Quelle: Gettyimages.ru © Kay Nietfeld/dpa Olaf Scholz (SPD) und sein Kabinett (20.06.2023).
Von Irina Alksnis, RIA Nowosti
Ein Mann ‒ ein Wort. Anders kann man die jüngst veröffentlichte deutsche Außenhandelsstatistik nicht kommentieren. Die deutschen Exporte nach Russland fielen im Mai um 34,4 Prozent niedriger aus als im Vorjahr, die Importe aus Russland gingen im selben Zeitraum sogar um 92,6 Prozent zurück. Von Januar bis Mai des laufenden Jahres sind die deutschen Exporte nach Russland im Vergleich zum selben Zeitraum 2022 um 42,9 Prozent und die Importe aus Russland um 88,4 Prozent gesunken.
Der Fall hält zudem unvermindert an: Im Vergleich zum April sanken die deutschen Exporte nach Russland im Mai um 7,4 Prozent und die Importe aus Russland um 17,3 Prozent.
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Das sind in der Tat beeindruckende Früchte der Entschlossenheit Berlins, die Zusammenarbeit mit Moskau zu beenden. Sie werden jedoch von anderen Wirtschaftsnachrichten der letzten Tage überschattet: Deutschland befindet sich in einer Phase der Stagnation, die dauerhaft zu werden scheint.
Der PMI (Purchasing Managers Index, registriert die wirtschaftlichen Aktivitäten aufgrund der Einkäufe von Rohwaren und Vorprodukten durch Unternehmen und gilt als Frühwarnung für künftige Marktentwicklungen ‒ Anm.d.Red. ) verzeichnete die schnellste Schrumpfungsrate im verarbeitenden Gewerbe seit drei Jahren, wobei sowohl die Produktion als auch die Auftragseingänge zurückgingen. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages erklärte unverblümt, die Wirtschaft befinde sich in einer Rezession, wobei die BRD “eines der wenigen Länder in Europa ist, deren Produktionsniveau wieder unter dem Niveau vor dem Coronavirus liegt” ‒ und es gibt keine Anzeichen für eine Erholung. Hinzu kommt, dass im vergangenen Jahr Kapitalabflüsse aus Deutschland in Rekordhöhe von 125 Milliarden Euro (132 Milliarden Dollar) zu verzeichnen waren.
Um das Bild zu vervollständigen, muss man hinzufügen, dass das Land seine Stromimporte in der ersten Jahreshälfte stark erhöht hat und damit vom Exporteur zum Importeur geworden ist. Laut Bild-Zeitung decken ausländische Energielieferungen inzwischen 43 Prozent des Bedarfs des Landes. Experten gehen davon aus, dass es diesmal nicht an Russland liegt, sondern daran, dass Deutschland aus der Kernenergie ausgestiegen ist und seine Kernkraftwerke abgeschaltet hat.
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Die Behörden und die Mainstream-Medien lassen sich indes nicht entmutigen. Ihre Meinung ist eindeutig: Deutschland wurde infolge des Endes der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Russland ein schneller Zusammenbruch vorausgesagt, der nicht eingetreten ist. Das Land hat den Winter überstanden, um den herum sich zuvor so viel Panik aufgebaut hatte. Die Wirtschaft passt sich an die neuen Bedingungen an. Die Bundesbank hat ihre BIP-Prognose sogar verbessert. Sie geht davon aus, dass die Wirtschaft in diesem Jahr um 0,3 Prozent schrumpfen wird und nicht wie bisher erwartet um 0,5 Prozent. Für die nächsten zwei Jahre erwartet sie sogar einen leichten Anstieg, wenn auch etwas weniger als bisher geschätzt.
Der optimistische Blick auf die Zukunft Deutschlands, das sich erfolgreich aus der “erdrückenden Umarmung Moskaus” befreit hat, wird jedoch durch politische Nachrichten getrübt. Die “systemfremde und unseriöse” Partei “Alternative für Deutschland”, deren Beliebtheit rapide zunimmt und die ihren Erfolg bereits mit einem ersten Sieg bei den Kommunalwahlen untermauern konnte, hat es erneut auf die Titelseiten der deutschen Medien geschafft. Auch die Ordnungshüter zeigen sich besorgt, da sie Unruhen nach französischem Vorbild befürchten. Besonders bemerkenswert sind die Gründe für diesen Zustand: Zum einen, so ihre Einschätzung, “nimmt die Ablehnung von Demokratie, Staat und Regierung zu”, zum anderen “steht einer wachsenden Zahl von Menschen nur noch das Nötigste zur Verfügung”.
Es wäre ein Fehler zu glauben, dass Deutschland und mit ihm die gesamte EU nun vor einem katastrophalen Zusammenbruch stehen. In gewisser Weise hat Europa eine Zukunft, eine noch schlimmere allerdings, als sich die meisten Menschen heute vorstellen können.
Solch große, entwickelte und reiche Systeme verfügen über eine phänomenale Sicherheitsmarge und über Trägheit, die sie über Jahrzehnte des Niedergangs tragen kann. Erinnern Sie sich nur an das Beispiel des Euromaidan, als 2014 viele den schnellen Zusammenbruch der Ukraine, ihrer Wirtschaft und ihres sozialen Umfelds innerhalb weniger Monate aufgrund des Bruchs mit Russland vorhersagten. Schließlich handelte es sich um ein in der postsowjetischen Zeit stark degradiertes Land.
Deutschland (und Westeuropa insgesamt) ist in einem besseren Zustand, so dass wir nicht erwarten sollten, dass es von heute auf morgen außer Kontrolle gerät.
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Nur dass das, was wir erleben ‒ die Schaffung eines Energiedefizits (und wenn es nicht genug Energie gibt, kann und darf es keine wirtschaftliche Entwicklung geben), die Schrumpfung des Produktionssektors, die Kapitalflucht, die “Entrümpelung” der eigenen Bevölkerung, die Entwicklung neuer Technologien zur Unterdrückung sozialer Unzufriedenheit und so weiter ‒, wie eine bewusste und gewollte Demontage Deutschlands als bislang reichsten und am weitesten entwickelten Teils Europas aussieht. Die Gesamtheit der Vorgänge lässt keinen Raum für Zweifel ‒ das sieht nicht nur so aus, sondern ist auch tatsächlich so.
Dabei ist es nicht so wichtig, wer dahintersteckt und warum, obwohl die Interessen der USA hier offensichtlich sind. Wichtiger ist, dass Deutschland es selbst tut, sich selbst zerstört ‒ durch seine eigenen Eliten, und die Gesellschaft hat offensichtlich nicht die Kraft, die Mittel oder eine ausreichende Motivation, sich diesem raffinierten nationalen Selbstmord zu widersetzen.
Und da kann niemand von außen helfen. Es bleibt also nichts anderes übrig, als die Deutschen ‒ und mit ihnen alle Europäer ‒ ihrem Schicksal zu überlassen. Und genau das hat Russland getan.
Übersetzung aus dem Russischen. Der Artikel ist zuerst am 5. Juli 2023 auf ria.ru erschienen.
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