Für kommenden Sonntag, dem 17. Dezember 2023, sind die Chilenen zu den Urnen gerufen, um dem Vorschlag einer zweiten Reform jener Verfassung zuzustimmen, die noch unter dem Diktator Augusto Pinochet (1973 – 1990) zustande kam. Im September 2022 stimmte Chile über eine erste Textfassung ab, die ideologisch eher der aktuellen, progressiven Regierung von Gabriel Boric nahestand. Doch die Version wurde abgelehnt. Danach entstand hauptsächlich aus Vertretern der chilenischen Rechten und Extrem-Rechten ein neuer Verfassungsrat. Dessen neuer Entwurf einer “Reform” ähnelt stark der bisherigen Pinochet-Verfassung.
In diesem Sinne kann man sagen, dass die neoliberale Ideologie des früheren Diktators unabhängig vom Ergebnis der kommenden Volksabstimmung bereits gewonnen hat. Wenn der Reformtext angenommen wird, gibt es eine Verfassung, die von denselben Leuten geschrieben wurde, die die alte Verfassung beibehalten wollten. Im Falle einer Ablehnung würden sie ebenfalls gewinnen, da alles beim Alten bleibt.
In der Diktatur wurde der gesamte chilenische Sozialstaat kommerzialisiert und das Land zum Experimentierlabor des “neoliberalen” Modells gemacht. Die chilenische Gesellschaft forderte daher nun endlich einen echten Bruch mit ihrer diktatorischen Vergangenheit und mit dem ihr damals aufgezwungenen sozialen, politischen und wirtschaftlichen System. Die Verfassungsänderung war als Mechanismus für diesen Weg gedacht.
Die Vorgeschichte mit einer Volkserhebung 2019 in Chile