Analyse Nach Fall von Awdejewka: Ukrainer befürchten Durchmarsch Russlands bis zum Dnjepr
Damit nicht genug, musste dann auch noch die Meldung vom Fall der Stadt Awdejewka verdaut werden, die monatelang heiß und blutig umkämpft war. War der Tod Nawalnys menschlich bedauerlich, so war der Fall Awdejewkas politisch und militärisch ein schwerer Tiefschlag, der nun auch die letzten Selbsttäuschungsversuche über einen Sieg der Ukraine im Krieg gegen Russland als Traumtänzerei entlarvte. Nach dem Scheitern der ukrainischen Offensive im Sommer des vergangenen Jahres kann der Fall Awdejewkas als das Stalingrad des Ukrainekriegs angesehen werden.
Solche Neuigkeiten passten so gar nicht in die ohnehin schon schwer angeschlagene Befindlichkeit der versammelten westlichen Führungsriege, hatte man doch sicherlich gehofft, hier wieder etwas Erbauung für die geschundene Seele zu finden. Aber ein Kommentar konnte nur niedergeschlagen feststellen:
“Der Westen schwankt zwischen Entschlossenheit in der Theorie und Ohnmacht angesichts der Realität.”
Schaumblasen
Wenn man sich auch selbstbewusst gegenüber seinen Widersachern gab, so konnte die innere Verunsicherung der Münchener Blase nur schwer verdeckt werden.
“Die Konferenz steht in dieser Zeit unter dem Motto ‘Lose-Lose’, was in seiner alternativlosen Ausweglosigkeit nur durch ein hinzugefügtes Fragezeichen gemildert wurde. Ist also doch nicht alles verloren?” (FAZ, 17.02.2024)
Diesen künstlich eingefügten Hoffnungsschimmer in Form eines Fragezeichens haben die Ereignisse im Osten Europas wieder einmal zunichtegemacht. Zudem: Was ist das für eine Hoffnung, die sich an einem Fragezeichen aufhängt? Wieder einmal hat Russland den westlichen Jubelgästen die Feierlaune verhagelt und ihnen die eigene Selbsttäuschung deutlich gemacht.
Es fällt dem politischen Westen immer schwerer, die Augen vor der Wirklichkeit zu verschließen. Aber man kann ihm nicht unterstellen, dass er sich nicht alle Mühe gäbe, weiterhin die Wirklichkeit nach allen Regeln der Kunst auszublenden. So bleiben vernünftige Schlussfolgerungen aus den neuesten Ereignissen weiterhin aus. Waffenstillstand in der Ukraine, Einstellung der Waffenlieferungen sowie der Verschwendung von Steuergeldern und Verständigung mit Russland sind keine Option.
Stattdessen schwadronierte die amerikanische Außenministerin Kamala Harris (ja, es gibt sie noch):
“Wir werden demokratische Werte zu Hause und im Ausland verteidigen, wir werden dem Aufstieg von Diktaturen entgegentreten. Das macht, da bin ich sicher, auch Amerika stark.” (FAZ, 17.02.2024)
Ob die Völker im Ausland das wollen, scheint für sie keine Bedeutung zu haben. Was würde denn Frau Harris sagen, wenn Russland, China, der Iran oder Nordkorea das eigene Gesellschaftssystem nach Amerika exportieren wollten?
Auch mit der Stärke der USA ist es nicht weit her. Wenn Investoren und Sparer keine amerikanischen Staatsanleihen mehr kaufen, ist zappenduster. Schon jetzt müssen die USA jedes Jahr fast eine Billion (europäisch) Dollar Zinsen zahlen, etwa ein Drittel der gesamten Staatseinnahmen. Statt angesichts der finanziellen Lage der USA kleinere Brötchen zu backen, lebt sie immer noch geopolitisch auf großem Fuße:
“Sollte der Kongress Hilfen für die Ukraine blockieren, wäre das ein ‘Geschenk für Putin’.” (FAZ, 17.02.2024)
Harris sollte sich lieber Gedanken machen über Geschenke an das eigene Volk.
Wenn er auch nicht anwesend war, so war doch Wladimir Putin die Hauptperson des Treffens. Ob es hilft, dass nur über ihn gesprochen wird statt mit ihm? Stattdessen versuchte eine weitere kriegerisch auftretende Frau, mit Appellen Auswege anzubieten: die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen. Für sie sollen nicht Worte, sondern Taten die Wende bringen.
“Sie pocht auf mehr und schnellere Militärhilfen.”
Wegen Konflikte in Ukraine und Gazastreifen – Borrell gibt Ende der westlichen Dominanz zu
Nun war das nicht gerade neu, vielmehr Inhalt jeder Rede, die seit dem Krieg in der Ukraine gehalten wurde und die Wende bringen sollte. Aber war das der “Silberschweif”, den Veranstalter Christoph Heusgen den Teilnehmern der Konferenz zu Beginn zu suchen aufgetragen hatte? Am Schluss der Veranstaltung wurde er dann doch noch fündig und Heusgen konnte ihn den Teilnehmern mit auf den Nachhauseweg geben. Der Silberschweif war die “Entschlossenheit des Westens”. Doch so richtigen Glanz konnte auch er nicht verbreiten, musste ein Kommentator der Veranstaltung doch feststellen:
“Diese Beschwörungen verlieren ihre Schlagkraft, wenn Russland trotzdem keinerlei Anstalten macht, bei seinem Krieg nachzulassen.”
Wenn sie es auch nicht wahrhaben oder sich eingestehen wollen, aber so ist doch offensichtlich, dass alles von Russland abhängt. Der politische Westen selbst hat anscheinend keine Kraft mehr, eigene zukunftsweisende Lösungen zu finden, geschweige denn sie umzusetzen.
Rüdiger Rauls ist Reprofotograf und Buchautor. Er betreibt den Blog Politische Analyse.
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