Quelle: Sputnik © Ajk Arutjunjan Symbolbild: Ein zerstörtes Wohnhaus in Stepanakert in Bergkarabach, Aufnahme vom 19. September.
Von Geworg Mirsajan
Alles ist vorhersehbar. Genau dieser Satz kommt einem in den Sinn im Zusammenhang mit der am 19. September begonnenen Operation Aserbaidschans zur Einnahme des bislang nicht kontrollierten Teils von Bergkarabach. Genauer gesagt, einer gemeinsamen Operation von Aserbaidschan und der gegenwärtigen armenischen Regierung unter Nikol Paschinjan an der Spitze, um die geopolitische Konstellation im Südkaukasus auf Kosten von Leben und Schicksalen von Armeniern aus Bergkarabach zu ändern.
Offensichtlich war die Operation militärisch vorbereitet worden. Egal, was die Regierung Aserbaidschans für einen Anlass, zum Beispiel ein Auto, das 15 Kilometer von der Kontaktlinie entfernt auf eine Mine fuhr und zerrissen wurde, anführen mag, die Konzentration der Truppen begannen bereits davor. All das wurde festgehalten, es wurde gesehen – und niemand konnte es verhindern. Schließlich kann niemand von Baku fordern, die Truppen vom eigenen Gebiet abzuziehen.
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Die Operation war auch im Hinblick auf Information gut vorbereitet. Mehrere Wochen lang unternahm der armenische Ministerpräsident Paschinjan eine ganze Serie von antirussischen Schritten. Er erzählte von der angeblichen Sinnlosigkeit der russischen Friedenstruppen, von der Fehlerhaftigkeit der strategischen Wahl Armeniens, sich mit Russland zu verbünden – als ob Armenien überhaupt eine Wahl hatte, mit wem es sich verbünden könnte. Er schickte seine Frau nach Kiew, um an russophoben Veranstaltungen teilzunehmen. Schließlich lud er die USA zur Teilnahme am gemeinsamen Manöver auf armenischem Territorium ein – dieselben USA, die in der Ukraine gegen Russland agieren. Auf demselben armenischen Territorium, auf dem Paschinjan seinem Verbündeten Russland und seinem nächsten Partner Iran gemeinsame Manöver verweigerte.
Einen Beitrag zur informationellen Begleitung leistete auch Aserbaidschan. Dessen Regierung behauptete, dass sie die russischen Friedenstruppen von der Operation in Kenntnis gesetzt habe, und implizierte damit, dass Russland die Invasion billigte, obwohl Moskau dem direkt widersprach. “Die Information wurde dem russischen Kontingent wenige Minuten vor dem Beginn der Kampfhandlungen mitgeteilt”, betonte die Sprecherin des russischen Außenministeriums Maria Sacharowa.
Schließlich wurde für den Einsatz ein sehr günstiger Zeitpunkt gewählt. Erstens läuft die spezielle Militäroperation in der Ukraine – und sie stellt für Russland offensichtlich militärisch eine Priorität dar. Sicher könnte Aserbaidschan bis 2025 warten, wenn die russischen Friedenstruppen legal aus der Region abziehen würden, es ist allerdings unklar, wie sich die Lage bis dahin entwickelt. Falls Russland bis dahin die Causa Ukraine siegreich beenden und die antirussische Regierung in Armenien abgesetzt werden sollte, würden die Friedenstruppen möglicherweise bleiben. Und jetzt besteht die Möglichkeit einer sicheren Eroberung von Karabach. “Die einzige Bedingung des Friedens in der Region ist der vollständige Abzug armenischer Militärangehöriger aus Karabach und die Auflösung des Regimes in Stepanakert”, diktiert Baku seine Bedingungen.
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Zweitens ist es für den Westen wichtig, vor dem Hintergrund der letzten Phase der ukrainischen Offensive, in der sich Kiew im Versuch, das Scheitern an der Front irgendwie zu vertuschen, auf einen finalen Sturm vorbereitet, eine zweite Front gegen Russland zu eröffnen und die russische Armee mit anderen Problemen abzulenken. Georgien lehnte die Teilnahme an einem solchen Schauspiel kategorisch ab, während sich die Regierungen Armeniens und Aserbaidschans anscheinend als gefügiger erwiesen.
Nun besetzt Aserbaidschan ein Gebiet, über das Armenien Bakus Kontrolle offiziell anerkannt hatte, worauf auch Maria Sacharowa hinweist. Armenien ist nicht zum Kampf in Karabach bereit – Paschinjan rief nicht nur eine Mobilmachung nicht aus, sondern verzichtete sogar darauf, aktive Einheiten der armenischen Armee nach Bergkarabach einmarschieren zu lassen, und beschränkte sich auf Phrasen nach dem Motto “sie sind nicht dort”. Folglich ist es nicht ein Problem Russlands, sondern Jerewans souveräne Entscheidung über eine Kapitulation.
In jedem Fall ist Armenien nicht um sein Schicksal zu beneiden. Doch das ist sein Problem. Die Armenier selbst stimmten für den staatlichen Suizid im Jahr 2018 und bestätigten dies im Jahr 2021, als sie Paschinjan wählten.
Für Russland, dessen Friedenstruppen jetzt im Konfliktgebiet verbleiben, besteht das Problem darin, dass es aus dem Südkaukasus verdrängt wird. Und es stellt sich die Frage, wie man gleichzeitig auf allen Schachbrettern Baku, Jerewan, Ankara und Washington überspielen kann.
Übersetzt aus dem Russischen und zuerst erschienen bei Wsgljad.
Geworg Mirsajan ist außerordentlicher Professor an der Finanzuniversität der Regierung der Russischen Föderation, Politikwissenschaftler und eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Geboren wurde er 1984 in Taschkent. Er machte seinen Abschluss an der Staatlichen Universität in Kuban und promovierte in Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt USA. Er war von 2005 bis 2016 Forscher am Institut für die Vereinigten Staaten und Kanada an der Russischen Akademie der Wissenschaften.
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