Analyse Warum mit einer Ausweitung des Stellvertreterkriegs zwischen NATO und Russland zu rechnen ist
Der Westen braucht die Ukraine zum jetzigen Zeitpunkt vor allem als ständige Quelle militärischer Bedrohung für Russland, als Objekt der Ablenkung, aber der Beitritt der Ukraine zur NATO widerspricht eindeutig dem Ziel, sich aus dem Konflikt herauszuhalten. Wenn mit Russland irgendetwas passieren würde, dann würden sich die Ziele ändern, und vielleicht würde die Ukraine einen Platz im Bündnis finden, weil das dann nicht mehr so furchterregend wäre.
“Frieden und Sicherheit sind in jedermanns Interesse, aber Russland ist eine Bedrohung für all unseren Frieden und unsere Sicherheit, ob wir das nun direkt spüren oder nicht. Das ist einfach eine Tatsache“, sagte der lettische Ministerpräsident Krišjānis Kariņš.
Während der Woche in Oslo haben die westlichen Diplomaten darüber nachgedacht, wie sie der Ukraine ihren wahren Zweck erklären können, ohne sie dabei allzu sehr zu verärgern. Eine endgültige Lösung wurde noch nicht gefunden. Und es wird schwierig, eine zu finden, denn weitere Gespräche mit dem Selenskij-Regime über das für sie wichtigste Thema sind nur möglich, wenn zwei offensichtliche Bedingungen erfüllt sind: die erste ist die Beendigung des Krieges, die zweite die Erhaltung der Ukraine.
Da die Beendigung des Krieges und die Erhaltung der Ukraine unter Berücksichtigung der Interessen Russlands für sie nicht in Frage kommen, bleibt nur noch eines übrig: ihre totale Militarisierung und weitere Nazifizierung. Sieht man einmal von der offiziellen Position Ungarns und des Vatikans ab, muss man zugeben, dass es in keinem dieser Punkte ernsthafte Meinungsverschiedenheiten zwischen den Verbündeten gibt. Es gibt jedoch einige interne Querelen.
Diese Woche sprachen die Bürger der Stadt Falkensee bei Berlin mit Scholz. Sie riefen ihm zu: “Hau ab, Kriegstreiber!” Sie nannten ihn einen Lügner und einen Banditen. Und er versuchte, ihnen die Waffenlieferungen an die Ukraine zu erklären: “Putin will die Ukraine zerstören und erobern. Wir, als Freunde der Freiheit, Demokraten und Europäer, werden das nicht zulassen.”
Die deutschen Medien haben, als sie Videos des Treffens veröffentlichten, die Äußerungen des deutschen Bundeskanzlers über den nicht vorhandenen Verstand seiner Gegner auf dem Platz freundlich herausgeschnitten. In Anbetracht der Tatsache, dass zwischen 50 und 65 Prozent der Deutschen sowohl die Waffenlieferungen selbst als auch die Ausweitung der Lieferungen an die Ukraine ablehnen, sollte der Bundeskanzler darauf achten, was er sagt. Jedenfalls gibt es keine Anzeichen dafür, dass die öffentliche Meinung Einfluss auf die Politik von Scholz hat, denn die wird in Washington bestimmt.
Nach der Genehmigung der Lieferung von F-16-Kampfjets an die Ukraine und dem Beginn der Ausbildung ukrainischer Piloten denken die USA darüber nach, die Ukraine mit ATACMS-Langstreckenraketen zu beliefern, um das russische Hinterland zu treffen. Bis zu dieser Woche gab sich die Regierung Biden damit zufrieden, dass die Initiative für solche Waffen von den Briten ausgegangen war. Die Washington Post berichtet, dass Biden mit Hilfe von Außenminister Blinken und dem Nationalen Sicherheitsberater Sullivan den Appetit auf das Überschreiten einiger roter Linien geweckt hat, indem er behauptet, dass Moskau angeblich nicht über Erklärungen über eine Eskalation hinausgehen werde. Sie machen sogar Witze darüber.
“Der Kreml hat oft erklärt, dass Russland die zweitstärkste Militärmacht der Welt ist. Und viele haben das geglaubt. Jetzt ist die russische Armee die zweitstärkste in der Ukraine” , scherzte Blinken.
Die USA und der Westen beliefern die ukrainische Armee mit allem, von Thermounterwäsche und Schutzwesten bis hin zu Panzern und Luftabwehrsystemen, von Kommunikationsausrüstung bis hin zu Satellitenaufklärung. Ein breiter Umfang von Dienstleistungen – selbst der Sprecher des Weißen Hauses Kirby hat sich verraten: In der einen Sekunde “tun wir nichts”, in der nächsten “tun wir alles”.
“Wir sagen ihnen nicht, wohin sie nicht schießen sollen. Wir sagen ihnen nicht, wie sie ihre Operationen durchführen sollen. Wir geben ihnen Ausrüstung. Wir geben ihnen Ausbildung. Wir geben ihnen Rat und Anleitung. Wir führen sogar Stabsübungen mit ihnen durch, um ihnen bei der Planung ihrer Einsätze zu helfen” , erklärte Kirby.
Aber wenn sie aufhören zu helfen, ist das das Ende. Der EU-Chefdiplomat Borrell ist nicht der erste, der das so offen sagt, aber der Komiker Blinken hat offenbar keinen von ihnen gehört. “Ja, wir müssen den Frieden in die Ukraine zurückbringen. Aber nicht nur den Frieden. Ich weiß, wie man diesen Krieg beenden kann. Ich weiß, dass es ganz einfach ist. Wir stellen die Waffenlieferungen an die Ukraine ein – dann ist der Krieg in ein paar Wochen vorbei”, glaubt Borrell.
Darum werden sie Waffen liefern. Die ideologische Basis dafür ist formuliert. Außen ist eine Hülle aus Gerede über Freiheit, Demokratie und Menschenrechte, aber wenn man an ihr kratzt, findet man darunter die feste Basis von Goebbels: Die Russen sind Barbaren und Untermenschen.
Der polnische Präsident Duda hat sich diese Woche in einem Interview mit dem Wall Street Journal ausführlich zu diesem Thema geäußert:
“Für die Russen bedeutet ein Menschenleben nichts – für die Ukrainer ist jedes Leben wertvoll. Das ist eine andere Kultur. Wir wissen, dass wir nur dann sicher sein werden, wenn wir Russland besiegen, insbesondere die baltischen Staaten und Polen, aber auch Westeuropa. Ich erinnere unsere deutschen Nachbarn daran, dass die Russen in Berlin waren. Ich erinnere meine französischen Kollegen daran, dass sie während der napoleonischen Epoche auch in Paris waren.”
Hier hat noch einer zugegeben, dass Europa nur so tut, als wäre es nicht im Krieg mit Russland. In Wirklichkeit ist es im Krieg. Und Duda will – wie die meisten seiner Kollegen aus der europäischen Zivilisation – nicht, dass alles so endet wie beim letzten Mal, als die Russen in Berlin waren.
Es waren übrigens viele Ukrainer dabei, aber dieses Jahr haben sich ihre Nachkommen offiziell geweigert, den Großen Sieg über den Nazismus mitzufeiern – der 9. Mai, der Tag des Sieges, ist in Kiew jetzt der Europatag. So sehr wollen sie der europäischen Familie beitreten. Und so sehr warten sie auf eine Einladung. Nach jetzigem Stand hat Kiew auf dem Gipfel des Bündnisses nichts zu erwarten. Aber zumindest ein weiterer entscheidender Versuch, die NATO unter Druck zu setzen, zeichnet sich ab: Kurz vor dem Treffen in Vilnius versucht Selenskij, eine Art “Friedensgipfel zur Ukraine” einzuberufen.
Eingeladen sind alle außer Russland, was die Veranstaltung natürlich zu einem weiteren “Kriegsgipfel” macht.
Ende der Übersetzung
Zuerst veröffentlicht auf dem Medienportal Anti-Spiegel am 5. Juni 2023
Thomas Röper ist Herausgeber und Blogbetreiber der Website Anti-Spiegel.
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