen Terroristen zerstört werden kann, zumal er entwickelt wurde, um es mit der russischen Armee aufzunehmen.”
Letztendlich ist der Leopard ein ziemlich banaler Kampfpanzer, der in den 1970er-Jahren entworfen wurde und vom russischen T-90 übertroffen wird. Der Leopard ist eine schreckliche Waffe, aber kaum ein Schrecken auf dem Schlachtfeld. Es wird Verluste geben und die Anzahl wird dezimiert werden, genauso wie der Fuhrpark an Panzern der Ukraine von vor dem Krieg. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass eine ukrainische Armee mit ein paar Kompanien, die mit Leopard-Panzern ausgestattet sind, mächtiger sein wird als eine ohne.
Ich denke, es ist vernünftig zu behaupten, dass die folgenden drei Aussagen zutreffen:
Allerdings sieht es nicht danach aus, dass die NATO der Ukraine Kampfpanzer liefern will. Zunächst wurde vorgeschlagen, eingemottete Panzer zu entstauben und nach Kiew zu schicken; die Hersteller erklärten jedoch, dass diese Fahrzeuge nicht funktionstüchtig sind und erst 2024 kampfbereit sein würden. Damit bleibt nur noch die Möglichkeit, direkt auf NATO-eigenen Panzerbestände zurückzugreifen, womit man aber bisher zögert.
Deutsche Kriegstreiber drehen durch: MDR-Kommentar fordert Nein zu Panzerlieferungen
Warum? Mein Verdacht wäre, dass die NATO nicht an einen ukrainischen Sieg glaubt. Die Ukraine kann nicht einmal im Traum daran denken, Russland ohne eine angemessene Panzertruppe von seinen derzeitigen Positionen zu verdrängen. Und so deutet die Zurückhaltung bei der Übergabe von Panzern darauf hin, dass die NATO dies ebenfalls für einen Traum hält. Stattdessen priorisiert sie weiterhin Waffen, mit denen die Fähigkeit der Ukraine unterstützt wird, eine statische Verteidigung aufrechtzuerhalten – daher die Hunderte von Artilleriegeschützen –, ohne in Anfälle von Euphorie über einen bevorstehenden großen ukrainischen Panzervorstoß auf die Krim zu verfallen.
Angesichts des intensiven kriegerischen Gedönses, das sich im Westen aufgebaut hat, ist aber denkbar, dass die politische Dynamik eine Lieferung von Panzern erzwingt. Es ist möglich, dass der Punkt erreicht wird, an dem der Schwanz mit dem Hund wedelt, während die NATO in ihrer eigenen Rhetorik der bedingungslosen Unterstützung der Ukraine gefangen bleibt, bis die Ukraine einen totalen Sieg erringt hat, und wir vielleicht doch noch Leopard-Panzer in der ukrainischen Steppe brennen sehen.
Zusammenfassung: Der Tod eines Staates
Das Militär der Ukraine ist extrem dezimiert, da es sowohl exorbitante Verluste an Soldaten als auch an schweren Waffen erlitten hat. Ich vermute, dass die Zahl der ukrainischen Gefallenen sich zu diesem Zeitpunkt den 150.000 nähert, und es ist klar, dass die Bestände an Artilleriegeschützen, Granaten und gepanzerten Fahrzeugen weitgehend erschöpft sind.
Ich gehe davon aus, dass die Bachmut-Sewersk-Verteidigungslinie vor April geräumt wird, woraufhin Russland in Richtung des letzten – und schwächsten – Verteidigungsgürtels um Slawjansk vordringen wird. Inzwischen hat Russland eine beträchtliche Kampfkraft in Reserve, die zur Wiedereröffnung der Nordfront am Westufer des Flusses Oskol und zur Wiederaufnahme der Offensivoperationen in Saporoschje genutzt werden kann, wodurch die ukrainische Logistik einer kritischen Ausdehnung ausgesetzt wird.
Dieser Krieg wird auf dem Schlachtfeld zu Ende geführt und voraussichtlich mit einem für Russland günstigen Ergebnis enden.
Aus dem Englischen
Big Serge ist ein amerikanischer Blogger und Militäranalyst. Man kann ihm auf Twitter unter @witte_sergei folgen.
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