Seit fast zwei Jahren rätseln europäische Experten und Ermittler, wer aus westlichen Bibliotheken Erstausgaben russischer Klassiker im Wert von Hunderten von Euro stiehlt. Und vor allem: Warum und in wessen Auftrag? Und wenn Antworten auf die erste Frage irgendwie gefunden wurden – einige Mitglieder der Bande von Bücherdieben wurden festgenommen – sind das Motiv und die Auftraggeber immer noch nicht geklärt.
So beschreibt die US-Zeitung The New York Times einen der ersten Diebstähle:
“Im April des Jahres 2022, kurz nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine, kamen zwei Männer in die Bibliothek der Universität von Tartu (Tartu ist die zweitgrößte Stadt Estlands). Sie erzählten den Bibliothekaren, dass sie vor den Feindseligkeiten in der Ukraine geflohen seien, und baten um Bücher von Alexander Puschkin und Nikolai Gogol in Ausgaben aus dem frühen neunzehnten Jahrhundert. Sie sprachen Russisch, stellten sich als Onkel und Neffe vor und erklärten, dass sie über die Zensur im zaristischen Russland recherchierten, während der Neffe in den Vereinigten Staaten studieren wolle. Die Bibliothekare erklärten sich bereit, ihnen zu helfen und kamen ihrer Bitte nach. Die Besucher verbrachten 10 Tage damit, die Bücher zu studieren. Vier Monate später entdeckten die Mitarbeiter bei einer routinemäßigen jährlichen Inventur, dass acht der Bücher, mit denen die Ukrainer gearbeitet hatten, verschwunden waren. Die Originale waren durch Kopien ersetzt worden, die von so guter Qualität waren, dass nur ein Experte sie identifizieren konnte.”