Meinung

Bundeskanzler Olaf Scholz: Eurasien hat nie gegen Ozeanien Krieg geführt

Bundeskanzler Olaf Scholz: Eurasien hat nie gegen Ozeanien Krieg geführt

Quelle: www.globallookpress.com © Christoph SoederOlaf Scholz

Von Dagmar Henn

In George Orwells 1984 befindet sich der Staat Ozeanien, in dem die Hauptfigur lebt, ständig im Krieg mit einem der beiden Konkurrenten Eurasien und Ostasien. Wer Gegner und wer Verbündeter ist, wechselt dabei ständig.

Die staatliche Propaganda verhält sich dabei so, als sei der aktuelle Krieg der einzige jemals geführte, das aktuelle Bündnis das einzig denkbare; die Bevölkerung wird in täglichen “drei Minuten des Hasses” auf den aktuellen Gegner eingeschworen. Geschichte gibt es nicht.

Den Tweet, den Bundeskanzler Olaf Scholz zum Nahen Osten abgesetzt hat, kann man nicht lesen, ohne an dieses Buch erinnert zu werden:

Wie aberwitzig diese Aussage ist, kann man ganz einfach überprüfen, indem man sie umkehrt. “Es kursieren Hass und Hetze, die die Menschen im Gaza-Streifen für die Terror-Angriffe Israels verantwortlich machen.”

Denn es sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, zwischen der israelischen Bevölkerung und ihrer Regierung ebenso zu unterscheiden wie zwischen der palästinensischen und deren Regierung, und bewaffnete Kämpfer und Zivilisten klar voneinander zu trennen.

"Schöpfung Israels"? – Eine kurze Geschichte der Hamas

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“Schöpfung Israels”? – Eine kurze Geschichte der Hamas

Es gab einmal einen Sozialdemokraten namens Hans-Jürgen Wischnewski, der während des Algerienkriegs, den Frankreich mit äußerstem Terror führte, in Koffern Geld für die FLN nach Tunis brachte. Für die damalige französische Regierung waren das Terroristen, und wenn man liest, was Frantz Fanon in “Die Verdammten dieser Erde” schrieb, begreift man, dass die eine Seite der anderen in Brutalität in nichts nachstand.

Es war diese Geschichte mit Ben Wisch, wie ihn die Araber nannten, die es später deutschen Sozialdemokraten ermöglichte, im Palästina-Konflikt mit beiden Seiten zu reden, weil sie von beiden Seiten respektiert wurden. Olaf Scholz steht eindeutig nicht in dieser Tradition.

Er macht das Gleiche, was auch schon im Zusammenhang mit der Ukraine versucht wurde; nur dass diesmal nicht neun Jahre Bürgerkrieg, sondern ganze fünfzig Jahre völkerrechtswidrige Besetzung der Gedächtnislöschung zum Opfer fallen.

Es war ein sozialdemokratischer israelischer Ministerpräsident, Jizchak Rabin, der wegen seiner Bereitschaft, Schritte zum Frieden zu unternehmen, ermordet wurde. Der heutige israelische Verteidigungsminister spricht von “menschlichen Tieren”, wenn er sich der völkerrechtswidrigen Belagerung des Gaza-Streifens brüstet, und der israelische Gesundheitsminister verbietet völkerrechtswidrig die medizinische Versorgung von Kämpfern der Gegenseite.

Aber das ist alles egal. Es gibt eine Momentaufnahme aus einer langen, widersprüchlichen, blutigen Geschichte der Gewalt, die nun zum moralischen Maß erklärt wird und jegliche vernünftigere Befassung wird durch das Etikett “Hass und Hetze” verdammt.

Einer der ältesten Texte, die in Europa einen Anspruch auf Anerkennung auf Grundlage der Gleichheit aller Menschen erheben, ist der Monolog des Shylock in Shakespeares Kaufmann von Venedig.

“Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht? Wenn ihr uns kitzelt, lachen wir nicht? Wenn ihr uns vergiftet, sterben wir nicht? Und wenn ihr uns beleidigt, sollen wir uns nicht rächen? Sind wir euch in allen Dingen ähnlich, so wollen wir’s euch auch darin gleich tun.”

Wenn man diesen Satz versteht, kann man Schritte zum Frieden machen.

Aber Eurasien hat nie Krieg mit Ozeanien geführt.

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