Ausland

Zur Europa-Reise von Xi Jinping: Europa kann es sich nicht leisten, China zu verlieren

Zur Europa-Reise von Xi Jinping: Europa kann es sich nicht leisten, China zu verlieren

Quelle: Sputnik © RIA NowostiSymbolbild, KI-generiert

Von Pjotr Akopow

Chinas Staatsoberhaupt reist nach Europa: Heute beginnt Xi Jinpings erster Besuch in der Alten Welt seit fünf Jahren. Die lange Pause kann nur zur Hälfte auf die Pandemie und die Tatsache zurückgeführt werden, dass der chinesische Präsident seit ihrem Ausbruch seltener ins Ausland reist. Viel wichtiger ist, dass sich die geopolitische Lage in der Welt inzwischen grundlegend verändert hat.

Nein, Europa ist für China nach wie vor sehr wichtig, sowohl als Handelspartner als auch als Quelle von Technologie. Und Europa braucht das Reich der Mitte seinerseits – europäische Spitzenpolitiker, sowohl auf EU-Ebene als auch aus einzelnen Ländern, besuchen China nach wie vor häufig.

Doch jedes Jahr wird das von der chinesischen Führung wiederholte Motiv lauter und lauter: Die Beziehungen zwischen beiden Seiten sollten nicht vom Druck externer Kräfte abhängen, Europa sollte ein unabhängiges Machtzentrum werden und seine Interessen besser schützen. Peking sagt den Europäern offen, dass die Beziehungen von beiden Seiten verteidigt werden müssen, um sie zu stärken und zu erhalten. Sie selbst sprechen von strategischer Autonomie, von einer Stärkung der Rolle Europas auf der Weltbühne – das ist genau das, was China benötigt.

"Europa": Macron gibt sich im Interview mit dem "Economist" als düster-apokalyptischer Warner

"Europa": Macron gibt sich im Interview mit dem "Economist" als düster-apokalyptischer Warner

Analyse “Europa”: Macron gibt sich im Interview mit dem “Economist” als düster-apokalyptischer Warner

Es ist klar, worüber wir sprechen: China will eine größere Unabhängigkeit der EU von den USA. Aber will Europa diese auch selbst? Tendenziell ja – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen: Die europäischen Transatlantiker befürchten, dass sich die USA in internen Problemen verzetteln und die EU im Stich lassen, während ihre Gegner im Gegenteil für eine echte Unabhängigkeit von den Angelsachsen eintreten.

Tatsächlich aber ist Europa in den vergangenen Jahren nur abhängiger von den Staaten geworden – der Konflikt in der Ukraine hat es den Transatlantikern auf beiden Seiten des Ozeans ermöglicht, die Beziehungen zu Russland fast vollständig abzubrechen. Die EU ist auf eine Konfrontation mit Moskau eingestellt, bis zu ihrem siegreichen Ende, das als “unvermeidliche” Aufnahme der Ukraine in die Union und die NATO erklärt wird. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es notwendig, die atlantische Einheit und Solidarität zu stärken, also eine einheitliche Politik der USA und der EU zu betreiben.

Dies ist jedoch gänzlich konträr zu Chinas Interessen. Peking sieht den Konflikt in der Ukraine als eine Konfrontation zwischen den Transatlantikern und Russland. Eine Niederlage unseres Landes, mit dem es gemeinsame Pläne zum Aufbau einer postwestlichen Weltordnung teilt, würden es absolut benachteiligen.

Aber Peking setzt die Transatlantiker in der EU und Europa nicht gleich und setzt darauf, dass die Europäer künftig den Weg der eigenständigen Entwicklung gehen werden. Auch Russland hat viele Jahre lang darauf gesetzt, und obwohl dieser Einsatz nicht aufgegangen ist, sollte man China nicht Naivität vorwerfen. Schließlich unterscheiden sich Chinas Beziehungen zur EU erheblich von den russisch-europäischen: Während die Angelsachsen recht erfolgreich mit den alten Komplexen der Europäer gegenüber Russland spielen konnten (von banaler Russophobie bis zu dem echten Wunsch, die europäische Grenze zur russischen Welt auf Kosten der Ukraine nach Osten zu verschieben), wird im Falle Chinas nichts dergleichen funktionieren.

Obwohl man seit Jahren versucht, die China-Phobie in Europa anzustacheln, ist das Ergebnis wenig beeindruckend. Das Schreckgespenst der “chinesischen Bedrohung” wirkt nicht auf den Durchschnittsbürger und schon gar nicht auf die Eliten – das alte europäische Geld weiß sehr wohl um die Vorteile und die Bedeutung der Beziehungen zu China. Europa kann es sich einfach nicht leisten, seinen Handel mit dem Reich der Mitte von den geopolitischen Plänen der Angelsachsen abhängig zu machen – insbesondere nach dem Verlust der Beziehungen zu Russland. Wenn die USA die Gelegenheit bekommen, die europäisch-chinesischen Beziehungen zu regeln, wird die EU das nicht überleben – und kaum jemand in Brüssel, Berlin, Paris oder Rom ist bereit, die Union den Interessen anderer zu opfern.

Baerbockisierung der US-Außenpolitik: Blinki fliegt nach China

Baerbockisierung der US-Außenpolitik: Blinki fliegt nach China

Meinung Baerbockisierung der US-Außenpolitik: Blinki fliegt nach China

Der US-amerikanische Druck auf die Europäer in der China-Frage wird in Zukunft nur zunehmen. Washington versucht zudem, die Chinesen mit dem Verlust Europas zu erpressen. Es ist kein Zufall, dass Außenminister Blinken bei seinem jüngsten Besuch in Peking sagte, die europäischen Länder seien sehr besorgt über die chinesische Unterstützung für Russland – schließlich hilft die Lieferung von Komponenten für die Waffenproduktion Moskau beim Kampf in der Ukraine und das bedrohe die europäische Sicherheit! Die Andeutung ist klar – ihr Chinesen werdet euch immer noch zwischen der Unterstützung Russlands und den Beziehungen zu Europa entscheiden müssen.

Es ist klar, dass dies ein Bluff ist, der gegen beide Seiten eingesetzt wird, die chinesische und die europäische. Und es sind die Europäer, die sich mehr Sorgen machen sollten, denn die Amerikaner könnten theoretisch ihren Handel mit China erschweren. Es bestehen jedoch große Zweifel, dass sie dies wagen werden: Wenn sie der EU de facto einen Handelskrieg erklären, werden die Europäer gezwungen sein, sich zu verteidigen, was sich nachteilig auf die transatlantische Einheit auswirken wird, einschließlich der Unterstützung für die Ukraine.
Es ist also allen klar, dass die Amerikaner bluffen. Dennoch werden ihre Drohungen ernst genommen. Und als Reaktion darauf macht China einen Vorstoß an der europäischen Front – Xis Reise soll ja gerade demonstrieren, dass die Transatlantiker die Alte Welt nicht im Griff haben.

Aus diesem Grund wurden Frankreich, Serbien und Ungarn für den Besuch ausgewählt. Xi wird nicht nach Berlin reisen – obwohl Bundeskanzler Scholz China bereits zweimal besucht hat. Der chinesische Präsident wird sich mit Macron treffen, der ständig von der strategischen Autonomie Europas und der Notwendigkeit spricht, sein eigenes Schicksal zu bestimmen. Ja, das sind nur Worte, aber andere europäische Großmächte haben nicht einmal sie. China wird die französischen Träume unterstützen, zumal die antiatlantischen Gefühle in der französischen Elite recht stark sind. Und der Anlass des Besuchs – er fällt mit dem 60. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Peking und Paris zusammen – bezieht sich auf die Zeiten, in denen Frankreich wirklich ernsthaft versuchte, eine unabhängige Rolle zu spielen, auf die Ära von Charles de Gaulle.

Blinken in China – Europa steht vor einer Schicksalsentscheidung

Blinken in China – Europa steht vor einer Schicksalsentscheidung

Meinung Blinken in China – Europa steht vor einer Schicksalsentscheidung

Die Reise nach Serbien wird am 25. Jahrestag des US-Angriffs auf die chinesische Botschaft in Belgrad beginnen – ein symbolträchtigerer Tag war kaum zu finden. Serbien ist kein Mitglied der EU, wenn auch durch viele Abkommen mit ihr verbunden. Es ist für China als alter und interessanter Partner für das Eindringen in die Alte Welt wichtig.

Das Gleiche gilt für Ungarn, das zwar der EU angehört, dort aber eine möglichst unabhängige Position einnimmt. Sowohl geopolitisch – im Hinblick auf den Konflikt in der Ukraine und die Beziehungen zu Russland – als auch ideologisch. Wirtschaftlich ist Ungarn voll und ganz an die EU oder sogar an Deutschland gebunden. Xi und Orbán werden den Startschuss für den Bau einer neuen Autofabrik geben, die ein gemeinsames chinesisch-deutsches Unternehmen sein wird. Das ist ein perfektes Beispiel für europäisch-chinesische Zusammenarbeit, allerdings auf dem Gebiet Osteuropas, dem Peking traditionell erhöhte Aufmerksamkeit schenkt.

Die Tatsache, dass zwei der drei von Xi in Europa besuchten Länder besondere Beziehungen zu Russland unterhalten, ist unbeabsichtigt, aber keineswegs zufällig. Die Transatlantiker wollen den Konflikt mit Russland in eine Konfrontation zwischen dem Kollektiven Westen einerseits und Russland und China andererseits verwandeln, und zwar eine Konfrontation, die angelsächsischen Regeln folgt. Doch Peking wird das Schlachtfeld nicht aufgeben oder sich den Regeln anderer unterwerfen – es setzt auf interne Probleme und Widersprüche innerhalb des Westens. 

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 5. Mai 2024 auf ria.ru erschienen.

Source

Leave a Reply

Back to top button