Quelle: Legion-media.ru © Zoonar/Axel Kammerer Symbolbild
Von Gert Ewen Ungar
Man kann sich nur noch verwundert die Augen reiben, angesichts der Geschwindigkeit, mit der in Deutschland alles, was Demokratie und offene Gesellschaften ausmacht, zurückgebaut wird. Der neueste Einfall einer deutschen Abgeordneten: Eine Meldestelle für russische Desinformation soll es in Deutschland geben. Das schlägt die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU, Andrea Lindholz, vor. Eine Meldestelle, in der ein bundesweites Lagebild zur russischen Desinformation erstellt wird.
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Man weiß nicht, wie sich Lindholz eine solche Meldestelle vorstellt, aber schon nach kurzer Überlegung ist klar: Mit Rechtsstaat hat diese Idee nichts mehr zu tun. Mit offenem Diskurs auch nicht. Wer legt fest, was Desinformation ist, und was nicht? Die Bundesregierung? Ein Fakten-Checker-Gremium, das vom Staat finanziert wird? Was macht man mit jenen, die sich nicht an der offiziellen Einschätzung orientieren? Ordnungsgeld? Wegsperren? Handy wegnehmen?
Etwas schärfer darf es für die FDP sein. Deutschland und die EU müssten ihre Anstrengungen bei der Unterdrückung russischer Nachrichten stärken, meint der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Konstantin Kuhle. Na bravo. So geht bürgerliche Freiheit. Die FDP überholt sich selbst inzwischen ganz weit rechts.
Dabei ist genau in diesem Kontext nicht so genau klar, wer hier wen vor sich hertreibt. Die beiden Abgeordneten reagieren mit ihren Zensur-Forderungen und ihrer Demokratiefeindlichkeit auf Berichte des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) , in denen nachgewiesen wird, dass russische Medien die Zensurmaßnahmen der EU unterlaufen. Das tun sie tatsächlich.
Unionsfraktionsvize Lindholz fordert Meldestelle für “russische Desinformation”
Das RND hielt dann vermutlich den nächstbesten Abgeordneten ein Mikrofon unter die Nase und fragte nach einer Reaktion. Politik antwortete brav, wie erhofft. Mehr Zensur, mehr Kontrolle, mehr Reglement soll es sein. Russische Desinformation ist eine Gefahr für die Gesellschaft, ist sich die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU sicher. Das RND spielt über Bande und schaltet so die Konkurrenz aus, die für eine funktionierende Medienlandschaft jedoch fundamental ist. Ob und bei wie vielen Abgeordneten das RND abgeblitzt ist, erfährt man natürlich nicht. Man kann hoffen, dass es viele waren.
Dabei ist Lindholz sogar zuzustimmen. Von Desinformation geht eine Gefahr für die Gesellschaft aus. Nehmen wir das Beispiel RND : Das RND veröffentlicht regelmäßig Einschätzungen des britischen Geheimdienstes zur Lage in der Ukraine, die sich bisher so ziemlich alle als falsch herausgestellt haben.
Aktuell spekuliert das RND erneut über einen möglichen Munitionsmangel in Russland. Offizielle Quellen gibt es dafür nicht. Aber mit ganz vielen Konjunktiven kann man nahelegen, Russland beziehe jetzt Waffen aus dem Iran und Nordkorea. Russland ist am Ende, die Munition geht aus. Die Sanktionen wirken, Russland bricht zusammen. So desinformiert das RND seit Monaten.
In der Realität sieht es dann so aus, dass Russland ganz offensichtlich zu jedem beliebigen Zeitpunkt jeden beliebigen Punkt in der Ukraine treffen kann, ohne dass die Ukraine dagegen irgendetwas zu unternehmen vermag. Dessen ungeachtet ist dieser ganze Quatsch, den das RND völlig undifferenziert, entgegen jeder journalistischen Sorgfaltspflicht und gegen jede Evidenz behauptet, natürlich deutscher Qualitätsjournalismus. Er steht im Gegensatz zu russischer Desinformation.
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Auf der Webseite des bei deutscher Politik und Medien verhassten RT DE steht, der EU gehe die Munition aus. Doch im Gegensatz zum wild spekulierenden RND ist die Quelle bei RT DE der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Er sagte ganz offen, dass in der EU die Möglichkeiten der militärischen Unterstützung der Ukraine zu Ende gingen. Die Lager wären leer und die Produktion käme nicht hinterher. Es bräuchte mehr Geld. Das freilich ist eine russische Desinformation, denn RT DE hat darüber geschrieben.
Die ewig falschen Einschätzungen des britischen Geheimdienstes und wilde Spekulationen irgendwelcher Experten, die das deutsche Überlegenheitsgefühl bedienen, das ist echter Journalismus ‒ alles andere ist russische Propaganda und muss zensiert und verboten werden.
Man kann das an dieser Stelle ausweiten: Auch die Bewertung des westlichen Sanktionsregimes als schädlich für Deutschland und die EU ist eine russische Desinformation. Es ist alles in Ordnung, die deutsche Wirtschaft ist robuster als gedacht, behaupten deutsche Medien. Vielleicht gibt es eine kleine, saisonale Winterrezession. Nichts Schlimmes.
Waffenlieferungen an die Ukraine sind gut. Die Ukraine wurde überfallen und braucht westliche Unterstützung. Es gibt keine Vorgeschichte. Jeder, der auf die Abläufe vor dem 24. Februar 2022 verweist, übernimmt das russische Narrativ. Die Ukraine nutzt die Waffen ohnehin nur zur legitimen Verteidigung. Sie begeht damit keine Kriegsverbrechen, indem sie gezielt auf Städte schießt und in voller Absicht Zivilisten tötet. Wer etwas anderes behauptet, ist ein Opfer russischer Desinformation.
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Die Ukraine ist auf dem Weg in die Demokratie, während Russland eine Autokratie ist, in der eine kleptokratische Elite das Volk ausraubt und unterdrückt. Es spielt dabei keine Rolle, dass in der Ukraine jede Opposition ausgeschaltet ist und es faktische keine freien Medien mehr gibt. Im Südosten der Ukraine will auch niemand der Russischen Föderation beitreten. Das ist alles fake. Die Leute wollen dorthin, woher die Raketen stammen, die auf sie niedergehen: in den Westen, die EU.
Die großen deutschen Medien haben sich in einem Wohlfühlklüngel mit der Politik zusammengefunden, die sie eigentlich kritisieren sollten. Sie haben zudem noch die Führung der Politik übernommen. Dadurch sind deutsche Medien echtem Journalismus zum Feind geworden. Konkurrenten werden mit Zensurforderungen aus dem Feld geschlagen. Nicht, weil die Information dort falsch ist. Im Gegenteil werden sie zensiert, weil die Informationen richtig und wichtig sind, um zu einer realistischen Einschätzung zu kommen, um sich tatsächlich eine freie Meinung bilden zu können.
Deutschland hat sich komplett verlaufen. Wieder einmal. Es ist nicht das erste Mal. Es passiert immer auf die gleiche Weise. Aber das Abschotten von der Realität hat Deutschland noch nie geholfen. Das Abschotten von der Realität ändert nichts am militärischen Verlauf in der Ukraine. Die Weigerung, über ukrainische Kriegsverbrechen zu berichten, macht sie nicht ungeschehen. Die mit westlichen Waffen getöteten Zivilisten werden nicht wieder lebendig, wenn man ihren Tod verschweigt. Die Inflation sinkt nicht, wenn man sie schönredet. Es gibt nicht plötzlich einen anderen Energiemarkt, wenn man so tut, als könnte Deutschland überall in der Welt günstiges Gas beziehen. Die Realität ändert sich nicht, wenn sie ignoriert wird. Journalismus hat eigentlich die Aufgabe, Realität zugänglich und in ihrer Komplexität verständlich zu machen. Der deutsche Journalismus verweigert sich dieser Aufgabe, ergeht sich in einfachem Schwarz und Weiß. Politik findet das naturgemäß gut. Ein Ärgernis weniger.
Das, was man mit all dieser Zensur erreicht, ist jedoch lediglich, dass das Vertrauen in Medien und Politik weiter erodiert. Das ist aber nicht das Verschulden russischer Propaganda, sondern die Schuld einer völlig fehlgeleiteten, unrealistischen und unehrlichen deutschen Politik, im Verbund mit deutschen Medien, die den Auftrag, wahrheitsgemäß und breit zu informieren, schon längst aufgegeben haben.
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Die deutsche Medienlandschaft ist in einem absolut erbärmlichen Zustand. Wieder einmal. Statt die Fehlentwicklung zu berichtigen und mehr Freiheit und Vielfalt zuzulassen, verstärkt die Politik Zensur und Repression. Deutschland schafft es erneut nicht, die Fehlentwicklungen im Innern aus eigener Kraft zu korrigieren, sondern verirrt sich immer weiter im Autoritarismus.
Kein Land braucht in diesem historischen Moment, um Demokratie in seinem Kern zu stützen, so sehr und so dringend ausländische Medien als Quellen zuverlässiger Information wie Deutschland. Kein Land braucht aktuell so dringend Unterstützung von außen im Hinblick auf halbwegs saubere Berichterstattung wie Deutschland.
Der deutsche Journalismus ist wieder einmal eine wenig rühmliche Verbindung mit der Politik eingegangen und befindet sich bezüglich zentraler Themenbereiche im Zustand der Gleichschaltung. Je länger dieser Zustand andauert, desto bitterer wird das Erwachen in der Realität. Realität lässt sich nämlich nicht wegzensieren.
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