© Nationales Ermittlungsbüro (Ukraine)
Ein dramatisches Video macht derzeit im ukrainisch-russischen Internet die Runde. Die Szene spielt sich zunächst im Innenraum eines Autos ab, die zweite Hälfte im Freien vor dem Wagen. Zunächst ist es nur ein Streit zwischen einer Polizeibeamtin, ihrem männlichen Kollegen und einem Paar, das sich weigert, den Anweisungen beider Ordnungshüter zu folgen. Die Auseinandersetzung wird aber schnell zum Kräftemessen. Am Ende verdichten sich die Ereignisse. Zu hören ist ein kurzer, lauter Frauenschrei, drei Schüsse und besorgte Frage des Filmenden: “Papa?!” Das Letzte, was die Zuschauer sehen, ist der leblose Körper eines Mannes auf dem Asphalt.
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Ukrainische Medien schreiben ausführlich über das Ereignis, der ein wenig an zahlreiche ähnliche Vorfälle in den USA erinnert. Doch die Ähnlichkeit beschränkt sich eher auf die Kleidung der ukrainischen Beamten, die mit ihrer schwarzen Uniform bewusst die “Cops” aus Übersee imitieren. In den USA ist ein Polizist eine Respektsperson, seinen Anweisungen wird in der Regel Folge geleistet. In der Ukraine ist es aber üblich, mit der Polizei einen Streit auszufechten. Dem Besitzer des schwarzen Jaguar-Limousine in Dnjepropetrowsk wurde diese Gewohnheit zum Verhängnis.
Laut Angaben der Verkehrspolizei des zentralukrainischen Dnjepropetrowsk (in der Ukraine seit 2016 Dnjepr) ist der Wagen von der rechten Spur nach links abgebogen und hat damit Verkehrsregeln verletzt. Der Polizeiwagen befand sich zufällig daneben. Auf einem Überwachungsvideo ist zu sehen, dass das Polizeiauto sich in diesem Moment hinten links einreihte, in dieselbe Richtung abbog, die Sirene anschaltete und die Verfolgung aufnahm. Dem Video zufolge saß in diesem Moment der Mann am Steuer des Jaguar.
Der Wagen wird erst eine Stunde später an einer benachbarten Straße angehalten. Dabei finden die Polizisten die Lebenspartnerin des Mannes am Steuer des Wagens vor, er sitzt daneben. Auf den hinteren Sitzen saßen die beiden Söhne des Mannes. War der Wagen die ganze Zeit auf der Flucht? Diese Frage muss in der Ermittlung noch geklärt werden.
Wie die Szene sich zunächst entwickelte, geht aus weiteren Polizeivideos hervor. Diese wurden von den Brust-Kameras beider Streifenbeamten aufgezeichnet. Zu Beginn erklären sie der Frau, dass das Auto wegen eines Verkehrsdelikts angehalten wurde, und bitten sie, die Dokumente vorzuzeigen. Die Frau fragt nach Videobeweisen für das Delikt. Der Mann steigt aus dem Wagen aus und mischt sich in das Gespräch ein. Er ist aggressiv und attackiert die Polizistin mit obszönen Sprüchen. Er sei freiwilliger Helfer, sagt er.
Die Streifenpolizistin antwortet, dass sie nicht mit ihm, sondern mit der Frau rede, die zum Zeitpunkt der Kontrolle am Steuer saß. Der Mann antwortet: “Was willst du von mir? Sex? Ich werde dir keinen geben, ich habe eine Frau, f… dich, und zwei Kinder, f… dich.”
Die Streifenpolizisten betrachten sein Verhalten als Behinderung und fordern den Mann auf, “20 Meter wegzugehen”. Daraufhin sagt er: “Ich rufe jetzt einen Anwalt an, ihr werdet gef….”. Dann spricht er mit jemandem und bekommt offensichtlich den Rat, den Polizisten nicht zu gehorchen und den Ort zu verlassen.
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Als die Frau losfahren will, wendet die Polizistin zum ersten Mal Gewalt an. Sie zerrt die Fahrerin aus dem Wagen. An dieser Stelle beginnt das Video des Jungen. Die Fahrerin stellt sicher, dass er die Szene filmt, und beginnt, laut zu schreien. Sie sei schwanger, und man tue ihr weh. Schließlich überwältigen die Polizisten die Frau.
In diesem Moment steigt der Mann aus dem Auto und versucht, seine Lebenspartnerin zu befreien. Der Polizist setzt Pfefferspray ein. Für einen kurzen Moment scheint es, dass es den Polizisten gelingt, den Mann festzunehmen. Der Junge, der filmt, steigt aus dem Wagen aus und treibt den Vater wie bei einem Wettkampf an. Mit einem Ringergriff wirft er den Polizisten zu Boden, eilt zu der Polizistin, die in diesem Moment von seiner Frau überwältigt wird, und schlägt sie ins Gesicht. Der Polizist steht auf, streckt die Pistole aus, rennt dem Mann hinterher und schießt aus nächster Nähe dreimal auf ihn.
Zwischen dem kurzen Schrei der Polizistin und dem Schuss vergehen nur Bruchteile von Sekunden. Weitere Augenzeugenvideos zeigen, wie Rettungskräfte versuchen, den Mann wiederzubeleben – erfolglos. Laut der Ex-Ehefrau des Opfers befand er sich mit ihren gemeinsamen Kindern und seiner neuen Lebensgefährtin auf dem Weg zum Meer, wo sie einen Kurzurlaub planten.
Auch für einen Laien ist offensichtlich: Der Vorfall war eine tragische Verkettung von Provokationen, Kurzschlüssen und Fehlverhalten. In den ukrainischen Medien wurde zunächst darauf hingewiesen, dass der Polizist nach geltendem Recht vor Anwendung der Waffe dem Mann hätte deutlich machen müssen, dass er bereit sei, zu schießen. Auch hätte er nicht in den Bauch schießen dürfen, sondern auf die Beine. Am Donnerstagnachmittag hieß es noch, dem Polizisten drohten bis zu 15 Jahre Haft wegen übermäßiger Gewaltanwendung.
Dann tauchten Informationen über den hohen Alkoholpegel im Blut und Urin des Mannes auf. Nach Angaben einer Polizeiquelle betrug das Alkoholgehalt im Blut des Verstorbenen 2,48 ppm und in seinem Urin 2,78 ppm. Dies zeigt, dass der Mann etwa eine Flasche Wodka getrunken hatte. Er war Unternehmer, betrieb Handel und ein Bestattungsunternehmen. In zwei Tagen wäre er 39 Jahre alt geworden. Nun wird seine Lebensgefährtin des versuchten Mordes an einem Vollzugsbeamten verdächtigt. Der Frau drohen bis zu 15 Jahre Gefängnis oder lebenslange Haft.
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Wie die ukrainische Justiz am Ende entscheiden wird, ist noch offen. Auch die öffentliche Meinung ist gespalten. Doch die Reaktionen ukrainischer Amtsträger und Regierungsvertreter deuten darauf hin, dass die Justiz im Vorfall die Chance sieht, ein Exempel zu statuieren. Der Bürgermeister von Dnjepropetrowsk Boris Filatow sagte etwa, dann niemand jemals das Recht habe, eine Person in Uniform, die ihren offiziellen Pflichten nachkommt, zu verachten, zu begrapschen oder an den Händen zu ziehen.
Ähnlich äußerte sich der ukrainische Innenminister Igor Klimenko. In seinem Telegram-Kanal schrieb er, dass “es Situationen gibt, die nur mit kühlem Kopf analysiert werden können” und “die Emotionen zur Ruhe kommen müssen”. Die Dinge seien offensichtlich: Wenn die Bürger in einem Rechtsstaat leben wollen, müssten sie sich selbst an das Gesetz halten, “sich gemäß den geltenden Normen verhalten und eindeutig – keine Polizisten schlagen”. Außerdem, so der Minister, sollten sie ihren Kindern die Gesetzestreue beibringen. Er betonte:
“Diese Situation ist ein ernster Präzedenzfall. Wir leben in Kriegszeiten. (…) Wenn einzelne Bürger in Anarchie leben, sich selbst als über dem Gesetz stehend betrachten und die Polizei nicht in der Lage ist, ihre Aufgaben zu erfüllen, sieht die ukrainische Gesellschaft sehr dunklen Zeiten entgegen.”
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