Altkanzler Schröder verklagt Bundestag auf Wiederherstellung seiner entzogenen Sonderrechte
Tauchen wir hier nicht in juristische Kommentierung ein, sondern konzentrieren uns auf das, was hier geschieht: Schröder gibt nicht klein bei. Er ist nicht bereit, sich in die Defensive zu begeben, und schon gar nicht, weil er die vermeintlich “falsche” Meinung vertritt. Wenn Schröder über seinen Anwalt von einem “absolutistischen Fürstenstaat” spricht, dann ist das nur auf den ersten Blick harter Tobak. Auf den zweiten spricht er eine Wahrheit aus, die sonst niemand ausspricht, und ganz besonders nicht die “Fürsten” selbst oder ihre zu Diensten stehenden Schreiberlinge.
Egal, ob Schröder, Guérot, Wagenknecht oder der Bäckermeister, der in die Talkshow mit Kanzler Schröder eingeblendet wird und der verzweifelt fordert, zu einer Lösung zu kommen, bevor hier alles vor der Wand landet – die “Fürsten” agieren an all diesen Menschen vorbei. Sie agieren auch vorbei an den Menschen auf der Welt, die durch Corona- oder Maßnahmenpolitik um ihre Existenz bangen oder längst wegen der Folgen dieser Politik aufgegeben haben. Sie agieren vorbei an all den Menschen, die ohnehin schon am unteren Limit lebten, wohlgemerkt, wegen der Politik genau derer, die jetzt pathetisch behaupten, sie stünden für das Gute, Edle und Menschliche. Und sie agieren vorbei an allen Menschen, die sich Frieden wünschen, in der Ukraine, im Jemen, Syrien und anderswo. Sie verlängern jeden einzelnen Krieg durch ihr Tun oder Nichtstun, durch Waffen, Geld, Logistik oder das Bereitstellen beispielsweise des Standortes Ramstein, von wo aus unzählige Drohnen starten und ihren tödlichen Job verrichten.
Der Souverän braucht Mut
Hier war die Rede von Guérot, Wagenknecht, Schröder, Stegner, Gabriel und einem Bäckermeister. Wer von diesen Menschen ist der Souverän?
Man könnte antworten: alle. Oder auch: niemand. Am einfachsten wäre die Antwort: der Bäckermeister. Aber das ist letztlich nicht die Frage. Sie lautet eher, wer sich als Souverän fühlen darf, und das ist mit Abstand am wenigsten der Bäckermeister. Er wird nicht gehört, selbst wenn er einen kleinen Talkshow-Auftritt bekommt. Sein Schicksal spielt in den Sprechblasen von Olaf Scholz keine Rolle. Niemand wird sich bei ihm unterhaken und ihm das Lied “You’ll never walk alone” ins Ohr singen. Das sind Phrasen eines “absolutistischen Fürstenstaats”.
Auch Guérot und Wagenknecht zählen im Grunde zum Souverän, aber ihre Meinungen sind zu nah dran an den Menschen, die – wie der Bäckermeister – im ursprünglichen Sinne der Vorstellung eines Souverän entsprechen. Beide müssen ebenfalls auf die wohlklingenden Worte des Liedes “You’ll never walk alone” verzichten.
Stegner und Gabriel gehören definitiv nicht zum Souverän, sie stehen auf der anderen Seite und dürfen – weil sie dadurch nichts ändern, auch nicht im Bewusstsein der Bevölkerung – hier und da kritische Worte verlieren. Das sieht gut aus, schafft das irrige Gefühl von Meinungsvielfalt und Pluralismus, sodass wir uns entspannt zurücklehnen und genießen können, in einer Demokratie und nicht in einem Fürstenstaat zu leben.
Gerhard Schröder ist ein Ausgestoßener, ausgeschlossen aus dem Narrativ Deutschlands, erklärt zum Putin-Freund, der er nicht sein darf.
Lernen von Gabriel, Stegner und Schröder
Meiner Meinung nach ist die Ausgangssituation der Auftritte von Guérot und Wagenknecht folgende: Sie sind von der ersten Minute an in der Defensive. Während Wagenknecht versucht, Beleidigungen und Angriffe unter der Gürtellinie zu ignorieren, merkt man Guérot oft an, dass sie getroffen wurde.
Trotzdem halten sich beide am Prinzip des Argumentierens fest. Das ist grundsätzlich sinnvoll und der Sache dienlich.
Kissinger: “Wir stehen am Rande eines selbst verschuldeten Krieges mit Russland und China”
Gabriel und Stegner sind bei ihren Auftritten weiter gegangen. Sie haben so argumentiert, wie es ihnen zustand, doch unangemessene Angriffe haben sie nicht unkommentiert gelassen. Im Gegenteil, sie gingen direkt zum Gegenangriff über und wiesen vehement darauf hin, dass hier die Grundlage des Argumentierens verlassen und die der Beleidigung, Unterstellung und unbewiesenen Behauptung betreten werde. Sie taten das mit einer ausgeprägten Selbstsicherheit und waren dabei so souverän, dass die Angriffe auf sie scheiterten.
Nun ist es natürlich so, dass Gabriel und Stegner als Autoritäten anerkannt sind, erst recht von Markus Lanz, der ziemlich unterwürfig sein kann, wenn die entsprechenden Gäste kommen. Wagenknecht und Guérot haben es da deutlich schwerer. Trotzdem glaube ich, dass ein wenig mehr offene Empörung bei polemischen und provozierenden Angriffen durchaus eine Option sein könnte, die fruchten kann. Und selbst, wenn es nur eine Erwiderung wie diese ist: “Auf Ihre völlig abgehobenen und wahrheitswidrigen Provokationen gehe ich nicht ein. Sie können damit weitermachen, doch letztlich entlarven Sie damit nur, dass sie argumentativ nichts zu bieten haben.”
Der Punkt ist, dass jede ignorierte Attacke weitere folgen lassen wird. Wagenknecht könnte davon sicher ein Lied singen, denn je stoischer sie Angriffe über sich ergehen lässt, desto sicherer kann sie sich sein, dass der nächste schon in Vorbereitung ist. Spürt der Angreifer Gegenwehr und steht plötzlich wie der “nackte Kaiser” da, dürfte das psychologisch seine Wirkung nicht verfehlen.
Und dann gibt es noch Gerhard Schröder. Er lebt nicht mehr in Deutschland, er lässt sich weder von seiner Freundschaft zu Putin abbringen, noch sieht er ein, sich in rhetorischer Art und Weise von seinen Überzeugungen zu verabschieden. Mit seiner jetzt eingereichten Klage geht er sogar einen Schritt weiter und signalisiert: “Bis hierher und nicht weiter! Wenn Ihr denkt, Ihr könnt wie die Fürsten machen, was Ihr wollt, habt Ihr euch geschnitten.”
Seine Behauptung, Deutschland sei ein “absolutistischer Fürstenstaat”, würde Guérot oder Wagenknecht vermutlich in ähnlicher Form nicht über die Lippen kommen. Doch vielleicht wäre ein wenig mehr Polemik und offensive Rhetorik gar keine so schlechte Idee. Nicht zuletzt auch, um deutlich zu machen, dass hier auf Augenhöhe gestritten wird und nicht von oben nach unten.
Denn dort befindet sich der Souverän schon seit Langem: unten. Und es wird Zeit, dass er (wieder) Oberwasser bekommt. Er ist es, der nicht gefragt wird. Und er ist es, der seine Stimme erheben muss, wenn sich etwas ändern soll.
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