Meinung Aufbruch in eine Welt ohne Dollar
Behelfslösungen
Besonders Russland und China sind dazu übergegangen, immer mehr Handelsverträge auf der Basis nationaler Währungen mit anderen Staaten abzuschließen. Dollar und Euro werden immer häufiger gemieden. Heute macht der Dollar nur noch wenig mehr als 40 Prozent des weltweiten Handels aus, Anfang der 2000er Jahre waren es noch 66 Prozent. Sein Anteil an den internationalen Devisenreserven fiel innerhalb von 20 Jahren von 71 auf 60 Prozent.
Dennoch können diese zwischenstaatlichen Abkommen auf der Grundlage nationaler Währungen nur eine Übergangslösung sein. Denn sie tragen einen erheblichen Nachteil in sich: Die Beschränkung auf die nationalen Währungsräume. Nicht umsonst ist der Dollar zur vorherrschenden Währung auf dem Planeten geworden, weil mit ihm weltweit Handel betrieben werden kann ‒ selbst in Staaten, die gar nicht zum amerikanischen Wirtschaftsraum gehören.
Im Gegensatz zum Yuan, der inzwischen Weltgeltung erlangt hat, steht vielen anderen BRICS-Währungen im bilateralen Handel nur ein begrenztes Angebot an Waren oder Dienstleistungen zur Verfügung, die gegen die nationale Währung eingetauscht werden können. Hierin liegen die Schwierigkeiten eines Handels auf der Basis nationaler Währungen. Das drückt sich aus in den Handels- und Zahlungsbilanzdefiziten vieler Staaten.
So hat die Ausweitung des Handels zwischen Russland und Indien auf der Basis von Rupie und Rubel zu einer Anhäufung indischer Rupien bei russischen Banken geführt. Anscheinend steht diesem Rupienüberhang auf den russischen Konten nicht genügend Angebot auf indischer Seite gegenüber, sodass dieser durch Käufe oder Investitionen abgebaut werden könnte. Um dieses Problem zu umgehen, hat man statt des Dollars den Dirham der Vereinigten Arabischen Emirate mit hinzugenommen.
Selbst im Handel zwischen Russland und China, der mittlerweile zu 60 Prozent in Eigenwährungen, aber bis vor wenigen Jahren noch zu 80 Prozent in Dollar abgerechnet wurde, übersteigen die Yuan-Mengen die des Rubels bei weitem. Dabei verfügt Russland mit seinen Energieträgern immerhin über ein großes Angebot im Gegensatz zum wirtschaftlichen Aufsteiger Indien, geschweige denn gegenüber vielen anderen Ländern.
Besonders zwischen China und den Energielieferanten Russland, Saudi-Arabien, Iran und anderen wurde der Handel auf Basis des Yuan erheblich ausgeweitet. “China kauft an Gas, was es kriegen kann”, schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 3. Februar dieses Jahres: Durch seine Käufe könnte China “am globalen LNG-Markt bald zum beherrschenden Akteur” aufsteigen. So kaufte unlängst der französische Total-Konzern Gas in Shanghai und bezahlte in Yuan. China kauft in Yuan bei den aufstrebenden Staaten am Golf seine Energie, die dafür mit Yuan den Aufbau ihrer Infrastruktur finanzieren – eine Win-Win-Situation nach Chinas Geschmack.
Im Falle der Golfstaaten und sonstiger Energielieferanten wie auch der Nahrungsmittellieferanten Argentinien und Brasilien sind die Grundlagen für einen Handel auf der Basis nationaler Währungen gegeben. Beide Seiten profitieren von den Angeboten der anderen. Das ist aber nur der Fall, wenn in beiden Wirtschaftsräumen ein Angebot besteht, das für beide Seiten einen wirtschaftlichen Vorteil bringt. Schwieriger wird es da mit Staaten wie Kuba, das kaum etwas exportieren kann, weil aufgrund der westlichen Sanktionen überall Mangel herrscht.
Denn bei aller Übereinstimmung im gemeinsamen politischen Interesse, von den westlichen Reservewährungen und Handelsstrukturen unabhängig zu werden, darf nicht übersehen werden, dass Handel in Gewinnabsicht betrieben wird. Warenaustausch zu betreiben, nur um Fremdwährungen zu verbrauchen, während die eingehandelten Produkte auf dem Weltmarkt günstiger zu haben gewesen wären, macht wirtschaftlich wenig Sinn und führt zur Schwächung der Wirtschaft – auf beiden Seiten.
Zudem unterliegen viele Währungen besonders aus wirtschaftlich unterentwickelten Staaten starken Kursschwankungen. Obwohl die indische Rupie über ein internationales Gewicht verfügt, war sie allein im Jahr 2022 mit einem Rückgang von mehr als zehn Prozent eine der schwächsten asiatischen Währungen. Ein solcher Wertverlust macht Investitionen und Kreditvergabe aufgrund ihrer langfristigen Auslegung zu einem schwer zu kalkulierenden Risiko.
So sinnvoll es politisch sein mag, Handel auf der Basis von nationalen Währungen abzuwickeln, um sich fürs Erste den Risiken des Dollars und Euros zu entziehen, so kann darin keine langfristige Perspektive für den Welthandel gesehen werden. Auf eine übergeordnete Reservewährung aller BRICS-Staaten und der Interessenten wird auf Dauer nicht verzichtet werden können.
Gemessen an den Dollars, die tagtäglich um den Planeten kreisen, werden die Geldmengen der Einzelstaaten dem Ausmaß der Zahlungsströme nicht gerecht, die vom Welthandel bewegt werden. Auch das Gold war trotz seiner Werthaltigkeit durch den Dollar ersetzt worden, weil seine Mengen nicht ausreichten, um Welthandel, Investitionstätigkeit und Kreditfinanzierung gewährleisten zu können.
Analyse Indiens neue Außenhandelspolitik forciert Zerschlagung der Vorherrschaft des Dollars
Neue Finanzarchitektur
Um das Problem der Geldmengen anzugehen, hatte der russische Präsident Wladimir Putin beim letzten (virtuellen) Treffen der BRICS-Staaten am 23. Juni 2022 den Vorschlag der “Schaffung einer internationalen Reservewährung auf der Grundlage des Währungskorbs unserer Länder” gemacht. Zuletzt hatte auch der brasilianische Präsident Lula da Silva bei seinem Treffen mit Xi Jinping am 13. April dieses Jahres in Peking die Forderung nach der “Schaffung einer Währung für die BRICS-Staaten” bekräftigt.
Bisher aber gibt es keine offiziellen Verlautbarungen darüber, wie diese Währung gestaltet werden soll und in welchem Verfahren und Verhältnis diese in diesen Korb eingehen. Als zusätzliche Quelle für Geldmengen wird die Deckung durch Gold und andere Rohstoffe dieser Staaten gelegentlich ins Gespräch gebracht. Insgesamt aber ist im Moment noch nicht erkennbar, wie weit dieser Prozess vorangeschritten ist.
Um sich von Dollar und Euro lösen zu können, müssen neben den Fragen der Geldmengen auch die der grenzüberschreitenden Zahlungsabwicklung gelöst werden, die bisher weitgehend durch das westliche SWIFT-System bestimmt wurde. Besonders China und Russland arbeiten in Kooperation mit anderen Staaten an neuen Verfahren der Zahlungsabwicklung – meist auf Basis der Blockchain-Technologie.
So erklärte der russische Außenminister Sergei Lawrow: “Jetzt entwickeln wir … mit all unseren Freunden, mit allen Partnern, neue Ansätze zur Schaffung von Lieferketten, neue Ansätze zur Finanzierung, zu Banktransaktionen, die in keiner Weise von den Launen der USA abhängig sein werden.” Aber auch viele andere Staaten schaffen ihre eigenen Systeme oder übernehmen bereits weit entwickelte wie das russische System MIR.
Chinas grenzüberschreitendes System (Cross-Border Inter-Bank Payments System) nutzen Berichten zufolge mittlerweile mehr als 1.300 Teilnehmer in über 100 Ländern und Regionen. Immer häufiger wird der Yuan als alternative Handelswährung gegenüber Euro und Dollar genutzt. Sein Anteil am Welthandel hat sich innerhalb eines Jahres von 2 Prozent im April 2022 auf zuletzt etwa 4,5 Prozent mehr als verdoppelt. Selbst Putin befürwortete bei seinem Treffen mit Xi Jinping aus praktischen Gründen “die Rolle des chinesischen Yuan als neue Handelswährung erster Wahl”.
Bereits im November letzten Jahres wurde eine Yuan-Clearingstelle mit Argentinien offiziell gestartet. In den letzten Monaten waren bereits ähnliche Vereinbarungen mit Pakistan, Kasachstan, Laos und anderen unterzeichnet worden. Nun haben auch China und Brasilien eine solche Absichtserklärung unterzeichnet. Diese Clearingstellen vereinfachen die Zahlungsabwicklung von Handel und Investitionen zwischen den Staaten.
Der Yuan entwickelt sich immer mehr zur Handelswährung im Rahmen der BRICS und gegenüber anderen Staaten. Unbestritten ist, dass die chinesische Digitalwährung, der e-Yuan, in seiner Erprobung weiter fortgeschritten ist als der digitale Rubel, der demnächst in Russland eingeführt werden soll, auch weiter als die digitale Rupie.
Dass der e-Yuan schon seit der Winterolympiade in China 2022 im Alltag verwendet wird, sich bewährt hat und von der chinesischen Bevölkerung gut angenommen wird, spricht für seine Verwendung als bevorzugte Handelswährung im Rahmen der BRICS. Dass der russische Präsident Putin angeregt hat, ihn aus praktischen Gründen zu bevorzugen, drückt eine Sichtweise aus, die über nationalen Eitelkeiten steht.
“Ob diese [gemeinsame Währung] nun ein digitaler Rubel, eine digitale Rupie, ein digitaler Yuan oder eine andere neue Währung sein wird, ist nicht so wichtig. Wichtig ist, dass diese Währung nach den Regeln unserer Länder funktioniert.” In dieser Äußerung des stellvertretenden Vorsitzenden der russischen Staatsduma, Alexander Babakow, offenbart sich ein politisches Bewusstsein, das sich dem gemeinsamen Interesse und Vorteil verpflichtet sieht. Angesichts der gegenseitigen Übervorteilung unter den westlichen Staaten ist es fraglich, ob Letztere diesen Entwicklungen noch etwas entgegensetzen können.
Rüdiger Rauls ist Buchautor und betreibt den Blog Politische Analyse.
Source