Analyse “Sie haben das chinesische Getreide verbrannt!” – Kann der Westen Russland mit Chinas Hilfe beugen?
Der größere Kontext, in dem der Besuch stattfand, lässt vernünftigerweise vermuten, dass Kissinger und der chinesische Verteidigungsminister Shangfu versucht haben, einander davon zu überzeugen, dass ihre jeweiligen Staatsoberhäupter keinen heißen Krieg wünschen, wie ihn sich die Hardliner auf beiden Seiten herbeisehnen. Wie dem auch sei, gerade wegen des Einflusses, den diese Hardliner tatsächlich bis zu einem gewissen Grad ausüben, ist es unwahrscheinlich, dass eine der beiden Seiten, als “Geste des guten Willens”, einseitige Zugeständnisse machen wird.
Zyniker könnten zu dem Schluss kommen, dass das Fehlen eines greifbaren Ergebnisses bedeutet, dass die abgehaltenen Gespräche die Spannungen nicht entschärft haben und daher nutzlos waren. Aber das zu behaupten ist verfrüht, denn es bleibt abzuwarten, ob die Zusicherung beider Seiten, dass ein Krieg nicht erwünscht ist, die Dynamik der Gestaltung der Politik des jeweils anderen beeinflussen wird. Der einzige Grund, warum diese unvorhergesehenen Gespräche überhaupt stattfanden, war, dass die jeweiligen Staatsoberhäupter den Einfluss ihrer eigenen Hardliner und jener der anderen Seite eindämmen wollten.
Man muss anerkennen, dass weder Washington noch Peking die Nachricht über Kissingers Besuch in China im Voraus preisgegeben haben, was darauf hindeutet, dass beide Seiten befürchtet haben, dass dieser Besuch entgleisen könnte. Indem sie diese Nachricht bis zum Abschluss der Gespräche zwischen Kissinger und Verteidigungsminister Shangfu geheim hielten, signalisierten sich die chinesische und die US-Regierung einander, dass sie diesen informellen Dialog aufrichtig begrüßen. Man einigte sich anschließend darauf, die Öffentlichkeit im Nachhinein über Kissingers Besuch zu informieren, um die Hardliner davon abzuhalten, die Sache im Voraus verschwörerisch für ihre Zwecke zu missbrauchen.
Da der Zweck dieser Gespräche darin bestand, dem jeweils anderen zuzusichern, dass ein Krieg nicht erwünscht ist, und herauszufinden, ob das Gegenüber genauso denkt, ist damit zu rechnen, dass die Erkenntnisse dieser Gespräche nach einer gewissen Zeit in die jeweiligen politischen Bürokratien eindringen werden. Das hat es zugleich unmöglich gemacht, den Besuch Kissingers auf unbestimmte Zeit geheim zu halten, weshalb die Nachricht direkt nach Ende der Gespräche veröffentlicht wurde, was auch ein wichtiges Signal an die internationale Gemeinschaft war.
Die Führungen Chinas und der USA wollten die Welt wissen lassen, dass keiner von beiden einen bewaffneten Konflikt anstrebt, und gleichzeitig die Sorge zum Ausdruck bringen, dass der gegenwärtige Verlauf der Spannungen den Einfluss der Hardliner befeuern wird, sodass ein bewaffneter Konflikt unausweichlich werden könnte, wenn diesem Einfluss nicht entgegengewirkt wird. Aus diesem Grund wurde wohl vereinbart, dass Kissinger der Volksrepublik China einen geheimen Besuch abstattet, um informell einen Dialog zur Bewältigung des brandgefährlichen Dilemmas einzuleiten.
Es ist noch zu früh, den Erfolg der Bemühungen von Henry Kissinger auf die eine oder andere Weise einzuschätzen. Beobachter können lediglich erkennen, dass auf höchster Ebene ein gegenseitiges Interesse besteht. Nach all dem, was seit dem Vorfall mit dem sogenannten “Spionageballon” im vergangenen Februar passiert ist, ist eine weitere Entspannung wahrscheinlich nicht unmittelbar in Sicht, weshalb das Beste, was man sich wünschen kann, darin besteht, dass die Hardliner irgendwann ins Abseits gedrängt werden, um Raum für Pragmatiker zu schaffen, die realistische Szenarien der Deeskalation ausprobieren.
Aus dem Englischen
Andrew Korybko ist ein in Moskau ansässiger amerikanischer Politologe, der sich auf die US-Strategie in Afrika und Eurasien sowie auf Chinas Belt & Road-Initiative, Russlands geopolitischen Balanceakt und hybride Kriegsführung spezialisiert hat.
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