Analyse Drei Wahlen treiben Brüssel den Angstschweiß auf die Stirn
Zwar war es in den letzten Monaten zu Reibereien mit der ukrainischen Führung gekommen, als sich herausstellte, dass das von der Ukraine exportierte Getreide die polnischen Agrarmärkte destabilisierte. Dadurch drohte vielen Bauern der Ruin. Die Bauern sind traditionell eine PiS-treue Wählergruppe, die diese Partei nicht verlieren wollte. Daher wurden die Agrarprodukte an der Grenze blockiert. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass die PiS nach der Wahl einen Kompromiss mit Kiew gesucht hätte.
Je nach Wählerkategorie könnten zwei Arten von Bedenken vorherrschend gewesen sein. Auf der einen Seite argumentierte die PiS mit den höheren Sozialleistungen (insbesondere dem Kindergeld), die sie in den letzten acht Jahren eingeführt hatte. Diese kamen objektiv den unteren Klassen zugute; die scheidende Regierung verwies zudem auf gute wirtschaftliche Ergebnisse in Bezug auf Wachstum und Beschäftigung (Polen hat immer noch nicht den Euro eingeführt).
Donald Tusk und seine Freunde waren sich dessen bewusst, dass die Erinnerung, die sie auf sozialer Ebene hinterlassen hatten, verheerend war. Ihre Amtszeit fiel mit den von Brüssel geforderten Spar- und Liberalisierungsplänen zusammen. Und die PiS versäumte es nicht, daran zu erinnern, dass Tusk das Rentenalter im Einklang mit den Vorgaben der Europäischen Kommission auf 67 Jahre angehoben hatte. Die PiS hatte daraufhin 65 Jahre als Austrittsalter wieder eingeführt (60 Jahre für Frauen). Unter diesen Umständen schwört die PO, dass sie dieses Thema nicht mehr anrühren wird.
Auf der anderen Seite konzentrierten die PO und die von ihr geführte Koalition ihre Versprechungen auf gesellschaftliche Fragen in einem lange Zeit konservativen und sehr katholischen Land, das sich jedoch im Wandel befindet. Vor allem ein Punkt trug stark zum Rückzug der PiS bei: die Beinahe-Abschaffung des Rechts auf Abtreibung im Herbst 2020, die zahlreiche Massenmobilisierungen ausgelöst hatte. Die Einführung einer derart repressiven Gesetzgebung dürfte sogar einige PiS-Wähler verärgert haben.
Schließlich versprach Donald Tusk eine Aussöhnung mit Brüssel, um die Freigabe der von Warschau erwarteten Gelder zu erreichen. Ein Argument, das eine gewisse städtische Wählerschaft, die die europäische Integration befürwortet, überzeugen konnte.
Wie geht es jetzt weiter? Die wahrscheinlichste Hypothese ist also die Bildung einer parlamentarischen Mehrheit aus den drei Koalitionen, die Donald Tusk an die Spitze einer künftigen Regierung stellt. Dies wird jedoch nicht sofort geschehen. Als stärkste Partei wird wahrscheinlich zuerst die PiS mit der Suche nach einer Mehrheit betraut, worauf sie vielleicht die Hoffnung noch nicht aufgegeben hat (wenn sie versucht, den Dritten Weg ganz oder teilweise abzuwerben).
Vor allem bleibt der aus der PiS hervorgegangene Staatspräsident Andrzej Duda bis (mindestens) 2025 im Amt. Er kann bei bestimmten Gesetzen sein Veto einlegen. Wird er sich für eine “Kampfkohabitation” entscheiden? Darüber hinaus behält die PiS starke Machtpositionen im Staatsapparat, in der Justiz und in den Medien.
Schließlich wird es bei der Bildung einer Dreierkoalition zu erheblichen Widersprüchen kommen. Die Linke zum Beispiel hat in ihrem Programm “soziale” Ankündigungen verstärkt (die im Gegensatz zu den Zeiten stehen, in denen sie das Land regiert hat). Wie werden diese Zusagen mit dem Ultraliberalismus vereinbar sein, den Tusk wieder auf den Weg bringen will?
Und was wird aus dem Streit mit Kiew über seine Agrarexporte? Werden sie zum Leidwesen der Landwirte freigegeben? Und wie wird darauf die Bauernpartei reagieren, die Teil der künftigen Koalition sein soll? Vergleichbare Fragen werden sich stellen, wenn Tusk das Brüsseler Umweltdiktat (“Green Deal”) akzeptiert und damit die Bergleute opfert.
Der künftige Regierungschef wird sich auch zur europäischen Migrationspolitik positionieren müssen. Es ist nicht sicher, dass eine Mehrheit der Polen eine breite Aufnahme von Migranten befürwortet – zu einem Zeitpunkt, an dem die Anwesenheit von mehr als einer Million ukrainischer Flüchtlinge nicht mehr die anfängliche Empathie hervorruft, ganz im Gegenteil.
Polen scheint also auf sehr unruhige politische Zeiten zuzusteuern. Brüssel wäre falsch beraten, sich zu früh zu freuen.
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