Quelle: Sputnik © Witali Timkiw Die Krim-Brücke von Kertsch Richtung Taman nach dem Terroranschlag am 8. Oktober 2022
Von Dagmar Henn
Es ist ein wenig wie eine Prüfung in Völkerrecht (wobei man von schon davon ausgehen kann, dass die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock daran scheitern wird), wenn die russische Generalstaatsanwaltschaft jetzt Anfragen an die Behörden in Deutschland, Frankreich, Zypern und den USA schickt, um Informationen zu verschiedenen in Russland durchgeführten Terroranschlägen zu erhalten.
Terroranschläge: Russische Generalstaatsanwaltschaft hat Fragen an Deutschland
Das Völkerrecht besteht aus Abkommen, die von vielen Staaten unterzeichnet wurden. Auch die Genfer Konvention und die UN-Charta, die bekanntesten Bestandteile dieses Rechtssystems, gehören dazu. Durch diese Gestaltung ist es klar, dass die einzelnen Teile dieses Rechts immer nur für diejenigen Staaten gelten, die das entsprechende Abkommen unterzeichnet haben, und dass es vielfach zusätzliche Einschränkungen in Gestalt einzelner Vorbehalte gibt, die beachtet werden müssen. Es ist also kein Recht, das man auf Zuruf auf jeden beliebigen Fall, der in etwa so aussieht, tatsächlich anwenden kann.
Aber es gibt Abkommen, die für jene Terrorakte zutreffen, die in Russland oder Russland betreffend stattgefunden haben, und zwar für die ganze Bandbreite – von der Sprengung von Nord Stream über die Mordanschläge wie auf Maxim Fomin und Darja Dugina bis hin zum Terrorakt in der Crocus City Hall vor wenigen Wochen. Es sind keine neuen Abkommen, und sie wurden von allen oben erwähnten Staaten ratifiziert. Jeder kann selbst überprüfen, ob das Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus von 1999 oder das Übereinkommen zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge zutrifft.
Im Grunde sind die Vorgaben einfach: die Staaten verpflichten sich, einander wechselseitig bei entsprechenden Ermittlungen zu helfen, was nicht nur umfasst, selbst zu ermitteln und die Erkenntnisse weiterzugeben, sondern auch, beteiligte Personen festzunehmen und – wenn die erforderlichen Abkommen existieren – an die Strafverfolgungsbehörden des betroffenen Staates auszuliefern. Konkret bedeutet das beispielsweise, den Chef des ukrainischen Sicherheitsdienstes SBU Wassili Maljuk, der im Grunde vor wenigen Tagen in einem Interview seine Verantwortung für eine ganze Reihe dieser Anschläge eingestanden hat, an Russland zu überstellen, sollte er beispielsweise deutschen Boden betreten.
Übrigens wurden nicht nur Fragen an westliche Behörden geschickt, sondern das russische Außenministerium schickte bereits am 31. März an die Ukraine die klare Aufforderung, Beteiligte an dem jüngsten Massaker auszuliefern. Unter Bezug auf die oben erwähnten Abkommen wurde gefordert, “sofort jede Person, die in die oben erwähnten terroristischen Handlungen verwickelt ist, festzunehmen und auszuliefern”. Dabei wurde explizit die Festnahme des SBU-Chefs Wassili Maljuk verlangt.
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Das Ganze ist also nicht einfach ein Zettel mit Fragen, um die westlichen Regierungen zu ärgern, sondern ist die präzise Abwicklung eines Verfahrens, das die entsprechenden Abkommen so vorsehen. Dabei wird zwar im Westen jetzt so getan, als könne man derartige Verträge wahlweise für gültig oder ungültig erachten, wie es gerade in den Kram passt, aber die Wirklichkeit sieht doch anders aus. Das ist es, was gerade am Internationalen Gerichtshof in Den Haag vorexerziert wird, nämlich im Verfahren gegen Israel wegen Verstoßes gegen die Genozid-Konvention.
Man kann im Grunde schon davon ausgehen, dass die großen deutschen Medien und ihre westlichen Kollegen dieses Schreiben nicht ernst nehmen. Aber hinter diesen erst einmal unschuldigen Fragen eröffnen sich gleich zwei mögliche Pfade der Eskalation. Zum einen wäre das (wenn derartige Fragen ignoriert werden, keine eigenen Ermittlungen stattfinden oder gar – als ziemlich die letzte Stufe – Verdächtige nicht festgenommen und nicht ausgeliefert werden) auf jeden Fall ein Verstoß von Unterzeichnern dieser Übereinkommen gegen ihre Verpflichtungen, was dann eine Klage beim IGH nach sich ziehen könnte.
Jetzt kommen wir aber zum zweiten Pfad, und da lassen sich einige Beispiele finden, was in diesem Zusammenhang möglich ist. Die Vereinigten Staaten von Amerika hatten ihren Überfall auf Afghanistan nach dem 9. September 2001 damit begründet, dass sich Afghanistan geweigert habe, Osama bin Laden auszuliefern. Wenn man alle Unklarheiten bezüglich 9/11 beiseitelässt, war die logische Abfolge simpel: Es gibt die Verpflichtung auszuliefern – oder wenigstens Beteiligte im eigenen Land vor Gericht zu stellen. Wird dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, wird das zu einer staatlichen Beteiligung an der ursprünglichen Straftat, und das wiederum kann als Akt des Krieges gegen das betroffene Land gewertet werden, mit der Konsequenz, dass ein militärisches Vorgehen gegen das verweigernde Land völkerrechtlich legitim ist.
Wobei das Vorgehen keine zwangsweise Folge ist, sondern bei jedem Schritt in der Entscheidung des Landes bleibt, das Opfer eines Anschlags wurde. Aber je wahrscheinlicher die Beteiligung ukrainischer Staatsorgane an derartigen Anschlägen wird, desto schwieriger wird die Lage für diejenigen, die diesen staatlichen Apparat finanzieren. Und ohne die westlichen Spenden wäre auch der ukrainische SBU nicht mehr arbeitsfähig. Wenn auf diese Weise der Westen terroristische Angriffe finanziert (von möglicher technischer Unterstützung gar nicht zu reden), so wird er selbst zum Mittäter, was natürlich durch eine Verweigerung der Zusammenarbeit nach Anfragen wie jener der russischen Generalstaatsanwaltschaft noch einmal bestätigt würde.
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Ob die deutsche Bundesregierung die Fragen der russischen Generalstaatsanwaltschaft ernst nimmt oder nicht, ist nebensächlich, denn der Westen ist nicht das Publikum, auf das diese Handlungen zielen. Adressaten sind jene globale Mehrheit, die sich eine Rückkehr zum Völkerrecht erhofft. Als das Schreiben des russischen Außenministeriums an die Ukraine ging, wurde das von Analysten wie bei The Duran als Einleitung einer Antwort auf Crocus City Hall gewertet: langsam, methodisch und mit voller Rückendeckung durch das Völkerrecht.
Die Fragen, die jetzt nach Berlin, Washington, D.C. und London geschickt wurden, sind der zweite Zug in diesem Spiel. Wie man es von Russland bereits kennt, wird dem Gegenüber bei jedem dieser Schritte die Möglichkeit gelassen, auf den Boden des Rechts zurückzukehren. Werden diese Möglichkeiten aber nicht wahrgenommen, kann die weitere Entwicklung ganz andere Mittel einbeziehen.
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