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Es gab früher einmal eine Regel – wenn man wissen wollte, wie die ökonomische Lage wirklich ist, muss man in die Wirtschaftszeitungen schauen. Ähnliches galt für Veröffentlichungen von Banken; wenige Texte sind so informativ wie die volkswirtschaftlichen Studien großer Banken. Wenn es ums Geld geht, ist Propaganda nicht mehr so wichtig. So war es zumindest.
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Doch die Financial Times berichtet von einem Vorfall vom vergangenen Dienstag bei der Bank of America, der belegt, dass inzwischen die Denk- und Sprachverbote bis in die Finanzwelt reichen. Die Bank of Amerika hielt ein Online-Seminar zur Ukraine ab und musste dieses abbrechen, nachdem einige Teilnehmer protestiert hatten, die Darstellung sei zu pro-russisch.
Dabei ging es um Information, die als Grundlage für Anlageentscheidungen dienen soll, und zu diesem Zweck nützt es nichts, die westlichen Sprachregelungen vom Stil “die Ukraine muss siegen” zu wiederholen. Da ist es unvermeidbar, den wirtschaftlichen Niedergang des Landes offen darzustellen und Risiken wie die massive Korruption anzusprechen.
Die Auseinandersetzung um die Veranstaltung bei der Bank of America scheint sich um zwei Personen zu zentrieren – einen der Referenten, Nicolai Petro, Politik-Professor in Rhode Island, und einen Investmentbanker namens Timothy Ash.
Timothy Ash, der die Auseinandersetzung wohl forciert hat, arbeitet für BlueBay Investment, eine Tochtergesellschaft der Royal Bank of Canada, und ist außerdem Fellow der britischen außenpolitischen Denkfabrik Chatham House. Welche Positionen er zur Ukraine vertritt, muss man nicht raten, auch wenn es in diesem Gewerbe eher unüblich ist, massiv politisch Stellung zu beziehen.
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Nicolai Petro wiederum hat zuletzt ein Buch veröffentlicht, das die Entwicklung des Konfliktes in der Ukraine aus dem Blickwinkel der griechischen Tragödie betrachtet. Eine Herangehensweise, die mehr nach Elfenbeinturm klingt als nach einer Darstellung der russischen Sicht; in diesem Buch, das teils über Google Books frei zugänglich ist und bei dem nicht gänzlich unangesehenen Verlag De Gruyter veröffentlicht wurde, widmet er sich jedenfalls ausführlich der politischen Vorgeschichte.
In seinem Vortrag soll er gesagt haben, die Ukraine werde bei jedem denkbaren Szenario der Verlierer sein, da ihre industriellen Kapazitäten zerstört wären, zum Teil auch, weil die EU wie die USA das Land gerne als “landwirtschaftliche Supermacht” sähen; die Bevölkerung werde weiter abnehmen, weil noch mehr Menschen außer Landes nach Arbeit suchten.
Damit gab Petro nur Fakten wieder, die noch im Jahr 2021 allgemein verfügbar waren. Ash allerdings erklärte, er wolle sicherstellen, dass westliche Banken “eine ausgewogene Sicht auf den Konflikt haben und nicht dazu gebracht werden, Moskaus Stichworte wiederzugeben.” Und selbst ein Teilnehmer, der Petro wohlgesonnen ist, schrieb diesem zu, die russische Sicht zu vertreten, und meinte nur, man müsse sie ebenfalls kennen.
Petro, der sich unter anderem damit beschäftigt, wie Stereotypen die Außenpolitik beeinflussen, dürfte das Ganze eher amüsiert betrachtet haben. Wenn allerdings jetzt im Westen selbst Informationen über Investitionen mit politischen Sprachverboten belegt werden, schwindet der letzte Raum, in dem immer rationale Debatte möglich war.
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