Meinung
Irrer Iwan – oder doch logische Folgen des Überschreitens roter Linien
Nun dürfte es nicht mehr allzu schwierig sein, den Inhalt dieser Botschaft zu erahnen. Er könnte sinngemäß lauten: “Wir, die Europäische Union, wollen, dass dieser Krieg ein schnelles Ende hat und dass die ukrainische Führung mit Russland eine Vereinbarung trifft über die Einstellung der Kampfhandlungen.” Denn langsam gehen dem Westen die Sanktionsmöglichkeiten aus und die bisher auf den Weg gebrachten zwingen Russland nicht zum Rückzug aus der Ukraine.
Zwar kommen die Strafmaßnahmen gegen weitere Oligarchen in der westlichen Öffentlichkeit gut an, haben aber offensichtlich wenig Einfluss auf die Politik Russlands. Die wirklich harten Maßnahmen jedoch wollen die Regierungen der EU gar nicht mehr ansprechen: den Einfuhrstopp von russischem Öl und Gas. Die Folgen für die westlichen Gesellschaften wären unkalkulierbar. So werden denn auch die Warnungen besonders vonseiten der deutschen Industrie vor solchen Maßnahmen immer deutlicher.
War also der Ausflug nach Kiew ein unnötiges Risiko? Keineswegs, denn in den Folgetagen beschäftigte sich die Medienlandschaft ausführlich mit dem Thema der ukrainischen Neutralität. Schon der Vorschlag des israelischen Ministerpräsidenten Bennett an seinen ukrainischen Kollegen, vor Russland zu kapitulieren, um noch mehr Menschenleben und Verwüstungen zu vermeiden, war in der EU auf ein lautstarkes Schweigen gestoßen. Man schien froh zu sein, dass jemand ausgesprochen hatte, was viele im Westen wohl denken, ohne es selbst tun zu müssen.
Anfangs schien auch Selenskij den Gedanken der ukrainischen Neutralität aufgreifen zu wollen, doch wolle er sich nicht von Russland die Ausgestaltung einer eventuellen Neutralität diktieren lassen, wie er sagte. Schon des Öfteren hat Selenskij auf diese Weise versucht, Zeit zu gewinnen und eine Entscheidung hinauszuzögern. Erneute Lieferzusagen der USA über zusätzliche Waffen haben Selenskijs Gesprächsbereitschaft über die Neutralitätsfrage dann aber schnell wieder abebben lassen.
Den USA selbst scheint nicht an einer Beilegung des Konflikts gelegen zu sein. Immer wieder befeuert sie die Hoffnungen und den Kampfeswillen der Ukrainer mit neuen Waffenlieferungen und Kreditzusagen. Denn je länger dieser Krieg dauert, umso größer ist der Schaden für Russland. Gleichzeitig aber machen die Amerikaner aber deutlich, dass ihre Unterstützung nur so weit geht, wie sie selbst nicht in die Reichweite russischer atomarer Drohungen kommen. Das bedeutet für die USA: Waffen ja, aber keine Unterstützung durch Soldaten oder Luftraumüberwachung vonseiten der NATO.
Während also die USA in aller Ruhe der Entwicklung zusehen können, gerät die EU in eine immer schwierigere Lage. Russland kann bisher seine Ziele in der Ukraine erfolgreich umsetzen und hat deshalb keinen Grund, die Kampfhandlungen einzustellen. Große Teile der russischen Bevölkerung scheinen weiterhin hinter Putin zu stehen, auch wenn die westlichen Medien ein anderes Bild vermitteln.
Die Europäer, besonders die Deutschen, würden lieber heute als morgen diesen Konflikt beendet sehen, können aber die Ukraine nicht öffentlich zur Kapitulation auffordern. Denn Selenskij, der inzwischen die Popularität eines Medienstars erreicht hat, scheint auch weiterhin bereit, bis zur letzten Patrone zu kämpfen, solange er damit versorgt wird.
Anscheinend hat man jetzt in Berlin einen Weg aus der Sackgasse gefunden. Die deutsche Verteidigungsministerin erklärte am Samstag (19. März 2022), dass Deutschland der Ukraine keine weiteren Waffen mehr liefern kann, weil die eigenen Bestände erschöpft seien. Deshalb konnte man bisher auch weniger liefern als bei früherer Gelegenheit zugesagt. Es bleibt zu beobachten, ob sich hier eine neue Politik gegenüber der Ukraine andeutet, mit der man sie an den Verhandlungstisch mit Russland zwingen will, indem man von europäischer Seite den Nachschub an Waffen versiegen lässt.
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