Analyse 19 Jahre nach der US-Invasion in Irak: Hat der Westen etwas daraus gelernt?
Leider sollte es anders kommen. Die Waffeninspektoren kehrten in den Irak zurück, aber ihre Arbeit wurde auf Schritt und Tritt von den USA unterminiert, die versuchten, die Erkenntnisse aus den Inspektionen zu diskreditieren. Dann, an dem schicksalhaften Abend des 28. Januar 2003, trat US-Präsident Bush vor den versammelten Kongress, um aufgrund einer angeblichen Bedrohung durch den Irak und seiner – nie gefundenen – Massenvernichtungswaffen für den Krieg zu plädieren.
Die Argumente von Busch waren für mich nicht neu. Tatsächlich hatte ich stets versucht, sie zu entkräften. Im Juni 2000 hatte ich auf Bitten des demokratischen Senators John Kerry meine Gegenargumente schriftlich dargelegt und einen langen Artikel im Fachjournal Arms Control Today veröffentlicht, der an Mitglieder des Kongresses verteilt wurde. Im Jahr 2001 hatte ich einen Dokumentarfilm In Shifting Sands (“Im Treibsand”) gedreht, um der amerikanischen Öffentlichkeit die Wahrheit über die irakischen Massenvernichtungswaffen, den Stand ihrer Abrüstung und die Unzulänglichkeiten der US-Argumente für einen Krieg näher zu bringen.
Trotz allem verkündete der Präsident nun vor dem Kongress einen auf Lügen basierenden Grund für einen Krieg gegen den Irak:
“Vor fast drei Monaten gab der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Saddam Hussein eine letzte Chance zur Entwaffnung. Stattdessen hat Saddam eine völlige Verachtung für die Vereinten Nationen und für die Meinung der Welt gezeigt.”
Bush behauptete, dass der Irak es versäumt habe, mit den UN-Waffeninspektoren zusammenzuarbeiten und dass es Aufgabe des Iraks gewesen sei, “zu zeigen, wo seine verbotenen Waffen versteckt sind, diese Waffen der Weltgemeinschaft zu zeigen und sie wie angewiesen zu zerstören” .
Der Irak hatte erklärt, dass er keine Massenvernichtungswaffen mehr habe und daher nicht in der Lage sei, irgendjemandem zu zeigen, wo nicht existierende Waffen “versteckt” sind.
Der US-Präsident stellte in seiner Rede Behauptungen über nicht nachgewiesene biologische Waffen, wie Anthrax und Botulinumtoxin, Sarin, Senfgas und VX auf.
“Die Internationale Atomenergiebehörde bestätigte in den 1990er Jahren, dass Saddam Hussein ein fortgeschrittenes Programm zur Entwicklung von Atomwaffen betrieb, einen Entwurf für eine Atomwaffe besaß und an fünf verschiedenen Methoden zur Anreicherung von Uran arbeitete” ,
sagte Bush weiter. Letzteres war zutreffend – ich war einer der Inspektoren auf der Suche nach dem Atomwaffen des Irak. Und dann sprach der Präsident Worte, die fortan als Schande in Erinnerung bleiben würden:
“Die britische Regierung hat herausgefunden, dass Saddam Hussein kürzlich in Afrika nach erheblichen Mengen Uran gesucht hat.”
CIA-Direktor George Tenet musste später vor dem Kongress zugeben, diese Worte hätten “niemals in die für den Präsidenten geschriebene Rede aufgenommen werden dürfen” . Laut Tenet war die Behauptung bezüglich der Existenz eines britischen Geheimdienstberichts zwar zutreffend, doch die CIA selbst hatten ihm kein Vertrauen geschenkt.
“Der Bericht des britischen Geheimdienstes konnte nicht das Maß an Gewissheit schaffen, das für eine Rede des Präsidenten erforderlich sein sollte” , sagte Tenet. “Die CIA hätte sicherstellen müssen, dass diese Worte aus der Rede entfernt werden.”
US-Präsident George W. Bush während seiner Rede zur Lage der Nation am 28. Januar 2003 vor dem versammelten Kongress im US-Kapitol in Washington. Tim Sloan / AFP
Tatsache ist, dass die Gründe für einen Krieg gegen den Irak, die Präsident Bush vorgebracht hat, Lügen waren und die CIA an der Verbreitung dieser Lügen mitschuldig war. Der einzige Zweck dieser Lügen war es, im Kongress und im amerikanischen Volk Angst zu schüren und den Irak – insbesondere Saddam Hussein –als eine kriegswürdige Bedrohung darzustellen.
Bush fuhr fort:
“Jahr für Jahr hat Saddam Hussein große Anstrengungen unternommen, enorme Summen ausgegeben und ist große Risiken eingegangen, um Massenvernichtungswaffen zu entwickeln und zu unterhalten. Aber wieso? Die einzig mögliche Erklärung, die einzig mögliche Verwendung, die er für diese Waffen haben könnte, ist zu dominieren, einzuschüchtern oder anzugreifen.”
Mit Atomwaffen oder einem Arsenal chemischer und biologischer Waffen könnte Saddam Hussein seine Eroberungsambitionen im Nahen Osten wieder aufnehmen und tödliche Verwüstung anrichten, behauptete Bush. Er appellierte an die frischen Wunden der Nation:
“Der Kongress und das amerikanische Volk müssen diese Bedrohung erkennen. Geheimdienstquellen (…) beweisen, dass Saddam Hussein Terroristen unterstützt und schützt, einschließlich Mitglieder der Al Qaida. Heimlich und ohne Spuren zu hinterlassen, könnte er Terroristen eine seiner versteckten Waffen zur Verfügung stellen oder ihnen dabei helfen, ihre eigenen zu entwickeln. Vor dem 11. September glaubten viele, dass Saddam Hussein eingedämmt werden könnte. Aber chemische Kampfstoffe, tödliche Viren und undurchsichtige Terrornetzwerke sind nicht einfach so einzudämmen. Man stelle sich diese 19 Flugzeugentführer mit anderen Waffen und anderen Plänen vor, diesmal bewaffnet von Saddam Hussein. Es würde eine Ampulle, einen Kanister, eine Kiste reichen (…) um einen Tag des Schreckens zu veranstalten, wie wir ihn noch nie erlebt haben.”
Der Präsident ging über zum Kern seiner Rede:
“Die Vereinigten Staaten werden den UN-Sicherheitsrat ersuchen, am 5. Februar zusammenzukommen, um die Tatsachen des Verhaltens des Irak gegenüber der Weltgemeinschaft zu erörtern. Außenminister Colin Powell wird Informationen und Erkenntnisse über die illegalen Waffenprogramme des Irak, seine Versuche, diese Waffen vor Inspektoren zu verstecken, und seine Verbindungen zu terroristischen Gruppen präsentieren.”
Dann blickte er in die Kamera und wandte sich direkt an das amerikanische Volk:
“Wir werden uns beraten , aber es darf kein Missverständnis aufkommen: Wenn Saddam Hussein für die Sicherheit unseres Volkes und für den Frieden in der Welt nicht vollständig abrüstet, werden wir eine Koalition anführen, um ihn zu entwaffnen.”
Scott Ritter: Der Ukraine-Krieg wird in wenigen Monaten entschieden sein
Ich starrte auf den Fernsehbildschirm und mir wurde übel. Die Rede des Präsidenten zur Lage der Nation bestand aus Lügen. Alles Lügen. Ich hatte jede Unze meiner Energien aufgewendet, um sie zu entlarven, ohne Erfolg. Mein Land stand kurz davor, auf der Grundlage von Worten, von denen ich wusste, dass sie gelogen waren, in einen Krieg zu ziehen. Und ich konnte nichts mehr tun, um dies zu verhindern.
Übersetzt aus dem Englischen.
Scott Ritter ist ein ehemaliger Geheimdienstoffizier des US Marine Corps. Er diente in der Sowjetunion als Inspektor bei der Umsetzung des INF-Vertrags, im Stab von General Schwarzkopf während des Golfkriegs und von 1991-1998 als UN-Waffeninspektor. Man kann ihm auf Telegram folgen.
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