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Gastkommentar von Dr. Karin Kneissl
“So wie man Zahnpasta nicht in die Tube zurückbringt, wenn sie einmal draußen ist, so verhält es sich auch mit der Inflation, wenn sie begonnen hat,” mit diesem Vergleich erklärte uns ein Professor für Volkswirtschaft an der Uni Wien Anfang der 1980er Jahre das Thema der Geldentwertung. Derselbe Professor schrieb auch mit Kreide an die Tafel die denkwürdige Gleichung: Wertpapier=Papierwert.
Die Inflation als Schrecken vieler Generationen
Wie ein großer Schatten hatte die Inflation die Weltpolitik des 20. Jahrhunderts entscheidend mitgeprägt. Ich erinnere mich an Schauergeschichten in der Familie und vergilbte Geldscheine in Kartons auf dem Dachboden. Die damalige Studienzeit der 1980er Jahre war auch eine mit mäßiger Inflation und hohen Zinsen, die unter anderem Folgen des US-Vietnamkrieges und der Erdölkrisen 1973 und 1979 waren. Darlehen hatten ihren Preis und Anschaffungen über Kredite mussten wohlüberlegt sein und durchgerechnet werden. Von billigem Geld zum Nullzinssatz war keine Rede, aber von einem Gehalt konnte vierköpfige Familie gut leben, Mieten waren erschwinglich, da es infolge niedriger Zinsen noch keine Immobilienblase gab. Die Zeit des Niedrigzins sollte erst zu Beginn der Nullerjahre kommen, als die USA unter dem damaligen Notenbankchef Alan Greenspan nur mehr monetäre Politik betrieben. Alle anderen volkswirtschaftlichen Maßnahmen zur Abfederung wirtschaftlicher Zyklen schienen vergessen.
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Die EZB sollte werden wie die Bundesbank
Als ich Anfang der 1990er Jahre in Paris arbeitete und vor dem Hintergrund der deutschen Wiedervereinigung die Idee einer Gemeinschaftswährung anstelle der D-Mark zur französischen Priorität wurde, drehte sich beinahe alles um das Inflationsrisiko des französischen Franc. Die Einführung des Euro war gewissermaßen der Preis für die deutsche Wiedervereinigung, die in vielen europäischen Hauptstädten für Unruhe sorgte. Die EZB sollte eine strenge Geldpolitik führen und auf die Einhaltung der Währungsstabilität achten, die EZB würde also handeln wie die europäische Version der deutschen Bundesbank. Generationen von Bürgern, Politikern und Notenbankchefs waren von der Inflation geprägt, die Geldstabilität hatte Vorrang.
Rund ein Jahrzehnt nach den Euro-Rettungspaketen, zwei Jahre nach den Pandemie-Budgets und weiteren Gelddruckaktionen in Fortsetzung des sogenannten “Quantative Easing”, welches vor dem Hintergrund der Finanzkrise 2008/2009 zur Stabilisierung der taumelnden Weltwirtschaft begann, galoppiert nun die Inflation in der Eurozone und den USA davon.
Die Inflation hat viele Ursachen
Dann aber die aktuellen Preissprünge für deutsche Konsumenten im Lebensmittelhandel oder an der Zapfsäule wieder exklusiv Russland und dem Krieg in der Ukraine zuzuschieben, das verblüfft. Aber dies ist nicht nur Praxis auf dem journalistischen Boulevard, sondern wird auch von der EZB bedauerlicherweise so behauptet.
Nichts ist je monokausal, schon gar nicht ein komplexes Thema wie die Geldentwertung. Wir verbinden mit dem Phänomen Inflation in erster Linie Preissprünge und einen massiven Kaufkraftverlust. Für Sparer ist Inflation wie eine Zwangssteuer, die sich in Deutschland derzeit um die sieben Prozent bewegt.
Gemäß der Definition der Wiener Schule der Nationalökonomie, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts sehr einflussreich war, geht es um die Aufblähung derjenigen Geldmenge, die im Umlauf ist. Es gibt verschiedene Gattungen von Geldmengen, die von den jeweiligen Notenbanken verwaltet werden. Inflatare heißt im Lateinischen aufblähen.
Genau diese Entwicklung bahnt sich bereits seit Jahren an. Denn es wurde mit massiven Ankäufen von Anleihen sowohl in den USA als auch in der Eurozone immer mehr Geld in Umlauf gebracht, um so möglichst das Vertrauen in das Finanzwesen zu gewährleisten. Skeptiker, zu denen auch ich mich zähle, konnten dieser Logik nur wenig abgewinnen. Denn es lag auf der Hand, dass infolge dieser Geldentwertung durch Niedrig- bis Nullzinsen Investitionen in andere Bereiche abwandern würden. Der Markt wurde verzerrt, denn Zins ist der Preis des Geldes. So entstanden “Bubbles”, also Blasen. Eine solche war zweifellos im Herbst 2008 die Rohstoffblase, also vor allem die Spekulation im Rohölgeschäft mittels der Termingeschäfte. Der Erdölpreis implodierte nach einer Spirale zwischen April und August 2008 geradezu nach den Bankpleiten in jenem turbulenten Herbst. Die Immobilienblase in den USA stand wohl am Anfang dieser Kaskade von Pleiten.
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Der Niedrigzins verursachte aber auch in vielen europäischen Städten einen Boom von sogenannten Vorsorgewohnungen. Wer Geld hatte, legte dies im “Stein” an, um es nicht zu verlieren, denn auch die Sorge um Geldverlust war eben vorhanden. Dies hatte den Effekt, dass sich heute immer weniger Menschen Wohnraum leisten können.
Der Leitzins und der Zeitpunkt
Den richtigen Zeitpunkt für Maßnahmen zu finden, ist gerade bei Zinsschritten, ob beim Anheben oder Senken, entscheidend. Dass es früher oder später zu Zinsanhebungen kommen müsste, war absehbar. Doch einer gab die heiße Kartoffel an den nächsten weiter. Während der Pandemie, großer geopolitischer Krisen und einer massiven Energiekrise, die großteils hausgemacht ist, nun den Zins anzuheben, wie dies die Federal Reserve in Washington letzte Woche unternommen hatte, ist ein schwieriges Unterfangen. Es handelt sich mit den 0,5 Prozent um die größte Zinsanhebung in zwei Jahrzehnten. Bis 2023 will die Fed den Zins sogar auf über drei Prozent anheben.
Wie solche Zinsanhebungen auf Kredite für hochverschuldete Haushalte oder auch Staaten wirken, kann man sich ohne viel Fantasie ausmalen: Konkurswellen bis hin zu Staatspleiten könnten folgen. Bei Rekordinflation denken manche historisch an die Weimarer Republik oder an Argentinien in den letzten Jahren oder auch an den kriegsgeplagten Libanon.
Für so manchen hochverschuldeten EU-Staat reicht aber bereits die Anhebung um einen Prozentpunkt – und der Schuldendienst ist dann nicht mehr möglich.
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Es ist gefährlich, inmitten einer sich abzeichnenden Rezession nun mit dieser Inflation zu kämpfen, die ja meist das Zeichen einer überhitzten, nicht aber einer lahmenden Wirtschaft ist. Wenn sich Stagnation mit Inflation verbindet, dann spricht man von Stagflation, dem bedrückendsten Szenario schlechthin.
Die Lehre von der Inflation ist daher von brisanter Aktualität. Viele Menschen haben auch oft einen deutlich besseren inneren Kompass, diese Tendenzen zu begreifen, als manche Wirtschaftswissenschaftler. Es zeugt jedenfalls von einer fahrlässigen Handhabung des Themas, wenn in der EZB viele Eingeweihte immer noch von einer “temporären Inflation” sprechen. Diese massive Inflation mit ihren über Jahre aufgeblähten Geldmengen ist gekommen, um vorerst zu bleiben. Inflation kann dann auch exportiert werden, so zum Beispiel in die Staaten der Rohstofflieferanten, dies war die Lektion der 1970er Jahre für viele Erdölproduzenten. Es ergibt daher durchaus Sinn, so manche Rohstoff-Exploration vorerst nicht weiter zu verfolgen, da das Risiko wieder besteht, erhoffte Einnahmen etwa aus dem Erdöl sogleich an die Inflation zu verlieren.
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