EU-Sanktionen: Lettische Post öffnet Briefe nach Russland und Weißrussland auf der Suche nach Chips
Wir können die tiefere Ironie dieser letzten Showeinlage in der Financial Times jedoch nicht ignorieren. Offenbar wendet sich die EU an jene US-Tech-Giganten, die sie normalerweise wegen wettbewerbswidrigem Verhalten mit Geldstrafen belegt. Mit der Botschaft: “Seht her, helft uns unsere dissidenten Journalisten in Weißrussland zu unterstützen, damit ihre Texte leichter gefunden und gelesen werden können, und wir werden … ähm … das nächste Mal Milde walten lassen, wenn ihr erneut die Kartellvorschriften im freien Markt verletzt.” So funktioniert Korruption. Und so funktioniert die EU, wenn sie mit großen Konzernen interagiert, die mehr oder weniger Eigentümer des Europäischen Parlaments sind – und zwar mit Haut und Haaren.
Die weitere Ironie besteht jedoch darin, dass sich die EU, indem sie sich als Schiedsrichterin der freien Meinungsäußerung und gleichzeitig als unerschütterliche Unterstützerin des Journalismus präsentiert, gegenüber Ländern wie Weißrussland sowohl skurril als auch wahnhaft präsentiert. Man könnte auch noch heuchlerisch hinzufügen. In Wirklichkeit hasst die EU die freie Meinungsäußerung und den ungezähmten Journalismus. Der einzige Journalismus, den die EU als genehm befürwortet, ist jene Version, die dermaßen von politischer Korruption durchzogen ist, dass sie stets den Zielen der EU dient, damit diese ihre Botschaften und sich selbst im besten Licht präsentiert bekommt. Jeder, der schon einmal in Brüssel war, wird Ihnen sagen können, dass die Beziehung der Financial Times zur Europäischen Kommission alles andere als normal ist, wie man es von einer großen Zeitschrift und einer mächtigen Institution erwarten würde. In Wirklichkeit behandelt die Europäische Kommission die Financial Times wie ihr Schoßhündchen. Brüssel bestimmt, wie Interviews durchgeführt werden, wann sie durchgeführt werden und zu welchen Themen. Die Financial Times spielt die Rolle des unbezahlten PR-Agenten der mächtigen Europäischen Kommission und erhält dafür im Gegenzug einen direkten Zugang zu den Großkopferten der EU. Mehr Korruption geht nicht.
Und doch wird von uns erwartet, dass wir dieses neueste journalistische Machwerk der Financial Times ernst nehmen, in dem die EU die Rolle einer höheren Instanz einnimmt, die sich als Vorreiter für unabhängigen freien Journalismus präsentiert. Man lese einfach den Artikel und wird feststellen, dass im Interview mit der Vizepräsidentin der Europäischen Kommission auch alle anderen wichtigen Akteure interviewt wurden, von denen man annimmt, dass sie etwas Wichtiges zu diesem Thema zu sagen haben. Außer irgendjemanden in der Regierung in Minsk, mit denen man nicht gesprochen hat. Das wäre ein Verstoß gegen die Hausordnung der EU und gegen die Grundlage der Vereinbarung, die die Europäische Kommission für das Interview vorgelegt hat. Es würde mich überhaupt nicht überraschen, wenn die Kommission den Artikel vor der Veröffentlichung auch noch redigiert hat.
Was für eine absolute Schande und Farce, dass das alternative Modell, das die EU dem weißrussischen Volk zu präsentieren versucht, bis ins Mark von Korruption durchtränkt ist. Es erinnert unweigerlich an die gute alte Zeit der Sowjetunion.
Ersterscheinung in englischer Sprache auf Strategic Culture Foundation.
Martin Jay ist ein preisgekrönter britischer Journalist mit Wohnsitz in Marokko, wo er als Korrespondent für die britische Daily Mail (UK) arbeitet. Zuvor berichtete er von dort aus für CNN und Euronews über den Arabischen Frühling.
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