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Von Dmitri Kosyrew
Die Vereinigten Staaten von Amerika wurden schon vor langer Zeit von klugen Leuten, von ihren eigenen Historikern, gewarnt. Düstere Vorhersagen und Parallelen zum Untergang des britischen und des römischen Imperiums, in Buchumschläge gekleidet, waren in den USA schon zu Beginn des Jahrhunderts in den Ladenregalen zu finden. Zunächst wurden sie nicht wirklich wahrgenommen, dann wurden die Diskussionen zu diesem Thema jedoch immer schärfer.
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Und nun etwas Neues: Der alte Professor Thomas Lifsom stellte nach dem Lesen eines Artikels seines ehemaligen Studenten R. Taggart Murphy mit Bedauern fest, dass Taggart nun selbst bereits ein Professor ist und etwas Kluges geschrieben hat. Nämlich, dass der Niedergang des US-amerikanischen Imperiums, der ersten Supermacht der Welt, eher nicht der Erfahrung Roms oder Großbritanniens, sondern vielmehr derjenigen Spaniens ähnelt. Und es stimmt: Rom – oder sagen wir auch China – waren keine Weltreiche, sondern regionale Reiche. Die Spanier eroberten zwar nicht die ganze Welt, aber das gesamte spätere Lateinamerika, die Philippinen und einen Teil Europas und schufen Handelsrouten, die zum ersten Mal in der Weltgeschichte den gesamten Globus umspannten. Aber dann brach diese Konstruktion zusammen.
Hier könnten wir ergänzen, dass es die USA waren, die dieses spanische Imperium zu Fall brachten, denn der letzte Sargnagel für dieses geschwächte Reich wurde von den US-Amerikanern eingeschlagen. Sie begannen Ende des 19. Jahrhunderts einen Krieg gegen Spanien und nahmen damit Madrid die Kolonien auf den Philippinen, Kuba, Puerto Rico und Guam weg. Davor wurde das spanische Kolonialreich bereits von den Briten und indirekt von den Franzosen untergraben – und es brach endgültig zusammen, als es sich von den ehemaligen Kolonien in Südamerika lossagen musste.
Der alte Professor sieht den Wert der Arbeit des jüngeren Professors darin, dass Murphy den Hauptgrund für den Untergang der Weltmacht in ihrem finanziellen Parasitismus sieht. Madrid schöpfte zwar tonnenweise Silber und Gold aus den Kolonien ab, war aber nicht daran interessiert, seine eigene Industrie zu entwickeln und verschlief somit auch die industrielle Revolution. Gleichzeitig drückte es die Preise für diese Metalle in ganz Europa und verursachte eine Inflation. Infolgedessen stellten ihre eigenen ehemaligen Landsleute wie Simón Bolívar der Metropole eine vernünftige Frage: Warum sollten wir euch bezahlen? Wer seid ihr eigentlich? Dies ist übrigens dieselbe Frage, die die zukünftigen US-Amerikaner Ende des 18. Jahrhunderts an London richteten.
Im Grunde geht es um Finanzen – und dasselbe ist mit den USA passiert, sagt der alte (wie auch der jüngere) Professor. Es hat mit seinem US-Dollar-Monopol Geld aus der ganzen Welt abgeschöpft, während sein eigenes Land die Produktion – und damit technologische Vorteile – verloren hat. Heute ist das Land noch nicht so weit abgeglitten wie das damals dauerhaft ländliche Spanien, aber der Wandel ist offensichtlich.
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An sich ist der Ansatz passend, doch es tauchen Probleme auf. Die Leser der Veröffentlichungen von Professor Thomas Lifsom erinnerten jedoch dessen Studenten sofort an etwas: Was ist mit der spanischen Inquisition – wurde die etwa vergessen? Die Inquisition, die jede abweichende Meinung unterdrückte, ist nämlich im Endeffekt das, was die sogenannten “Demokraten” in den USA heute veranstalten und dabei ihre makabre Ideologie in die ganze Welt exportieren.
Hierzu gibt es viel zu ergänzen. Denn sowohl dieses aktuelle US-amerikanische Analogon zur chinesischen “Kulturrevolution” als auch die Finanztheorie liefern kein universelles Rezept für den Untergang von Weltmächten. Schon allein deshalb, weil etwa die Briten das umgekehrte Modell eines Imperiums hatten – aus der Peripherie kamen nämlich die Rohstoffe für die mächtige englische Industrie daheim, aber …
Aber schon im letzten Jahrhundert stellte sich heraus, dass Großbritannien technologisch von den USA überholt wurde. Denn die Engländer hätten es eigentlich nicht nötig gehabt, auf den Märkten ihrer Kolonien parasitär die Produkte US-amerikanischer und anderer Konkurrenten nicht zuzulassen. Als Folge des Ersten Weltkriegs setzten die Konkurrenten in Gestalt der USA das Prinzip des Freihandels durch – der damalige US-Präsident Woodrow Wilson spielte hierbei die Rolle des ideologischen Vorreiters. Und nach den Ergebnissen des Zweiten Weltkriegs schubsten die USA die frühere Weltmacht endgültig unter die Bank und begannen, ihr eigenes US-Dollar-Parasitentum zu entwickeln. Und nun hat sich herausgestellt, dass andere Länder – allen voran China – diesen Parasiten technologisch überholt haben, so wie es die US-Amerikaner ein Jahrhundert zuvor mit den Briten getan hatten.
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Aber vergessen wir nicht den kulturellen Faktor. Imperien geben nicht bloß wirtschaftliche Mechanismen vor. Der Grundgedanke eines jeden Imperiums ist eine gemeinsame Kultur, gemeinsame Werte und ein gemeinsamer Lebensstil für oft ganz unterschiedliche Völker. Das ist etwas, was für jeden seiner Bewohner wichtig ist und durch die ganze Macht des Imperiums geschützt wird. Wenn aber eine muntere und lebensfrohe Vielfalt gemeinsamer Kultur und Werte mit den Methoden der Inquisition erdrosselt wird, setzt erst eine düstere Müdigkeit ein, worauf eine Revolte folgt. Und das Reich, das als Parasit auf den früheren kulturellen Errungenschaften schmarotzt, geht unter und muss für neue, selbstbewusstere Weltmächte Platz machen.
Übersetzt aus dem Russischen und zuerst publiziert bei RIA Nowosti am 17. September 2023.
Dmitri Kosyrew ist ein russischer Journalist, Orientalist und politischer Analyst bei RIA Nowosti.
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