Quelle: www.globallookpress.com © Lian Yi Zentrale von Credit Suisse, 4. April 2023
Von Dagmar Henn
Man denkt unwillkürlich an die Mitte der 1990er zurück, wenn man die Meldung liest, der US-Senat habe Vorwürfe gegen die Schweizer Bank Credit Suisse erhoben, weil sie teils bis 2020 Konten von Nazis geführt und die Ermittlungen dazu erschwert habe.
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Damals, Mitte der 1990er, kam als Erstes das Thema der “nachrichtenlosen Konten” auf; Konten, die beispielsweise deutsche Juden angelegt hatten, um ihr Geld vor den Nazis zu retten, die aber dann dieses Geld nicht wieder in Besitz nehmen konnten, weil sie ermordet wurden. Diese “nachrichtenlosen Konten” wurden über Jahrzehnte hinweg von den Banken weiter gehalten, ohne größere Bemühungen, mögliche Erben zu finden. Nachdem erst dieses Verhalten der Banken zum Skandal wurde, tauchte die Frage auf, wie viel etwa durch Angehörige der SS geraubte Reichtümer ebenfalls auf Schweizer Konten lagen.
Dabei sollte man den moralischen Anspruch dieser Auseinandersetzung nicht ungeprüft hinnehmen – die damalige Kampagne wurde vor allem aus den USA und aus Großbritannien gefördert, und beide waren dabei, ihre eigenen Konkurrenzangebote zur Schweiz zu lancieren, mit Delaware, Virgin Islands und den Kanalinseln, die im Vergleich schon allein deshalb moralisch sauberer wirkten, weil sie Mitte des vergangenen Jahrhunderts dieses Geschäft noch nicht betrieben. Was wie ein Bestreben nach historischer Gerechtigkeit aussah, hatte ganz nebenbei die Wirkung, Finanzströme zu diesen neuen Angeboten umzuleiten.
Im März 2020 hatte Credit Suisse nach Vorwürfen des Simon-Wiesenthal-Zentrums, die Bank halte während des Holocaust geraubte Gelder, eine interne Untersuchung eröffnet. Im Juni 2022 wurde diese Untersuchung “vorübergehend pausiert”, und der US-Anwalt Neil Barofsky, ehemaliger Staatsanwalt aus New York, der als Unabhängiger hinzugezogen worden war, wurde im November 2022 entlassen.
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Der Haushaltsausschuss des US-Senats erklagte sich Zugang zu den Ergebnissen der Untersuchung. So der Republikaner Chuck Grassley, Mitglied dieses Ausschusses: “Wenn es darum geht, Nazi-Fragen zu untersuchen, verlangt die Gerechtigkeit, dass wir jeden Stein umdrehen. Credit Suisse hat diesen Standard bisher nicht erreicht. Auch wenn Credit Suisse ursprünglich zustimmte, die Beweise für zuvor nicht identifizierte, mit Nazis verbundene Konten zu untersuchen, die das Ergebnis des unaufhaltsamen Strebens des Simon-Wiesenthal-Zentrums nach Gerechtigkeit sind, zeigt die Information, die wir erhalten haben, dass die Bank unnötig rigide und enge Grenzen setzte und sich weigerte, neuen Hinweisen zu folgen, die während der Untersuchung entdeckt wurden.”
Die Informationen, die der Senatsausschuss letztlich erhielt, ergaben, dass Credit Suisse Konten von mindestens 99 Personen geführt hatte, die entweder führende Nazis in Deutschland waren oder zu entsprechenden Emigrantengruppen in Argentinien gehörten. Einige dieser Konten bestanden noch bis 2020. Unter den Konteninhabern befand sich mindestens ein in Nürnberg verurteilter Kriegsverbrecher.
Credit Suisse, so der Vorwurf aus dem US-Haushaltsausschuss, habe Hinweise zu Konten von in Bolivien lebenden Nazis nicht verfolgt, habe nicht untersucht, inwieweit Erben Zugang zu diesen Konten gehabt hätten und habe sich geweigert, Namen aus historischen Forschungen über die Rattenlinie der Untersuchung hinzuzufügen.
Nun stellt sich zuerst die Frage, was der US-Senat eigentlich mit einer internen Untersuchung einer Schweizer Bank zu tun hat. Man könnte diese Frage auch umkehren, nachdem auch in dem ursprünglichen Skandal eine entsprechende Einmischung der USA vorlag: Solche Fälle werden genutzt, um für die USA die Position eines globalen Moralwächters zu beanspruchen. Dass der Anlass dafür Naziverbrechen und deren Profiteure sind, liegt vor allem daran, dass sich dieses Thema so vorzüglich eignet, einen solchen Anspruch zu erheben. Auch wenn vor dem Hintergrund der Zuneigung für ukrainische Nazis dieser Anspruch gerade etwas bizarr wirkt.
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Wenn man allerdings die historischen Fakten betrachtet, dann dürfte kaum jemand weniger Anspruch auf die Wahrheit in diesem Kontext erheben dürfen als die Vereinigten Staaten. Nicht nur, dass die Rattenlinie – die vom Vatikan betriebene Fluchtstrecke für führende Naziverbrecher nach Lateinamerika – mit Wissen und Billigung der CIA betrieben wurde, sobald es diese gab. Nein, die CIA selbst war Organisator mehrerer Wellen, in denen Nazis und Nazikollaborateure in die USA und nach Kanada gebracht wurden. “Operation Paperclip” war eine davon. In den 1980ern hat der US-Historiker Christopher Simpson ein dickes Buch darüber verfasst, und er kommt auf Zehntausende, die unter dem Schutz der CIA straffrei davonkamen.
Was auch nicht wundern muss, denn die Gebrüder Dulles, deren einer dann Chef der CIA wurde, hatten schon während des Zweiten Weltkriegs für den CIA-Vorläufer OSS in Bern Verhandlungen mit Vertretern der SS geführt, wie man das Personal dieser Verbrecherorganisation vor der Strafverfolgung bewahren könne. Während die einfachen US-Soldaten in den ersten Monaten nach Kriegsende jeden, der durch eine Blutgruppentätowierung als SS-Mitglied kenntlich war, sofort erschossen, waren Teile der US-Regierung bereits damit beschäftigt, möglichst große Teile von SS und Wehrmacht in Sicherheit zu bringen, um sie im Kalten Krieg nutzen zu können. Die Gebrüder Dulles eigneten sich besonders dafür, weil sie bereits seit den 1920ern in der Kanzlei Sullivan & Cromwell mit den Verbindungen zwischen IG Farben und Rockefeller zu tun hatten.
Christopher Simpson beschreibt, wie wichtig die Dokumente waren, die Reinhard Gehlen übergeben hatte, um die Wendung hin zum Kalten Krieg, gegen den Bündnispartner Sowjetunion, zu vollziehen. Gehlen, Nazioffizier und zuständig für Informationen über die Rote Armee, ließ sich 1945 mit mehreren Kisten Dokumenten von den US-Amerikanern gefangennehmen. Diese Dokumente waren gefälscht; durchaus vorstellbar, dass deren Erstellung Teil der Vereinbarungen zwischen den Gebrüdern Dulles und der SS gewesen war. Jedenfalls diente die vermeintliche sowjetische Bedrohung sehr bald als Rechtfertigung, gerade mit den schlimmsten Verbrechern schonend umzugehen. Davon profitierten auch in den Nürnberger Prozessen Verurteilte. Insbesondere die Wirtschaftsvertreter, die die Nazis an die Macht gebracht hatten, waren spätestens 1952 bereits wieder frei.
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Danach waren es vor allem die Behörden der DDR, die weiter nach Naziverbrechern suchten. In der Bundesrepublik gelangten sie hingegen wieder in Amt und Würden, so wie auch in der NATO. Dass das Simon-Wiesenthal-Zentrum sich auf die Rattenlinie konzentriert und die weit umfangreichere Operation Paperclip und deren Äquivalente ignoriert, hat sehr viel damit zu tun, dass der tatsächliche Umgang der Vereinigten Staaten mit Nazis im Kalten Krieg möglichst nicht in Erinnerung gerufen werden soll.
Credit Suisse, die jüngst von UBS übernommen werden musste, ist ein billiges Opfer, um wieder einmal ins Gedächtnis zu rufen, dass die Vereinigten Staaten als die entscheidende, für alles überall zuständige moralische Instanz gesehen zu werden wünschen. Aber während in den 1990ern selbst die Zusammenarbeit der CIA mit den Rattenlinien-Emigranten für die argentinische Militärdiktatur bereits in der Vergangenheit lag, besteht heute das außenpolitische Hauptthema in der Unterstützung der Bandera-Ukraine, was es ein wenig schwierig machen sollte, mit dem Finger auf die Schweiz und Credit Suisse zu deuten.
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