Wer sich hauptberuflich mit dem Völkerrecht beschäftigt, wird von juristischen Kollegen meist müde belächelt, denn in ihren Augen handelt es sich um keine “echte juristische Disziplin”. Es fehlt dem Völkerrecht genau das, was die Norm vom moralischen Gebot unterscheidet: es durchzusetzen. Geschaffen wurden Institutionen wie der Völkerbund nach dem Ersten Weltkrieg, der viel zur rechtlichen Lösung politischer Konflikte leistete, aber den nächsten Krieg nicht verhinderte, bis zur großen “UNO-Familie” und den vielen Regionalorganisationen. Im Frühjahr 2022 dominiert eine bedrückende Sprachlosigkeit das Weltgeschehen. Die Diplomatie bedarf des Völkerrechts wie auch umgekehrt dieses Recht zu seiner Durchsetzung diplomatisches Handwerk erfordert.
Als ich vor rund 20 Jahren an einer US-Universität in Wien eine Einführungsvorlesung abhielt, nannte ich den Kurs mit leiser Ironie “Whatever remains of international law” (was immer vom internationalen Recht noch übrig ist). Denn angesichts des Krieges gegen den Terrorismus, der Irak-Invasion 2003 und der damaligen massiven Verletzungen der UNO-Charta sowie der Anerkennung des Kosovo und vieler anderer Beispiele hatten die grundlegenden Normen, auf denen zwischenstaatliche Beziehungen seit 1648 beruhen, schweren Schaden genommen. Als Lehrende versuche ich, den jungen Kollegen einen realistischen Blick zu vermitteln, der sich vielleicht wie folgt resümieren lässt: Ja, das Recht ist schwach, aber es ist besser als das Faustrecht. Wir sind daher verpflichtet, im Einklang mit dem Völkerrecht zu handeln, andernfalls enden wir in der Gewalt und sind alle Verlierer.