Meinung
Massenproteste in Deutschland und der geheuchelte Antifaschismus staatlich vereinnahmter “Linker”
Im Kern richtet sich der jüngste AfD-Antrag gegen die Interessen aller Lohnabhängigen, die keine privilegierten Stellungen im Beamten- und sonstigen Staatsdienst genießen. Denn die Aussicht insbesondere prekär Beschäftigter, bei Kündigung in ein repressives Gängelsystem zu rutschen, hemmt jeden Widerstand gegen unzumutbare Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne.
Die Option, nach einem Jahr Arbeitslosengeld in ein System aus totaler Kontrolle, Residenzpflicht am Wohnort und staatlichem Arbeitszwang für das absolute Existenzminim zu rutschen, macht alles möglich, nur nicht mutig. Vielmehr diszipliniert es die Noch-Arbeitsplatz-Inhaber, auch widrigste Bedingungen zu akzeptieren. Es wäre mithin ein weiterer Maulkorb für die allermeisten lohnabhängig Beschäftigten.
Arbeitspflicht fürs Existenzminimum
Konkret fordert die AfD drei Maßnahmen. Zum einen sollen die Leistungen für alle volljährigen Erwerbsfähigen, die das Bürgergeld als Aufstockung oder als einzige Einnahme erhalten,
“nach einer Karenzzeit von sechs Monaten grundsätzlich an die Teilnahme an der ‘Bürgerarbeit’ mit fünfzehn Wochenstunden geknüpft werden, soweit nicht bereits eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mit mindestens zwanzig Wochenstunden besteht”.
Dazu sei angemerkt, dass damit auch Freiberufler, die etwa als Nachwirkung der Corona-Maßnahmen drastische Einbrüche ihrer Einkommen zu beklagen haben und aufstocken müssen, unter diese Verpflichtung fallen würden.
Aber es sei noch etwas weiter gedacht: Angesichts der Aussicht, dass vermutlich Tausende von Betrieben angesichts der massiv steigenden Energiekosten zeitnah pleitegehen dürften, könnte im Sinne der AfD bald ein Heer von Millionen Bürgerarbeitern entstehen, die für das blanke Existenzminimum staatlich befohlene Arbeiten ausführen müssen. Die Regierung würde sich ganz sicher über billige Masken-Kontrolleure oder Plakatkleber für ihre neue Impfkampagne freuen. Vielleicht würde sich auch die ohnehin profitable Rüstungsindustrie über solche Billigarbeiter freuen?
Bei Ungehorsam Lebensmittelkarten
Damit nun also die Bürgergeld-Betroffenen brav gehorchen, geht es laut AfD nicht ohne Erpressung. Die Fraktion fordert dafür, dass
“eine ‘Sachleistungs-Debitkarte’ für volljährige erwerbsfähige Grundsicherungsempfänger eingeführt wird, mit der als Alternative zu der Gewährung von Barmitteln die Leistungsgewährung in bestimmten Fällen – wie etwa der Verweigerung der ‘Bürgerarbeit’ – unbar über die Debitkarte erfolgt”.
Mit anderen Worten: Wer sich der Bürgerarbeit verweigert, soll nur noch eine Art von Lebensmittelkarten erhalten, damit er oder sie nicht gleich verhungert. Die Essensgutscheine für vollständig sanktionierte Hartz-IV-Bezieher lassen grüßen. Auch die USA halten mit derlei Mitteln ihre Armen ganz unten.
Reiseverbot und Totalüberwachung
Es geht aber noch weiter: Die AfD fordert die totale Residenzpflicht, wie sie etwa für neu angekommene Flüchtlinge oft für einen langen Zeitraum gilt. So solle
“die Erreichbarkeit für volljährige erwerbsfähige Leistungsbezieher unmissverständlich so geregelt werden, dass die Leistungsbezieher sich grundsätzlich im zeit- und ortsnahen Bereich im Inland aufzuhalten haben, zu einer möglichen Ortabwesenheit im Ausland eine effektive Kontrolle möglich ist sowie bei festgestelltem Auslandsaufenthalt ohne vorherige Jobcenter-Zustimmung ein Leistungsausschluss für jeden einzelnen Monat mit einem zeitanteiligen Auslandsaufenthalt erfolgt”.
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Zwar führt die AfD Auslandsaufenthalte an, die nicht gestattet werden dürften und durch umfassende Kontrollen verhindert werden sollten. Doch kaum ein Bezieher kann sich wohl ohnehin, objektiv betrachtet, Auslandsaufenthalte von dem kläglichen Salär leisten. Hier geht es also wieder unverblümt in Richtung Sozialneid.
Was die AfD tatsächlich meint, schreibt sie dem voran: Der Staat soll Betroffene verpflichten, sich “grundsätzlich im zeit- und ortsnahen Bereich” aufhalten. Das ist noch viel enger gefasst, als ein etwa erträumter Auslandsaufenthalt. Zugleich plädiert sie für einen Überwachungsapparat, dem Betroffene unterworfen werden sollen. Schon jetzt existiert übrigens die Regel zum Aufenthalt im ortsnahen Bereich. Zu finden ist sie in den sogenannten Eingliederungsvereinbarungen, welche die Jobcenter bei Weigerung des Betroffenen zu seiner Unterschrift einfach als Bescheid erlassen. Die Ampel-Regierung will sie in “Kooperationspläne” umbenennen – das klingt wohl besser.
Vertretung des deutschen Kapitals
Damit fährt die AfD auf Bundesebene im Kern eine neoliberale Agenda: Freiheit für die Wirtschaft, ein repressiver Staat für die Lohnabhängigen. Doch wie kommt es dann, dass sie in Sachen Corona-, Russland- und Energiepolitik als – teils durchaus löbliche – Opposition gegen die Regierung auftritt?
Zunächst ist anzumerken: Neoliberale Ausrichtung und Opposition gegen die derzeitige (und die vorangegangene) Bundesregierung sind kein Widerspruch. Doch die politischen Forderungen, mit denen die AfD oppositionell gegen die Regierung auftritt, sind arg beschränkt. Sie will zum Beispiel keinen Austritt Deutschlands aus der NATO. Diese sieht sie explizit laut ihres Programmes als “Verteidigungsbündnis”. Die NATO-Mitgliedschaft “entspricht den außen- und sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands”, heißt es dort.
Dass sie sich in Sachen Corona-Politik gegen die Regierungslinie stellte, mag weniger an den Interessen der “kleinen Leute” liegen, deren Zustimmung sie natürlich dennoch benötigt, sondern eher an ihrer Ausrichtung auf das nationale Kapital, also auf deutsche mittelständische und Großkonzerne. Diese litten vielfach bereits unter den staatlichen Corona-Maßnahmen, und angesichts der nun folgenden Energiekrise stehen viele vor dem Aus.
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Die deutschen Regierungen zogen hingegen in den letzten Jahren eine zunehmend imperialistische Bündnis-Agenda im Sinne multinationaler Großkonzerne durch. Dies bedroht unzweifelhaft die Existenz vieler deutscher Groß- und Kleinbetriebe und hebelt deren Eigenständigkeit immer weiter aus. Damit fährt die deutsche Politik auf Kurs der USA, denen es vor allem um ihre kriegerisch bewehrte Vormachtstellung geht.
Kurzum: Die AfD will den deutschen Imperialismus gegen die Interessen der USA stärken. Dass die USA keine friedliche Freiheits- und Menschenrechtsmacht sind, ist bekannt. Das Problem dabei: Der deutsche Imperialismus ist das auch nicht, am allerwenigsten für die in seinem Herrschaftsbereich lebende, von ihm lohnabhängige Mehrheit der Beschäftigten, ebenso wenig für die Bevölkerungen in seiner Peripherie.
Materielle und finanzielle Macht bleibt eine ökonomische Eigentumsfrage. Wem Banken, Geld und Konzerne gehören, kann sich Politik und Wissenschaft kaufen. Die AfD ist weit entfernt davon, darüber nachzudenken, auch wenn als Opposition zur autoritären staatlichen Einheitsfront, die heute gern demagogisch mit Adjektiven wie “links”, “humanistisch” oder “freiheitlich” etikettiert auftritt. Eines ist sicher: Die Interessen des deutschen Kapitals sind keineswegs identisch mit denen der “kleinen Leute”.
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