Ungarn: Wir unterstützen Friedensgespräche, andere EU-Staaten warten auf ukrainische Erfolge
Noch einmal: Die Zeit vor dem 24. Februar 2022 auszublenden und aus der Einordnung des Krieges auszuklammern, führt zu einem unvollständigen Bild, das naturgemäß zu einer unvollständigen Analyse führen muss. In der Öffentlichkeit ist die Beachtung von Details gänzlich verschwunden, daher bewegt sich die Kriegsbefürwortung auch auf einem so niedrigen Niveau. “Der will gar nicht verhandeln”, “es geht um die Zerstörung der Ukraine” oder “Putin will ein russisches Reich aufbauen” und ähnliche “Argumente” taugen nicht einmal als Hilfe für jemanden, der noch nie vom Konflikt gehört hat und sich einen ersten Überblick wünscht.
Jeder, der sich für Verhandlungen einsetzt, tut sich daher keinen Gefallen, wenn er sich auf das genannte niedrige Niveau einlässt. Die Argumente sind in 30 Sekunden aufgezählt, die Debatte beendet. Es ist daher auch inzwischen so uninteressant, einer Strack-Zimmermann, einem Hofreiter oder einer Baerbock zu lauschen. Ihnen fehlt entweder das Wissen über die Zusammenhänge oder sie blenden sie gewollt aus. “Von Natur aus böser Russe tötet Menschen” zu sagen ist eben leichter, als die unzähligen Aspekte zu beleuchten, die mit diesem Krieg zusammenhängen. Und einen gewünschten Nebeneffekt gibt es auch noch: Durch die Verkürzung der Erzählung können andere Akteure aus dem Spiel genommen werden.
Unter anderem hat es Sahra Wagenknecht versucht. Sie wies wiederholt auf die völkerrechtswidrigen Angriffskriege der USA und Europas hin. Ulrike Guérot beschreibt in ihrem aktuellen Buch “Endspiel Europa” die Zusammenhänge, die zum Ukraine-Krieg geführt haben, recht genau. Beide und weitere stehen für diese Analysen im öffentlichen Fokus und in der Kritik. Sie mussten und müssen viel Dreck aushalten, mit dem sie beworfen werden, doch es gibt keine Alternative zu diesem Herangehen, selbst wenn es als “Whataboutism” abgetan oder von der Gegenseite ignoriert wird.
Bei der Ukraine ging es vom ersten Moment an nicht um den Aufbau einer demokratischen Gesellschaft. Es ging und geht nicht um Menschenrechte, sondern darum, das Land zu einem Werkzeug der NATO zu machen, um Russland erneut und weiterhin unter Druck zu setzen. Korruption und neofaschistische Einflussnahme sind allen beteiligten Verantwortlichen bekannt. Beides wird im besten Falle ignoriert, im schlimmsten forciert. Man muss eine fast übermenschliche Fähigkeit des Verdrängens an den Tag legen, will man das ernsthaft leugnen.
Wir sind dort angekommen, wo das Schweigen zu den Hintergründen des Ukraine-Krieges einen gefährlichen Punkt erreicht hat. Durch penetrante Wiederholung der Medien glauben viele Menschen inzwischen, Russland habe im Jahr 2014 den Donbass überfallen. Der persönlichkeitsgestörte ehemalige Botschafter der Ukraine sagte beim Einsteigen in ein Auto, dass es die Ukraine gewesen sei, die Deutschland von den Nazis befreit habe. Wahlweise werden auch die USA an diese Stelle gesetzt. Die Taten von Butscha werden den Russen angelastet, obwohl keine Beweise dafür vorliegen. Angeblich hat Russland Georgien angegriffen, nicht umgekehrt, obwohl der Angriff historisch belegt von Georgien ausging. Und noch immer steht der Verdacht im Raum, dass die Russen ihre eigenen Pipelines gesprengt hätten.
Wer sich zu diesen und vielen weiteren Fragen nicht äußert, sich nicht positioniert als jemand, der Fragen hat und Aufklärung fordert, unterstützt die Neuschreibung einer Geschichte, die sich doch ganz anders abgespielt hat. Das ist eines der großen Probleme dieses Krieges: Erstens werden die Gründe für seine Entstehung ausgeblendet, zweitens wird auf der Basis dieses Ausblendens eine neue Geschichte erzählt.
Wer über Verhandlungen sprechen will, darf über die Entstehung des Krieges nicht schweigen. Wer es dennoch tut, wird unfreiwillig Teil einer großangelegten Desinformationskampagne. Und am Ende bleibt die Wahrheit als rudimentäres Teilstück eines Meeres von Lügen, Behauptungen, Erfindungen und der Rechtfertigung, diesen Krieg weiterzuführen, bis endgültig kein Stein mehr auf dem anderen steht.
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Texter, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs “neulandrebellen”.
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