Ausland

Blick auf den Balkan: Fälschen und Umschreiben der Geschichte ist keine “ukrainische Spezialität”

Blick auf den Balkan: Fälschen und Umschreiben der Geschichte ist keine "ukrainische Spezialität"

Quelle: AFP Ein Polizist geht am 3. Juni 2023 an vandalisierten Gräbern auf dem orthodoxen Friedhof in der ethnisch geteilten Kosovo-Stadt Mitrovica vorbei.

Von Marinko Učur

Versuche, die Geschichte zu verfälschen und die Geister der Vergangenheit wiederzubeleben, gibt es nicht nur in der Ukraine. Wie aus den Besiegten des Zweiten Weltkriegs falsche Helden und Befreier gemacht werden können, sahen wir zwar in den vergangenen Jahren nach der ukrainischen Maidan-Revolution und der Rehabilitierung von Stepan Bandera und seiner Nazi-Anhänger.

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Aber dieser Trend ist nicht nur in dieser ehemaligen Sowjetrepublik heute gang und gäbe, denn wir erleben ihn des Öfteren etwa auch in Kroatien, einem Mitglied der EU, wo die Geister der Vergangenheit und die Ideologie der besiegten Nazi-Schöpfung “Unabhängiger Staat Kroatien” (kroatisch NDH) ebenfalls wieder erweckt worden sind. Aber Versuche, die Vergangenheit zu entweihen und historische Fakten zu verbiegen, beobachten wir heutzutage auch anhand der Fälschung von Ereignissen aus dem Ersten Weltkrieg.

Wir sind Zeugen eines unglaublichen Skandals, der sich vor einigen Tagen im selbsternannten und von den Vereinten Nationen anerkannten Staat Kosovo in Priština auf dem dortigen orthodoxen Friedhof ereignete. Auf Wunsch des französischen Botschafters wurde in dieser serbischen Provinz nämlich während der Gedenkfeier zum Tag des Waffenstillstands im Ersten Weltkrieg die Gedenktafel für serbische Soldaten und Befreier entfernt, damit man sie nicht sehen kann und damit diese für den deutschen Botschafter nicht irritierend wäre, der nunmehr auf magische Weise auf jener Seite stand, die ihm gar nicht zusteht – nämlich auf der Seite der Sieger.

So kam es, dass ein Vertreter der Besiegten heute Schulter an Schulter mit dem Sieger stand, was dadurch die Serben, deren Armee damals zusammen mit den Franzosen auf der Seite der Sieger und Befreier standen, noch mehr irritiert hat. Um den Exzess noch bizarrer zu machen, ereignete sich das alles auf dem einzigen serbisch-orthodoxen Friedhof in Priština unter der Kontrolle der Regierung von Premierminister Albin Kurti, der in den vergangenen Jahren nicht geschändet wurde.

Die selbsternannten Führungsspitzen des Kosovo haben diese unglaubliche Tatsache offenbar ignoriert – oder sie wurden einfach dazu angewiesen. Die Gedenktafel zur Erinnerung an die serbischen Opfer und Befreier im Ersten Weltkrieg wurde entfernt, damit die Botschafter der französischen Sieger und der besiegten Deutschen nunmehr gemeinsam am Denkmal stehen konnten!

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Die Öffentlichkeit in Serbien erhob sich energisch und machte auf diesen unglaublich scheinenden Rollentausch von Siegern und Besiegten aufmerksam. Alles deutete darauf hin, dass es sich um eine gezielte Provokation und einen weiteren Versuch handelte, den Staat Serbien aus seinem jahrhundertealten historischen Territorium zu vertreiben. Viele zeigten mit dem Finger auf den deutschen Botschafter Jörn Rohde, obwohl die selbsternannten Behörden von Priština bekannt gaben, dass der Drahtzieher dieses Skandals der französische Botschafter Olivier Guérot sei.

Anfangs war klar, dass die Proteste aus Belgrad ignoriert werden, aber als diese Blamage über die Landesgrenzen Serbiens hinausging und auch die Öffentlichkeit aus Deutschland zu reagieren begann, erfolgte eine lapidare Mitteilung, die das Ausmaß des angerichteten Schadens und die Vertauschung zwischen Befreiern und Besatzern nicht widerspiegelte:

“In den letzten Jahren und insbesondere im Jahr 2022 wurde diese gemeinsame französisch-deutsche Zeremonie in bestimmten Medien im Kosovo von Kontroversen über das Vorhandensein einer Gedenktafel zu Ehren der zwischen 1912 und 1918 gefallenen serbischen Soldaten überschattet”, heißt es beschwichtigend in der gemeinsamen Rechtfertigung der französischen und deutschen Botschaft.

Die zuständige Eparchie der Serbisch-Orthodoxen Kirche (SPC) äußerte ihre tiefe Besorgnis über die Verlegung der Gedenktafel für die serbischen Soldaten, die dieses Gebiet in den Balkankriegen und im Ersten Weltkrieg befreit hatten. “In dieser Weise wurde nicht nur erneut die Respektlosigkeit gegenüber einem Denkmal zum Ausdruck gebracht, sondern es zeigt auch, welches Schicksal unserem kulturellen und religiösen Erbe drohen würde, wenn der Schutz dieses Erbes ausschließlich den (sogenannten) Kosovo-Institutionen überlassen würde”, teilte die Eparchie mit.

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Unterdessen äußerte sich der deutsche Botschafter nur wenige Tage später erneut in einer Weise, die Serben nur als eine weitere Provokation des deutschen Diplomaten verstanden, dessen Land heute auch zu den stärksten Befürwortern der Unabhängigkeit Kosovos zählt. Bei einem Besuch des serbisch-orthodoxen Klosters Visoki Dečani aus dem 14. Jahrhundert, einer Stiftung des serbischen Königs Stefan Dečanski und des Kaisers Stefan Dušan, das als serbisches Kloster heute auf der UNESCO-Liste als Weltkulturerbe steht, nannte Rohde das nämlich “Kosovos Kloster” und irritierte die Serben neuerlich mit seinem eventuell sogar unabsichtlichen Fauxpas von Geschichtsvergessenheit.

Diese Blamage erreichte nun sogar Berlin, woraufhin der dortige AfD-Sprecher für internationale Beziehungen Petr Bystron reagierte und “Baerbocks Diplomaten” mangelnde Sensibilität auch in diesem sensiblen Thema vorwarf.

“Das kulturelle Erbe Serbiens einfach den Kosovaren zuzuschreiben, ist ein diplomatischer Fehler ersten Ranges”, sagte Bystron.

Nach dem Skandal brachte eine Gruppe serbischer Intellektueller eine Petition ein, damit das Denkmal für die gefallenen serbischen Soldaten umgehend an den angestammten, zentralen Platz des Gedenkparks zurückgebracht und aufgestellt wird. Dem widmet sich auch der Offene Brief an den französischen Botschafter Guérot, den Tatjana Lazarević als Trägerin des Nationalen Verdienstordens von Frankreich, den ihr jüngst gerade dieser französische Diplomat überreicht hat:

“Sie und Ihr deutscher Kollege haben auf dem serbisch-orthodoxen Friedhof die Gastgeberrolle übernommen, um dort den Grabstein serbischer Soldaten zu versetzen, wie Sie selbst zugeben. Wie würdig ist die Erinnerung an einen Verbündeten, der mit über 1,2 Millionen Opfern – einem Drittel der männlichen Bevölkerung – für unsere gemeinsame Freiheit einen hohen Preis gezahlt hat? Haben Sie ohne das Denkmal für die serbischen Soldaten zur Versöhnung des serbischen und albanischen Volkes beigetragen? Was streben Sie an? Können wir nach einer solchen Tat noch davon träumen, dass wir, Serben und Albaner, ebenso wie die Franzosen und Deutschen, eines Tages, mit Ihrer Hilfe, gemeinsam der Opfer der anderen Seite gedenken werden? Wie sollen wir Ihre Geste verstehen?”, fragt die Trägerin der hohen französischen Auszeichnung am Ende ihres Briefes.

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