Quelle: www.globallookpress.com © IMAGO/www.imago-images.de Zählen offensichtlich nicht zu den “Erwachsenen im Raum”: Robert Habeck und Olaf Scholz im September 2023 im Bundestag
Von Dagmar Henn
Man kann es wirklich nur jedem raten, sich alle paar Wochen einmal – oder wenigstens alle paar Monate – ein Interview mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin anzusehen. Vor allem, wenn man einige Zeit damit verbracht hat, die Auftritte des Bundeskanzlers Olaf Scholz, der Außenministerin Annalena Baerbock oder des Wirtschaftsministers Robert Habeck in diversen Talkshows verfolgen zu wollen. Man vergisst nämlich, wie ein Mensch aussieht, der erst nachdenkt, bevor er anfängt zu reden.
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Es ist ungefähr so, als würde man Menschen, die nicht mehr miteinander verbindet, als Fans desselben Fußballvereins zu sein, und die vor allem über gemeinsames Absingen der Fangesänge miteinander kommunizieren, mit alten Freunden vergleichen, die einander schon bei mehreren Schicksalsschlägen beigestanden haben. Es mag ja sein, dass das oben erwähnte Trio derzeitiger deutscher Spitzenpolitiker in heimlichen Momenten im privaten Leben sogar Qualitäten besitzt, die über den Chor der Stadionkurve hinausgehen. Dann verbergen sie das aber sehr gut, selbst in längeren Interviews. Irgendwie kommt immer etwas heraus, das an “Ho-ho-ho, Borussia geht k. o.” erinnert. Klar, das klingt dann nach “brutalem russischem Angriffskrieg” oder “bedingungsloser Solidarität”, gibt sich also einen Anstrich eines etwas höheren Niveaus, aber dieses Posieren und jene eingeübten Gesänge sind doch gleich.
Und dann gibt es die Frage der Konsistenz, der inneren Übereinstimmung. Wenn man genau hinhört, kann man in Putins Interview mit dem chinesischen Fernsehen eine in sich stimmige Linie entdecken, von den Erfahrungen im Sportverein bis hin zu den Regeln, auf denen die multipolare Weltordnung aufbaut. Das ist etwas, was man im Westen fast vergessen hat: dass wirkliche politische Überzeugung tief mit der eigenen Erfahrung verbunden ist. Aber welche Erfahrung sollte das sein, wenn man die Biografien heutiger westlicher Politiker liest?
Genau auf dieser Ebene kann man auch den Unterschied in der Diplomatie erkennen (wobei die Verwendung dieses Begriffs auf den Westen bezogen derzeit schwierig ist, weil man dann etwas bewerten müsste, das schlichtweg nicht mehr existiert). Wer genau hinhört, bekommt mit, dass der Anfang bei der Entwicklung der heutigen Beziehungen zwischen Russland und China nicht einfach war. Man könnte sich sogar fragen, ob diese Beziehungen je den heutigen Grad erreicht hätten, wenn nicht die lange gemeinsame Grenze das erzwungen hätte. Aber das, was diese schwierigen Momente hinterlassen haben, auch bei Putin persönlich, sind feste Grundsätze, wie der Umgang von Staaten miteinander gestaltet sein muss, damit er für beide Seiten fruchtbar werden kann.
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In echter Politik macht man solche Erfahrungen, selbst auf der untersten Ebene, bei banalen Abstimmungen über gemeinsame Flugblätter mehrerer unterschiedlicher Organisationen. Man lernt, wie weit man gehen darf und welches Maß wechselseitigen Respekts man braucht, damit eine Zusammenarbeit funktioniert. So etwas lernt man nur unter Bedingungen der Gleichheit. Putin erzählt, was ihn sein Sport gelehrt habe. Auch da begegnen sich die Teilnehmer als Gleiche. Wenn es um Beziehungen zwischen Staaten geht, ist das natürlich eine andere Dimension. Aber wie heißt es im Sprichwort? Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.
Wie soll das gehen, wenn sich jemand als prospektives Werbeplakat aus einer wohlhabenden Jugend in eine politische Szenerie begibt, die von so etwas wie “Fridays for Future” und anderen, mit viel Geld gepushten künstlichen Strukturen bestimmt wird? Wenn es die Zahl der produzierten Schlagzeilen ist, die über die Karriere entscheidet, und die Qualität von Visagisten und Fotografen? Und am Ende die automatisierte Wiedergabe der Tageslosung die wichtigste Anforderung ist?
In der Vergangenheit gab es Phasen, in denen Deutschland fähige Diplomaten hervorbrachte. Hans-Dietrich Genscher folgte bestimmt keiner politischen Linie, die mir gefällt, aber er beherrschte sein Handwerk. Man konnte ihn nachdenken sehen, und da war eine Übereinstimmung. Die Politiker der anderen deutschen Republik waren ohnehin nicht nach ihrer Plakattauglichkeit und Schlagzeilenproduktion ausgewählt, was genau der Grund war, warum man sie im Westen als “Langweiler” brandmarken konnte.
Jetzt haben wir den Salat. Wobei sich das gleiche Phänomen auch auf die Gegenstücke in anderen westlichen Ländern erstreckt, auf einen US-Außenminister Antony Blinken oder einen kanadischen Ministerpräsidenten Justin Trudeau.
Wobei Annalena Baerbock fast Putins Aussagen über den Wert des Sports zu konterkarieren scheint. Aber nur fast, denn wenn man weiß, dass auch der gesamte Sport in Deutschland schon längst allein vom Geldbeutel der Eltern abhängt, der darüber bestimmt, wer etwa zu Wettkämpfen fahren kann, und damit die Gleichheit, die die entscheidenden sozialen Erfahrungen ermöglicht, selbst in diesem Bereich längst aufgehoben ist, dann ist klar, dass eine Annalena Baerbock – die höhere Tochter auf dem Trampolin – eben genau jene Erfahrungen nicht gemacht hat, die Putin so hervorheben kann.
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Zu lernen, wie man mit Menschen auskommen kann, die man womöglich nicht einmal mag, und zu begreifen, dass dieses Miteinanderauskommen die Voraussetzung dafür ist, dass soziale Strukturen wie Sportclubs und andere Vereine oder eben die internationale Politik auf Dauer funktionieren, sind eben jene Voraussetzungen, die dank mehrerer Jahrzehnte Neoliberalismus nicht mehr existieren.
Scholz – der Freund der Banker, Baerbock – die Tochter eines Managers und Habeck – der Apothekersohn zeigen mit jeder Äußerung, jeder Handlung, dass sie Gleichwertigkeit zwischen Menschen nicht begreifen, dass sie ihnen fremd ist. Jeder auf seine eigene Weise, aber jeder mit Verachtung für alles, was nicht so ist wie er oder sie selbst.
Putin hält ein Plädoyer für die Gleichheit; aber diese Gleichheit bezieht sich nicht nur auf den Umgang der Staaten miteinander, in BRICS oder in der angestrebten multipolaren Weltordnung. Das persönliche Wissen um das soziale Lernen und die Grundsätze im Umgang zwischen verschiedenen Ländern und Kulturen sind nicht voneinander zu trennen. Auch ist die persönliche Glaubwürdigkeit eine Voraussetzung für erfolgreiche Verhandlungen, und die fehlenden diplomatischen Fähigkeiten der gegenwärtigen westlichen Politiker sind eng mit der Oberflächlichkeit einer Persönlichkeit verknüpft.
Wenn Gesellschaften derart starr in Oben und Unten geteilt sind, wie sie es (nicht nur) im heutigen Deutschland ist, dann scheint das soziale Wissen verloren zu gehen, das nötig ist, um größere soziale Strukturen aufrechtzuerhalten. Putins Interview zeigt, dass dieselbe Dynamik auch in der entgegengesetzten Richtung funktioniert. Wenn der nötige Respekt und – das muss man fast sagen, selbst wenn der Begriff eigenartig klingt – die nötige Demut da sind, dann kann aus kleineren, begrenzten Anfängen (und ich bin mir fast sicher, dass der Anfang dieser heutigen Beziehung zwischen Russland und China sehr klein und sehr vorsichtig war) etwas so Gewaltiges entstehen, das heute die Zukunft der Menschheit verändert.
Selbst wenn es schmerzhaft ist, weil das in Erinnerung ruft, was in Deutschland heute alles fehlt – man sollte nie aus dem Blick verlieren, was einen erwachsenen Menschen eigentlich ausmacht. Und dass Politiker nicht notwendigerweise aufgeblasene, arrogante Nullen sind wie die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen oder raffgierige demente Großväter mit Herrenmenschenattitüde wie der US-Präsident Joe Biden. Und das Schöne ist: jeder kann es selbst überprüfen.
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