Quelle: www.globallookpress.com © Stefan F. Sömmer via www.imago-images.de Kardinal Gerhard Ludwig Müller an seinem letzten Amtstag als Leiter der Römischen Glaubenskongregation in der Mainzer Kirche St. Stephan, 1. Juli 2017
Von Elem Chintsky
Vergangenes Wochenende fand in der polnischen Hauptstadt die 23. Verleihung des goldenen “FENIKS” (zu Deutsch: “PHÖNIX”) statt – ein vom Verband der katholischen Verleger vergebener Preis.
Es gab insgesamt 19 Kategorien mit einigen Spezialauszeichnungen, aber den Hauptpreis – den “goldenen FENIKS” – durfte der emeritierte deutsche Kardinal Gerhard Ludwig Müller entgegennehmen.
Die Begründung des Komitees lautete, “die große Wertschätzung und Dankbarkeit des Katholischen Verlegerverbandes für einen großen und originellen Theologen zum Ausdruck” bringen zu wollen. Der katholische Gelehrte soll “die ernsten dogmatischen Fragen der kirchlichen Glaubensweitergabe in diesen schwierigen Zeiten gekonnt” gewürdigt haben.
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Wie setzt der Kardinal sein kostbares Wissen ein?
Der Preisverleihung folgte eine politische Podiumsdiskussion, in der Müller das Wissen, für welches er gerade eben geehrt wurde, zutage brachte: “Wir stehen heute vor dem Versuch der fünften Teilung Polens. Der Versuch wird durch einen ideologischen Kampf unternommen.”
Der Theologe sagte weiter, dass “wir aber heute an einem Scheideweg stehen und spirituelle, ideologische oder politische Fragen erklärt werden müssen”. Ihm zufolge “versteht Polen zwar, was der Katholizismus wirklich ist, aber es muss immer noch darum kämpfen, dass es in ihm überleben kann”.
Es dauerte nicht lange, den Übeltäter mitgeteilt zu bekommen.
Müller behauptete, dass “einer von Putins Beratern kürzlich sagte, man müsse den polnischen Katholizismus zerstören, um Polen zu zerstören – und dann sei der Weg nach Europa frei”. Ihm zufolge ist jedoch die “Bewahrung des katholischen Glaubens […] eine Garantie für die Einheit Polens”. Der Autor dieses Artikels konnte leider keine Urquelle über diese vermeintlichen Aussagen eines “Putin-Beraters” finden.
Der katholische Gelehrte – ob bewusst oder unterbewusst – bedient mit solchen Verschwörungstheorien und Kalter-Krieg-Stereotypen die peripheren Wirklichkeitskonstruktionen, dass Putin an einem Feldzug bis nach Lissabon interessiert sei und somit natürlich an einer Eroberung Polens – ideologisch oder anderweitig. Diese Übertreibung trifft in einem vom nationalen Opferkult geplagten Polen auf dankbare Ohren, welche diese Art “weise Aussagen” eines deutschen Katholiken stets begrüßen werden.
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Versäumnisse des weisen, deutschen Theologen
Der Geistliche verpasst es bei seinen Ausführungen, die riesige geo- und machtpolitische Rolle seiner Institution zu berücksichtigen – zumindest die Zeitspanne der letzten 100 Jahre. Es war der Vatikan, der Hitlers Deutschland und den “Drang nach Osten”, also in die Sowjetunion, unterstützte. Es war der römisch-katholische Machtapparat, der die serbisch-orthodoxe Kirche mit faschistischen Regionalbewegungen auf dem Balkan (zum Beispiel mit der Hilfe der Kroaten) im Verlaufe des Zweiten Weltkrieges unterdrückte. Nach einer Zeit der Mäßigung in der Epoche in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien erfolgte dann ihr auch von außen geplanter Zerfall und nochmal eine blutige Zeit der Regionalkriege und schlussendlich der NATO-“Friedensbombardierungen” Ende der 1990er Jahre. Während dieser verschiedenen Zeitabschnitte wurden der serbisch-orthodoxe Klerus und viele seiner Gemeindemitglieder gemordet – unter Teilnahme römisch-katholischer Kräfte und Akteure. Gleichzeitig wurde “der ewige Serbe” vom westlichen NATO-Medien-Koloss erfolgreich als der Unmensch par excellence propagiert.
Was die “ideologischen Angriffe” auf den polnischen Katholizismus betrifft, so zeigt Müller, dass er seiner am vergangenen Samstag erhaltenen Würdigung nicht würdig ist. Die Säkularisierung Polens – das Abwenden vom traditionell katholischen Glauben und eine durchaus real stattfindende Spaltung der Gesellschaft dort – vollzieht sich aufgrund vollkommen anderer Einflüsse – welche mit “Putin”, “dem Kreml”, “Moskau” und dem “ewigen Russen” nichts zu tun haben.
Die anscheinend nie endende Welle an Indizien, Opfern, Strafermittlungen und mittlerweile endlich auch der Verurteilungen aufgrund systemischen Kindesmissbrauchs in der römisch-katholischen Kirchenorganisation allein könnte als Grund für den langsam schwindenden Katholizismus in Polen herhalten. Ein polnischer Kommentar unter der Artikel-Quelle brachte es auf den Punkt: “Es ist also Putin, der den Katholizismus zerstört, indem er die Priester dazu bringt, sich zuerst an Ministranten zu versündigen.”
Dazu gesellt sich aber auch der sehr schwer zu übersehende weltanschauliche Konkurrent des konservativen Katholizismus: der ultraliberale, globalistische Progressivismus, der zwar getarnt als universalistischer Humanismus daherkommt, in Wirklichkeit aber das Credo des britischen Okkultisten und Narzissten Aleister Crowley als Kern in sich trägt: “Was du willst, das tue – das ist das ganze Gesetz.” (Englisch im Original: “Do what thou wilt shall be the whole of the Law.”) Dieser Leitsatz wird in der Praxis selbstverständlich von einem NATO-Etatismus in Schach gehalten und verwaltet.
Müller will sein polnisches Publikum also glauben lassen, es seien die Russen, die eine kluge Unterwanderung der Kirche veranstalten, eine penetrierende, umerziehende “Entkatholisierung” dort verwirklichen. Dabei sind die meisten unterwandernden, ideologischen Strömungen in ihrer Herkunft und Durchschlagskraft aus dem Westen kommend – Epizentrum des lateinisch geprägten Abendlandes.
In Russland gibt es eine gegensätzliche Tendenz, mit derzeit noch offenem Ausgang. Eine grobe Rückbesinnung auf konservative Werte, auf das Russisch-orthodoxe Christentum und seine Traditionen – derweil, ohne die eigene Vergangenheit der Sowjetunion und ihre Errungenschaften zusätzlich zu dämonisieren sowie eine ausgewogene Aufarbeitung der tatsächlichen Repressionen zu gewährleisten. Im Westen wird diese Entwicklung unermüdlich als Teil der “russischen Rückständigkeit” markiert, die sich in damit gekoppelter, vermeintlicher “russischer Barbarei” manifestiert – die Göttin Europa blind auf beiden Augen für die eigene Rückständigkeit und das eigene Barbarentum.
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Müller in der Ukraine
Selbstverständlich erwähnt Müller mit keiner Silbe die Verfolgung der Ukrainisch-orthodoxen Kirche in der Ukraine – ist sie doch eine lange im Voraus geplante Idee des Vatikans gewesen, die nun endlich angeschwollene, überreife Früchte trägt. Was viele nicht vermuten, ist, dass Rom – klar dokumentiert – seit über 500 Jahren aktiv in die Konflikte der West- und Ostslawen involviert ist und machtpolitisch eine unmissverständliche Ausdehnung in den Russisch-orthodoxen Kulturraum erreichen will. Dies sind auch die Erben des Byzanz, die östlichen Verneiner des päpstlichen Primats, die den “Bischof von Rom” nicht als alleinigen Vertreter Jesu Christi auf Erden, den Vicarius Christi, anerkennen wollten und möchten. Die Vergeltung hierfür ist eine lange, zivilisatorische Fehde, die vielen nicht bekannt ist. Dieser Autor schrieb über die dramatische Kirchengeschichte Osteuropas – und die Rolle des Vatikans darin – etwas genauer noch im Dezember 2022.
Kardinal Müller war bereits zu Beginn der militärischen Sonderoperation Russlands in der Ukraine an der polnisch-ukrainischen Grenze zu Besuch und bekundete seine Solidarität mit den vor dem Krieg flüchtenden Ukrainern. Ohne seine humanitäre Aufrichtigkeit infrage stellen zu wollen, wäre es gleichzeitig sehr schwer, Medienberichte über den Kardinal zu finden, in denen er den Donbass irgendwann ab 2014 besuchte. oder wie er die faschistischen Methoden des Kiewer Regimes ab dem Jahr 2014 und die andauernde Bombardierung im Donbass verurteilen würde.
Bei ehrlicher Prüfung der grob fahrlässigen bis tollkühnen Eskapaden der Warschauer Führung der letzten Jahre werden jegliche polnische Missgeschicke territorialer oder ideologischer Natur mittel- bis langfristig wohl auf vollkommenes Selbstverschulden zurückzuführen sein. Der gute Kardinal kam nach Polen, um einen alten Strohmann aufzustellen, der davon banal ablenken sollte.
In der “Zwielicht-Sprache” heutiger Diplomatie müssen Aussagen eines Jens Stoltenberg über die “Zugehörigkeit der Ukraine in den Werteraum der NATO” nicht lediglich als weitergegebene Befehle und Wunschbekundungen aus Washington, D.C. verstanden werden, denn obwohl wahr, ist das ist nicht genug. Sie müssen auch gleichzeitig als pragmatische Absichtserklärungen einer viel älteren machtpolitischen Agenda – aus dem Vatikan selbst – erkannt werden.
Elem Chintsky ist ein deutsch-polnischer Journalist, der zu geopolitischen, historischen, finanziellen und kulturellen Themen schreibt. Die fruchtbare Zusammenarbeit mit RT DE besteht seit 2017. Seit Anfang 2020 lebt und arbeitet der freischaffende Autor im russischen Sankt Petersburg. Der ursprünglich als Filmregisseur und Drehbuchautor ausgebildete Chintsky betreibt außerdem einen eigenen Kanal auf Telegram , auf dem man noch mehr von ihm lesen kann.
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