Meinung Wenn der Mainstream über Faule und Fleißige debattiert, ist was faul
Das Statistische Bundesamt meldet allerdings: “Die Sparquote lag im 2. Quartal 2023 mit 11,1 Prozent leicht über dem Vorjahreswert (10,3 Prozent).” Wie löst sich das auf? Das ist gar nicht so schwer; diese Quote errechnet sich nämlich aus dem Verhältnis des Gesparten zum Volkseinkommen. Das bedeutet, die Sparquote kann auf zwei Arten steigen – wenn tatsächlich mehr gespart wird, oder wenn das Volkseinkommen sinkt.
Dies nur vorneweg. Die Tatsache, dass Sparguthaben mit längeren Laufzeiten, die allerdings nur weniger als zehn Prozent aller Einlagen ausmachen, leicht gestiegen sind, deutet darauf hin, dass die höheren Einkommen noch sparen konnten, die unteren aber Reserven angreifen mussten. Das ist in Summe nicht wenig Geld, das da bewegt wurde – im Dezember 2022 betrugen die privaten Sparguthaben noch 521 Milliarden Euro, im Juni waren es nur noch 474 Milliarden. Relevant ist das deshalb, weil die Summe der Einlagen die Grundlage für das Volumen an Krediten bildet, die eine Bank vergeben kann; ein Rückgang der Einlagen also die ohnehin schon gegebene Verknappung an Krediten noch weiter verschärft. Die Wirkung solcher Entwicklungen lässt sich immer an der Bauwirtschaft deutlich sehen.
Die Sparquote war im Corona-Jahr 2020 nach oben geschnellt, auf über 16 Prozent. Sogar bei den ärmsten Haushalten sagten nur noch 33 Prozent, nichts sparen zu können. Aber die Inflation, die im letzten Jahr einsetzte, führte dazu, dass 40 Prozent aller Deutschen auf Erspartes zurückgreifen mussten, und 31 Prozent sagten, sie würden auch für die Altersvorsorge weniger sparen als zuvor. Laut dem Wirtschaftsforschungsinstitut ZEW haben 39,1 Prozent sogar Ersparnisse aufgelöst.
Welche Folgen die Inflation hat, scheint gerade bei den Besserverdienenden nicht wirklich klar zu sein. Der Focus zitiert den Chef der Deutschen Bank, Christian Sewing, mit den Sätzen:
“Viele Privatpersonen in Deutschland sind zurzeit nicht in der Lage, von ihrem monatlichen Einkommen ihre monatlichen Rechnungen zu zahlen – haben aber ihren Konsum noch nicht zurückgenommen. Sie greifen jeden Monat auf ihre Ersparnisse zurück. Ungefähr 1/3 der Kunden, insbesondere die, die unter einer bestimmten Einkommensgrenze liegen, haben dieses Problem.”
Das ist hübsch formuliert, belegt aber nur die völlige Ignoranz oberer Klassen. Auch wenn er die “bestimmte Einkommensgrenze” nicht genauer benennt, nehmen wir einfach mal an, sie läge bei einem Einkommen von 2.000 Euro im Monat. In den meisten deutschen Städten – und die Mehrzahl der Deutschen lebt in der Stadt – reicht das gerade so, um über die Runden zu kommen. Schließlich ist hier nicht die Rede von einem Nettoeinkommen.
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Der Konsum von echten, lebenden Menschen ist aber nur begrenzt elastisch. An der Miete wie an den Kosten für Strom und Heizung kann man nur wenig ändern, vor allem nicht als Geringverdiener; wenn man ohnehin schon bei Aldi einkauft, kann man auch bei den Nahrungsmitteln bestenfalls dadurch sparen, dass man zur Tafel geht, aber das ist wohl kaum noch als “den Konsum zurücknehmen” zu beschreiben; das ist kein Konsum mehr. Die Mieten sind übrigens – auch das eine aktuelle Meldung – im vergangenen Jahr munter weiter gestiegen.
Dabei wird dann auch noch berichtet, die Löhne im unteren Bereich seien überproportional gestiegen, dank der Erhöhung des Mindestlohns; und die Erhöhung des Bürgergelds nächsten Januar um 64 Euro sei ja eine solche Wohltat. Das Problem dabei: Es sind gerade Energiepreise, Nahrungsmittelpreise und Mieten, die gestiegen sind; Positionen, die bei Beziehern niedriger Einkommen einen besonders großen Teil der Ausgaben bestimmen.
Wie extrem dieser Anteil ist, kann man erfassen, wenn man sieht, wie viel der Leistungen aus dem ALG II für Kosten der Unterkunft sind. Das ist Miete und Heizung, beides allerdings immer mit einer Obergrenze versehen, was heißt, das sind unter Umständen nicht einmal die gesamten realen Kosten.
Im Bundesschnitt sind das, bis 2022, inzwischen 50,6 Prozent; der unterste Wert dabei ist Gera mit 43,6 Prozent, der oberste München mit 60,1 Prozent. Das IAB, das Institut der Arbeitsagentur, hat vorgerechnet, dass jemand, der in München für 40 Wochenstunden zum Mindestlohn etwa 2.000 Euro brutto verdient, Anspruch auf Wohngeld in Höhe von 147 Euro hätte – seit der Wohngeldreform im letzten Jahr, vorher wäre da aufzahlendes ALG II nötig gewesen. Das gilt allerdings für eine Wohnung mit einer Bruttokaltmiete von 681 Euro; jeder mag das Experiment wagen, wie viele Wohnungen es für diese Miete in München tatsächlich gibt, und sei sie noch so klein. Die aktuelle Durchschnittsmiete bei Neuvermietungen beträgt knapp 19 Euro. Das ergäbe 35 Quadratmeter als gesamte Wohnfläche, wenn überhaupt eine solche Wohnung zu finden wäre.
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Das Beispiel Wohngeld dient hier nur dazu, zu belegen, dass bei der angenommenen Einkommensgrenze von 2.000 Euro, bei der der mit 8,9 Millionen jährlich entgoltene Chef der Deutschen Bank unterstellt, da sei Konsum “noch nicht zurückgenommen” worden, schlicht kein Spielraum ist.
In der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe, die alle fünf Jahre erhoben wird und die als Grundlage dient, um das zum Leben erforderliche Minimum zu berechnen (mit einigen Schummeleien, die die Sozialverbände schon ewig kritisieren), lagen schon im Jahr 2003 die Ausgaben der unteren 20 Prozent über den Einnahmen. Was sich dahin übersetzt, dass das unterste Fünftel der Bevölkerung trotz Sozialleistungen zusätzliche Unterstützung meist von Familienangehörigen braucht, um überhaupt über die Runde zu kommen.
Übrigens führte die Umbenennung von Hartz IV in Bürgergeld dazu, dass erst einmal bis einschließlich Dezember die realen Mieten bezahlt werden. Das ändert sich ab 1. Januar. Dadurch dürfte sich die Erhöhung bei vielen schnell verflüchtigen – in eine billigere Wohnung umzuziehen ist vielerorts schlicht nicht möglich, weil es sie nicht gibt, was dann bedeutet, dass die Differenz zwischen der wirklichen Miete und der Leistung des Amtes selbst bezahlt werden muss. Unter Hartz IV waren das gerade in den Großstädten viele, die am Ende wesentlich weniger als die Regelleistung zur Verfügung hatten.
Und es gibt nur wenige Auswege; schließlich hat Deutschland diesen berühmten Niedriglohnsektor, an dem mit allen Mitteln festgehalten wird. Wie katastrophal sich das in Krisen auswirkt, wurde die letzten zwei Jahre durch staatliche Finanzspritzen gedämpft, die nun, so die Bekundung der Bundesregierung, nicht mehr möglich seien. Schließlich braucht man viel Geld, um den dank der Russlandsanktionen massiv verteuerten Strom für die Industrie so weit herunterzusubventionieren, dass sie nicht gleich die Zelte abbricht und vollständig abwandert oder einfach den Laden dichtmacht. Den politischen Unfug wieder zurückzunehmen, aus den Sanktionen auszusteigen und Nord Stream zu reparieren ist in Regierungskreisen völlig unvorstellbar. Die Kosten tragen wieder einmal die kleinen Leute; die ganzen Aufwendungen des letzten Jahres waren nur eine kleine Verzögerung. Aber solange das genügt hat, um den damals aufkommenden Unmut zu beschwichtigen, sind die Berliner es zufrieden.
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Die Entwicklung umzukehren und Löhne zu zahlen, von denen man leben kann, kommt ihnen jedenfalls nicht in die Tüte. Auch wenn die Kalkulation, man könne den ärmeren Teil der Bevölkerung immer weiter auswringen und auf die in Deutschland ohnehin irrwitzigen Mieten und Energiekosten dank Gebäudeenergiegesetz noch eins draufsatteln, ohne sich den entsprechenden Dank einzufangen, inzwischen doch sichtbar daneben geht. Selbst wenn sich das dank einer völlig umnachteten Linkspartei nur am Stimmanteil der AfD erkennen lässt. Oder am Ausmaß des Polizeiaufgebots, wenn grüne Wahlkampfreden anstehen.
Jedenfalls, bei den meisten Bundestagsabgeordneten, die der sich abzeichnenden Verarmung breiter Bevölkerungsteile nicht nur zusehen, sondern sie auch noch befördern, wäre es durchaus mehr als angemessen, ihren Konsum deutlich zurückzunehmen. Von Herrn Sewing ganz zu schweigen.
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