Fast wie Drehbücher einer TV-Serie gleichen einander die Ereignisse: Im Herbst 2005 starben zwei arabischstämmige Jugendliche auf der Flucht vor der Polizei an einem Stromschlag; diesmal erschoss ein Polizist einen jungen Franko-Algerier, als er mit einem gestohlenen PKW flüchten wollte. Die Szene wird auf einem Video gefilmt und gelangt in die sozialen Netzwerke, ähnlich wie vor drei Jahren im Falle Floyd in den USA, was zu den “Black lives matter”-Demonstrationen weltweit führte.
In den darauffolgenden Stunden randalieren Zehntausende meist junge Männer, darunter sehr viele Minderjährige, in den Vororten, den “Banlieues”, der französischen Großstädte von Nantes im Norden bis Marseille im Süden. Mehr Autos als an den sonstigen Wochenenden werden abgefackelt, öffentliche Gebäude wie Schulen attackiert, Geschäfte geplündert. Hunderte Menschen werden verhaftet. In einigen Orten sollen die Täter, zum Großteil Nachkommen von Migranten in dritter und vierter Generation, sogar schwere Waffen verwenden und damit die Bevölkerung in den Sozialbauten drangsalieren.
Tiktok ist schuld
Die Regierung reagiert mit dem Einsatz von Panzern, große öffentliche Veranstaltungen, wie Konzerte, werden abgesagt. Zudem verkündete Präsident Emmanuel Macron, der ironischerweise den gescheiterten EU-Gipfel zur Migration vorzeitig verließ, dass die sozialen Netzwerke, vor allem Tiktok für die Eskalation der Gewalt kausal seien. Macron verlangt daher in direkten Gesprächen mit den Medienplattformen die Löschung “sensibler Inhalte” und mehr Kontrolle. Bereits am Freitag wurden Twitter-Konten in Frankreich gesperrt, die Bilder von den Ausschreitungen zeigten, auch wenn die betroffenen Inhaber dieser Konten nicht in Frankreich leben und an sich keinen medienrechtlichen Straftatbestand erfüllten. Der Staatschef nimmt auch die Eltern der Minderjährigen in die Pflicht. Zur Erinnerung: Sein Vorgänger Nicolas Sarkozy hatte anlässlich der wachsenden Gewalt von Schulschwänzern die Sozialleistungen für die betroffenen Familien gekürzt. Das ist auch schon 15 Jahre her.
Doch lässt sich mit diesen Maßnahmen, wie kampfbereiten Panzern auf den wesentlichen Verkehrsachsen und einer Zensur der sozialen Medien sowie Druck auf die Eltern der Minderjährigen, die Gewalt jetzt sofort und dauerhaft unter Kontrolle bringen? Das ist zu bezweifeln. Auch wenn Frankreich mit solchen Aufständen regelmäßig in die internationalen Schlagzeilen kommt, so ist die Schuld auch nicht allein bei den Behörden zu suchen. Es handelt sich um ein tiefes Dilemma, das die französische Gesellschaft in Mark und Bein erschüttert. Dabei werden Migration und Integration in Frankreich besser verwaltet, als dies in Deutschland oder Österreich der Fall ist.