Quelle: Gettyimages.ru © Westend 61 Die EU möchte künftig alle Chats überwachen.
Im Mai 2022 legte die EU-Kommission einen Gesetzesentwurf vor, der Behörden den Kampf gegen sexualisierte Gewalt an Kindern im Internet erleichtern soll. Doch das unter dem Namen “Chatkontrolle” bekannt gewordene Gesetzesvorhaben ist umstritten. Zwar soll mit dem Gesetz nach Angaben der EU angeblich lediglich eine gesetzliche Grundlage zur Umgehung der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung in Chats geschaffen werden, um Darstellungen von sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche aufspüren zu können. Doch ein solches Gesetz hätte folglich zugleich auch die massenhafte Überwachung von Kommunikation und Online-Inhalten aller anderen Internet-Nutzer zur Folge.
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Sollte es beschlossen werden, wären Kommunikations- und Hosting Anbieter wie “WhatsApp” oder “Signal” gesetzlich dazu zu verpflichtet, sämtliche Inhalte aller Nutzer nach verdächtigem Material zu durchleuchten und Verdachtsfälle an eine zentrale Stelle weiterzuleiten. Der Hackerverein Chaos Computer Club bezeichnete den Vorstoß im Mai deshalb als “überzogene und fehlgeleitete Überwachungsmethode, die mit dem Kampf gegen Kindesmissbrauch begründet wird”. Doch nicht nur von Datenschützern hagelt es massenweise Kritik. Auch von den Abgeordneten im EU-Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres musste sich EU-Innenkommissarin Ylva Johansson am Montag zur Präsentation ihres umstrittenen Gesetzesvorschlags einiges anhören.
Das Gesetz sei nicht nur unverhältnismäßig, sondern auch ineffektiv. Zudem fungiere es als Türöffner zur Massenüberwachung, hallte es aus den Reihen der Abgeordneten. Der Pirat Patrick Breyer kritisierte beispielsweise, dass nirgendwo sonst in der Welt ein vergleichbares Gesetz existiere, das so stark in die Grundrechte der Bürger eingreife. Die irische Abgeordnete Clare Daly (Linke) ging sogar noch einen Schritt weiter. Ein solches Überwachungssystem verstoße gegen grundlegende Menschenrechtsprinzipien und sei nicht mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vereinbar, mahnte sie.
Doch die Vorwürfe perlten an Johansson weitestgehend ab. Stattdessen betonte die Sozialdemokratin erneut, wie wichtig das geplante Gesetz für den Kinderschutz sei. Die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte habe auch keinen potenziellen Verstoß ausmachen können, so Johansson. Sie verwies darauf, dass Konzerne wie Meta, Google und Microsoft die Chats ihrer Nutzer bereits heute schon freiwillig scannen würden. Mit den geplanten EU-Vorgaben solle diese Praxis nun lediglich restriktiver gefasst werden. Die genannten Sorgen dürften Johanssons Beschwichtigungen allerdings nicht aus dem Weg räumen.
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So haben rund 25 zivilgesellschaftliche Organisationen ihre Kritik an dem Vorhaben der Kommission in einem am Montag veröffentlichten Brief erneut untermauert. “Die vorgeschlagenen Maßnahmen werden Kinder nicht besser schützen. Stattdessen verengen sie den Blick auf technokratische Überwachungsinstrumente, die unverhältnismäßig unsere Grundrechte einschränken”, warnen die Unterzeichner. Mit der Chatkontrolle werde ein Überwachungspaket geschaffen, das sich gegen die gesamte Bevölkerung der EU richtet. Die Bundesregierung müsse sich entschieden “gegen die dystopischen Pläne” der EU stellen, appellieren die Verfasser des Schreibens.
Auch die Grundrechtsorganisation EDRi veröffentlichte am Montag ein kritisches Statement. Demnach würden “die vorgeschlagenen Maßnahmen tief in die Privatsphäre” eingreifen und alle Internetnutzer als verdächtig abstempeln, “anstatt sich auf diejenigen zu konzentrieren, gegen die es Beweise für illegales Verhalten gibt”. Reporter ohne Grenzen (RSF) Geschäftsführer Christian Mihr betonte: “Dass der Schutz vor Kindesmissbrauch eine hohe Priorität hat, ist keine Frage, doch die geplanten Maßnahmen der EU-Kommission schießen am Ziel vorbei!” Die Überwachung auch von Ende-zu-Ende-verschlüsselter Kommunikation hebele de facto das Pressegeheimnis und den Quellenschutz aus. Informanten und Whistleblower könnten sich nicht mehr sicher sein, “dass ihre Informationen geschützt sind und werden im Zweifel lieber schweigen”.
In einem Gutachten bemängelten der Europäische Datenschutzbeauftragte (EDPS) und der Europäische Datenschutzausschuss (EDPB) Ende Juli zudem, “dass der Vorschlag in seiner jetzigen Form möglicherweise mehr Risiken für Einzelpersonen und damit für die Gesellschaft im Allgemeinen birgt als für die Straftäter”. Laut den Datenschützern bestehe überdies die Gefahr, “dass der Vorschlag die Grundlage für ein allgemeines und unterschiedsloses Scannen des Inhalts praktisch aller Arten von elektronischer Kommunikation werden könnte.”
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