Quelle: Gettyimages.ru © Per Breiehagen Ein russischer Eisbrecher bahnt sich den Weg durch das arktische Eis
Von Wiktorija Nikiforowa
“Arktische Apathie” – so bezeichnen die dortigen Militäranalysten die Haltung der USA zu den Problemen der Arktis. Sie wollen aufrütteln und fordern ein Erwachen aus dieser Apathie. Während die Amerikaner den Irak und Afghanistan besetzten, “schlich” sich Russland vorsichtig an die Arktis heran und breitete sich dort an der Küste des Nordpolarmeeres aus. So die Wahrnehmung in den USA.
Städte und Militärbasen, Häfen und Flugplätze, schwer kalkulierbare U-Boote und strategische Bomber, die Nördliche Seeroute und Flüssiggastanker, die sie majestätisch entlangfahren. Nun, so könne das nicht weitergehen, sagen US-Analysten. Ein neuer Bericht der Denkfabrik RAND Corporation empfiehlt dem US-Verteidigungsministerium, dringend etwas dagegen zu unternehmen und Russland aus der Arktis zu verdrängen.
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Die RAND-Analysten formulieren die Hauptaufgabe der US-Streitkräfte in der Arktis als denkbar einfach: “Kommen und bleiben”. Die US-Marine und Küstenwache, Fallschirmjäger und Marineinfanteristen, U-Boote und Kampfflugzeuge müssen dauerhaft in der Region präsent sein.
Das amerikanische Interesse an der Arktis ist nachvollziehbar. Hier liegt der Nördliche Seeweg, eine moderne Entsprechung des altertümlichen Handelsweges von den Warägern zu den Griechen, und die Kontrolle darüber lässt Russland zu einer der führenden Mächte unserer Zeit aufsteigen. Für die USA ist jeder Staat, der die globalen Handelswege kontrolliert, ein gefährlicher Feind. Darum legen sie sich mit China im Südchinesischen Meer an. Und in einem anderen Teil der Erde mit Iran – vor allem, weil das Land die Straße von Hormus kontrolliert.
Vor mehr als einhundert Jahren war der kolumbianische Staat der Meinung, dass der Panamakanal ihm gehöre, da er auf seinem Gebiet gebaut wurde. Doch die amerikanischen Bauherren waren anderer Meinung. Sie besetzten kurzerhand das Gebiet um den Kanal und errichteten die Republik Panama, von Anfang an ein US-Protektorat. Niemand erinnert sich heute daran, dass dieses Land ursprünglich zu Kolumbien gehörte und die Amerikaner den Kanal seit mehr als hundert Jahren selbstherrlich kontrollieren.
Der nördliche Seeweg, der sich dank der Erwärmung in der arktischen Zone entwickelt, ist ein ähnlicher Leckerbissen. Nur dass es, anders als im Fall des Panamakanals, für die Amerikaner aus objektiven Gründen viel schwieriger ist, den Leckerbissen zu erbeuten.
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Die Vereinigten Staaten wurden spät – erst 1867 – zu einem “arktischen Staat”, als der russische Zar ihnen Alaska verkaufte. Von da an bis heute hat sich die Region nicht wirklich entwickelt. Zunächst schöpfen die Amerikaner die Ressourcen Alaskas ab – erinnern Sie sich an Charlie Chaplins “Goldrausch”? – und begingen einen Völkermord an der indigenen Bevölkerung. Dann wurde die Region im Grunde genommen ihrem Schicksal überlassen.
Jetzt, so beklagen die RAND-Analysten, fehlt es Alaska buchstäblich an allem – an großen Flughäfen, die für Militärflugzeuge geeignet sind, an normalen Städten mit entwickelter Infrastruktur, an Militärbasen und vor allem an Tiefwasserhäfen. Es gibt eine Idee (die bereits vom US-Kongress genehmigt wurde), einen solchen Hafen in Nome, einer kleinen Stadt an der Westküste Alaskas, zu bauen. Er würde direkt vor unserer Ostküste liegen, dort auslaufende amerikanische Kriegsschiffe wären sofort in der Beringstraße. Da ist sie, die militärische Kontrolle über die Arktische Seeroute.
Aber nicht nur der Mangel an Infrastruktur und Militärstützpunkten ist ein Problem für die USA. Während Russland über die größte Eisbrecherflotte der Welt verfügt (die RAND-Autoren zählten 55 Eisbrecher verschiedener Klassen), haben die Vereinigten Staaten nur zwei schwere Eisbrecher. Und einer von ihnen soll auch noch “die Verteidigung der USA in der südlichen Hemisphäre sicherstellen” – wahrscheinlich fühlt man sich von den dortigen Pinguinen bedroht. Der zweite, 2020 in Dienst gestellt, hatte einen Fehler in der elektrischen Verkabelung, der einen Brand verursachte und den Eisbrecher erst einmal für ein Jahr lahmlegte.
Jedes Jahr wird in den Vereinigten Staaten rituell über die Notwendigkeit des Baus neuer schwerer Eisbrecher gesprochen und sogar mit deren Bau begonnen, aber die Fristen verschieben sich immer weiter nach hinten. Mit einem einzigen Eisbrecher lassen sich jedoch keine wissenschaftlichen Forschungs- und Aufklärungsaktivitäten realisieren, so die RAND-Autoren.
Als Ausweg wird vorgeschlagen, Satelliten in die militärische Expansion in der Arktis einzubeziehen. Der Bericht listet die Länder auf, deren Eisbrecher, Flugplätze, Militärbasen und Militärpersonal das Pentagon nutzen kann, um in die Arktis “zu kommen und dort zu bleiben”.
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Zu den genannten potenziellen militärischen Verbündeten gehören Kanada, Norwegen, Schweden und Finnland. Nun, das ist verständlich – arktische Staaten, NATO-Mitglieder. Aber weiter unten in der Liste der Verbündeten stehen Frankreich und Deutschland. Was immer sie mit der Arktis zu tun haben.
Und dann gibt es noch mehr. Auch Australien entpuppt sich plötzlich als Verbündeter der USA bei der Erforschung der Arktis. Obwohl das Land liegt in der anderen Hemisphäre. Oder haben die Amerikaner etwa andere Karten? “Es hat seine eigenen Eisbrecher”, kontern die RAND-Autoren. Neben Australien wurde auch Neuseeland eingeladen, sich den Verbündeten anzuschließen. Fehlt nur noch Papua-Neuguinea.
Es sieht nach einem internationalen Militärbündnis unter der Ägide der Vereinigten Staaten aus, das in die russische Arktis eindringen will. Übrigens waren die Invasoren, die vor hundert Jahren den russischen Norden besetzten, ebenfalls ein internationales Bündnis: Amerikaner, Engländer, Franzosen. Nebenbei: Wäre es nicht an der Zeit, eine Klage gegen die Nachfahren der Täter wegen all der getöteten und gefolterten Russen während der Invasion auf den Weg zu bringen?
Trotz der Kritik von RAND ist offensichtlich, dass die USA über die Fähigkeiten für eine militärische Konfrontation in der Arktis verfügen – und diese sind nicht gering. Die Autoren des Berichts erinnern an 70 amerikanische U-Boote, Hunderte Schiffe der US-Marine und der Küstenwache sowie leistungsfähige Überwachungs- und Aufklärungssysteme. Wir haben allen Grund, beunruhigt zu sein.
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Was könnte als Vorwand dafür dienen, dass amerikanische Kriegsschiffe und Flugzeuge in der Nähe unserer Küsten auftauchen? Die RAND-Autoren nennen drei Möglichkeiten. Es könnte sich um einen Einsatz zur Rettung einer Mannschaft von einem sinkenden Schiff handeln. Eine Ölpest irgendwo im Arktischen Ozean. Und, was am interessantesten ist, “Aktionen eines bösen Akteurs (bad actor), die darauf abzielen, den Zugang zu blockieren”. Aber den Zugang wohin? Ob es sich um Hoheitsgewässer oder internationale Gewässer handelt – das wird nicht angegeben. Wir wissen allerdings sehr genau, wer der “böse Akteur” ist, nicht wahr?
Wie RAND einräumt, besteht das Hauptproblem Washingtons heute darin, dass “Russland den Verkehr auf der nördlichen Seeroute kontrollieren will und die USA damit nicht einverstanden, aber nur begrenzt in der Lage sind, dagegen vorzugehen.” Offen gesagt, interessiert heute aber nur noch wenige Menschen, womit die USA einverstanden sind oder nicht.
Übersetzung aus dem Russischen. Der Artikel ist zuerst am 10. Oktober 2023 auf ria.ru erschienen.
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