Band “Leningrad” veröffentlicht Musikvideo über Russophobie in Europa
Die zuständige Prüfungskommission sei anonym, die Gründe offiziell “unbekannt”, die politischen Überzeugungen Pelewins jedoch nicht: Der Dichter und Autor ist ein offener Unterstützer des Donbass, war oft dort und wurde schließlich auch auf die ukrainische Feindliste “Mirotworez” gesetzt. Die Untersuchung des Verdachts auf politische Diskriminierung, bei der erneut GRAD mit Kusnezow Beistand leisten, läuft seit November 2022. Buchmessen werden staatlich gefördert – und zwar in diesem Fall durch das Ministerium für digitale Entwicklung, Kommunikation und Massenmedien der Russischen Föderation.
Noch im Frühling 2021 wurde Pelewin mit seinem Buch “Pokrow-17” mit dem Preis “Nationaler Bestseller” geehrt – ein jährlicher allrussischer Literaturpreis, der seit 2001 als einer der wichtigsten nicht-staatlichen Literaturpreise in Russland gilt.
Zeitmaschinen und Suchmaschinen
Der Frontman der sehr populären, 1969 gegründeten russischen Band Maschina Wremeni, Andrei Makarewitsch, hat nach dem Februar 2022 in seinen sozialen Medien Russland oft und wiederholend als “eine verlorene Nation” bezeichnet. Als Makarewitsch sah, wie sich innerhalb der russischen Bevölkerung Empörung über alle die in Protest ausgeflogenen Künstler sammelte, hatte er Folgendes zu sagen:
“Ich sehe das Gejammer über die Leute, die von hier weggegangen sind – wie Alla, Maxim, Tschulpan, Zemfira … Es ist Russland, das euch Arschlöcher verlassen hat. Denn Russland sind sie, nicht ihr.”
Makarewitsch war schon in Israel, als er dies von sich gab.
Die ehemalige CEO der russischen Suchmaschine Yandex, Jelena Bunina, verließ ihren Posten sowie Russland im März 2022 und ging auch nach Israel, mit der Begründung, “sie kann nicht weiter in einem Land leben, das Krieg mit seinen Nachbarn führt” – was auch die Meinung von Makarewitsch zusammenfassen würde.
Kurz darauf kamen die Reaktionen aus der russischen Zivilgesellschaft, die je nach Auslegung natürlich auch hätten “bloße Trolle” sein können. Hier ist ein solches Beispiel von Anfang August 2022, in dem der Absender sich als ein in Israel lebender Russe ausgibt:
“Andrei, unser Land hat heute mit der Bombardierung des Gazastreifens begonnen, eines kleineren und schwächeren Landes, und wir müssen etwas tun. Wir müssen auf die Straße gehen und unserer Regierung sagen: Nein zum Krieg! Stoppen wir diese Gesetzlosigkeit!!!”
Nachrichten wie diese sprechen für sich. Anfang August 2022 bombardierte Israel tatsächlich den Gazastreifen. Makarewitschs Konten sollen mit solchen Nachrichten regelmäßig heimgesucht worden sein.
Zum Zeitpunkt des Beginns der militärischen Sonderoperation Russlands in der Ukraine hatte der bekannte russische Sänger seine Konzertsaison 2022 schon voll ausgeplant. Sein Vorhaben war es, den gesamten Herbst in der Heimat unterwegs zu sein, praktisch jede größere Stadt mit einem Konzert zu beglücken und natürlich auch große Gewinne zu erzielen. Scheinbar hatte er nicht damit gerechnet, dass seine abschätzige Einstellung zur eigenen “russischen Nation” so schnell Resultate bringen würde: Zügig wurden nämlich nach und nach in Städten wie Tscheljabinsk, Saratow, Tjumen und sogar in der als liberal geltenden Stadt Jekaterinburg all seine Konzerte abgesagt – auf Drängen der dortigen “Konsumenten”. Darüber fing er dann auch an, sich öffentlich zu beschweren.
Weitere Positionierungen russischer Künstler
“Verpisst euch aus Russland” war nur einer von Massen an Kommentaren, den wiederum der Frontmann der Musikgruppe Splin, Alexander Wassiljew, von russischen Nutzern erhielt, nachdem er auf einem Konzertauftritt Russland und den Kreml verurteilt und seinen Zuschauern eine Mitschuld für das, was in der Ukraine geschieht, angeheftet hatte.
Die Rockband Tschaif hingegen hat für Aufsehen gesorgt, indem sie noch im April 2022 für verwundete und hospitalisierte russische Soldaten spontan Konzerte spielte.
Die sowjetisch-russische Schauspielerin Lija Achedschakowa, die in der Vergangenheit auch den Aktivismus von Alexei Nawalny und viele weitere liberale Projekte in Russland unterstützt hat, sprach sich im letzten Jahr in ihren sozialen Medien für die ukrainischen Streitkräfte, für das Kiewer Regime aus. Des Weiteren äußerte sie regelmäßig ihre anti-russischen Gedanken – auf ähnlich niederem Niveau wie ihr Kollege Makarewitsch. Als es dann an der Zeit war, ein neues Theaterstück in Nischni Nowgorod aufzuführen, störten sich viele Bürger dort daran und richteten Beschwerden an das Theater und an die Stadtverwaltung. Die generelle Botschaft war, dass sie auf eine solche Art Kulturschaffende durchaus verzichten können. Der Druck wurde so groß, dass das Theater die Vorführung mit Achedschakowa absagen musste.
Die Popsängerin Julia Tschitscherina dagegen hat seit Anbeginn die Rückkehr der Donbass-Republiken nach Russland unterstützt, war dort oft zu Besuch, leistete humanitäre Hilfe während der Angriffe des Kiewer Regimes und sang für die Bevölkerung dort. Für ihre soziopolitische Einstellung wurde ihr der Auftritt bei einem FIFA-Event während der Fußball-WM 2018 in der Stadt Rostow am Don verweigert. Eine WM, die bekanntlich in Russland stattfand.
Bei der Pop-Sängerin Monetochka, dem bereits erwähnten Makarewitsch, dem Rapper Noize MC, dem Pop-Sänger Waleri Meladse und bei vielen anderen Kulturschaffenden ist aufgrund ihrer anti-russischen, politischen Gesinnung der gesetzliche Status eines “ausländischen Agenten” bereits vorhanden. Juristisch bedeutet das, dass wenn ein Künstler diese Einstufung bekommt, er auch davon disqualifiziert wird, Finanzierungen aus dem Kulturministerium zu erhalten. Eine Einnahmequelle, die für viele sehr lange äußerst lukrativ war. In diesem Sinne kam – manche wie Prilepin würden sagen: extrem verspätet, aber dennoch – die richtige Gesetzes-Entscheidung von der Regierung und der Duma.
Ja, für Kriegsparteien, wie es de facto die EU und Russland füreinander sind, ist es seit Februar 2022 etwas müßig zu vergleichen, wer bei sich in den Massenmedien mehr Informationsfreiheit zulässt. Obwohl auf der persönlichen, individuellen Bürgerebene eindeutig Russland das Siegeszepter erhält, da regierungskritische Aussagen in russischen sozialen Medien sowie im Supermarkt an der Kasse oft auf absurd vulgäre Weise, ohne jegliche Art der Verfolgung oder Einschüchterung gemacht werden. Dem Kreml ist in seiner Kriegszensur wichtig, dass keine Denunzierung und Demoralisierung in größeren Medienanstalten oder bei Straßendemonstrationen stattfinden. Was der gemeine Bürger denkt oder publiziert, ist denen vollkommen egal, da es sich da sowieso um eine Minderheit handelt – wie regelmäßige Umfragewerte in Russland gut illustrieren.
Russland heute aus der Vogelperspektive
Als Ausländer, der indessen vier Jahre in Russland lebt und an der Zivilgesellschaft teilnimmt, fällt mir eine alt-eingesessene, etablierte, dichte Zwischenschicht in der Gesellschaft auf. Eine Art “Pseudo-Elite” beziehungsweise ein westlich-liberaler Kultur-Pufferraum – geformt noch zu Boris Jelzins Zeiten –, der als verschleiernde Instanz agiert und sich im Prozess der beschleunigten Auflösung befindet. Selbstverständlich war und ist der Krieg in der Ukraine hierfür der unmissverständliche Katalysator gewesen. Die Spreu trennt sich vom Weizen geradezu in Echtzeit, vor aller Augen.
Diesen Pufferraum gab es lange Zeit zwischen dem Präsidenten und seinem engsten, historisch-patriotisch sensibilisierten, engeren Kreis auf der einen und dem russischen Volk auf der anderen Seite. Es handelt sich bei dieser Transformation um nichts Geringeres als einen epochalen Wechsel in Russland. Ein wirklich seltener historischer Prozess innerhalb der russischen “Mutter Kultur”, der an Wichtigkeit den Jahren 1905 bis 1922 im Russischen Imperium/in der jungen Sowjetunion gleicht – und den Kampf um die Seele einer ganzen Nation umfasst.
Elem Chintsky ist ein deutsch-polnischer Journalist, der zu geopolitischen, historischen, finanziellen und kulturellen Themen schreibt. Eine Zusammenarbeit mit RT besteht seit 2017. Seit Anfang 2020 lebt und arbeitet der freischaffende Autor im russischen Sankt Petersburg. Der ursprünglich als Filmregisseur und Drehbuchautor ausgebildete Chintsky betreibt außerdem einen eigenen Kanal auf Telegram.
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