Meinung “Drang nach Osten”: Deutschland hat die Lehren seiner Kriege gegen Russland vergessen
Dann bitte ich Alexander, mir zu erklären, warum sein Vorgesetzter entgegen allen anderen Rednern an diesem Tag Russlands Militäroperation in der Ukraine regierungskonform “Angriffskrieg” nannte. Er tut das gern. Ihm zufolge definieren die Jungkommunisten der SDAJ den Ukraine-Krieg als imperialistischen Krieg, wobei Russland aus der schwächeren Position heraus agiere. Es verfolge seine realen Sicherheitsinteressen, welche die NATO missachte. Es sei sinnlos, sich an Hetze gegen Putin und Russland zu beteiligen. Protest gelte vor allem “den eigenen Kriegstreibern, dem deutschen Imperialismus”. “Friedensverhandlungen können nicht passieren, wenn Deutschland weiterhin Waffen in die Ukraine schickt”, betont Alexander. Zum Abschied sagt er winkend: “Druschba”.
Nicht nur die SDAJ versammelte die jungen Menschen am Elbe-Tag unter ihren Fahnen. Auch die erst 2018 gegründete “Kommunistische Organisation” (KO) ist dabei. Die KO-Aktivisten sehen etwas älter als ihre SDAJ-Mitstreiter aus, vermutlich stammen sie mehrheitlich aus akademischen Milieus. Das kann man zumindest aus dem Gespräch mit Alexander H. schließen, der mir die Situation an den deutschen Hochschulen schilderte. Die Atmosphäre dort sei grauenhaft, es finde revisionistische Umdeutung der Geschichte statt. Alexander ist Russischlehrer, doch er muss andere Fächer unterrichten, denn das Interesse am Russischen sei deutlich gesunken. Zu seinen Beweggründen sagt er:
“Und wir stehen heute hier, um diese Parallele zu damals [NS-Zeit] und heute zu ziehen und um wieder aufzustehen, um als Linke, als Antikriegsbewegung zu sagen, wir wollen keinen Krieg mit Russland, weil er unseren Kontinent ins Elend stürzt.”
Alexander legt sich eindeutig zugunsten Russlands fest. Ein antiimperialistischer Standpunkt gegen Russland sei ihm zufolge ein abstraktes Konstrukt. “Wir halten gegen diese vermeintlich linke Rhetorik, dass Russland imperialistischer Angreifer sei, dagegen und versuchen uns jeden Tag dafür starkzumachen, dass sich die linke Bewegung mit den Fakten, mit der konkreten Geschichte, die dazu geführt hat, dass Russland in die Ukraine gegangen ist, befassen muss.” Die Unkenntnis will er mit vielen Bildungsangeboten oder “vielen Veranstaltungen wie heute” bekämpfen.
Als einer der letzten Redner an diesem Tag definierte Klaus Hartmann vom Freidenker-Verband, was aus seiner Sicht heutzutage “rechts” ist. “Wer Bandera-Faschisten in der Ukraine die Stange hält, ist rechts, er braucht keine andere Rechte hier im Lande zu suchen.” Dementsprechend würdigte er den Kampf Russlands:
“Wir danken den Befreiern von gestern und den Befreiern von heute. Das heißt, wir danken auch der Russischen Föderation für ihren unermüdlichen Einsatz im Kampf gegen den Faschismus, während einige ihrer Alliierten auf der anderen Seite, nämlich auf der Seite der Faschisten stehen.”
Dass er dabei strafrechtliche Verfolgung riskiert hat, liegt auf der Hand. Hartmann geht es darum, die Menschen mit seinem Mut aufzumuntern. Das versteht sein Publikum gut und dankt ihm mit Applaus.
In Abwesenheit der deutschen offiziellen Vertreter fand in Torgau am Elbe-Tag auch ein Akt der deutsch-russischen Volksdiplomatie statt. Ein Vertreter der russischen Botschaft legte in Anwesenheit der Demonstrationsteilnehmer den Kranz am Denkmal der Begegnung und las vor ihnen ein Grußwort des Botschafters vor. Die deutsche Seite erwiderte mit einem Manifest, das von Christiane Reymann anlässlich des 79. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus verfasst wurde. Vorgelesen wurde der Aufruf von Anja Mewes.
Der Bericht wäre natürlich nicht vollständig, wenn wir die US-Amerikaner nicht erwähnt hätten. Viele ehemalige US-Soldaten und Beteiligte der damaligen Ereignisse an der Elbe setzten sich nach dem Krieg für die Würdigung des Treffens an der Elbe ein. Auch an diesem Tag war ein echter US-Amerikaner dabei, womöglich der einzige. Passenderweise wurde ich ihm während des in diesem Augenblick von der Bühne abgespielten US-Liedes “Down by the Riverside” vorgestellt.
“Ich bin hier für die amerikanisch-russische Freundschaft und auch, um gegen die NATO-Aggression zu demonstrieren”, sagt Robert mit hörbarem Akzent. Gekommen ist er mit dem Fahrrad aus Berlin, zusammen mit seiner Frau. Seine klare Position fasste der “Ami” in wenigen Worten zusammen: “Ich habe keine anti-amerikanischen Sentiments gespürt. Ich sehe auch die Rolle Deutschlands, Englands und der NATO sehr kritisch. Es gibt jede Menge US-Amerikaner, die die NATO infrage stellen. Sie ist irrsinnig geworden. Sie hätte nach dem Kalten Krieg abgeschafft werden müssen.”
Hinter seinem Rücken ist das Torgauer Schloss Hartenfels zu sehen ‒ ein wunderschöner Anblick. Die Robustheit und Schönheit des Schlosses stehen für Geschichte, die nicht zerstört werden kann. Das, wofür das Gedenken am Elbe-Tag da ist, kann ebenso wenig zerstört werden, und das beweist der US-Besucher mit seiner Anwesenheit besser als tausend Worte. Hoffentlich bleibt das auch künftig so.
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