Meinung Wieder alles “freiwillig” – Lauterbachs Kampagne für die digitale Patientenakte
Sanktionen für Arztpraxen, die sich nicht umfassend an der Digitalisierung beteiligen
Außerdem hapere es mit der Digitalisierung und der “überbordenden” Bürokratie, erklärte Gassen im Interview. Die Digitalisierung sei zwar grundsätzlich “eine tolle Unterstützung”, aber da sie nicht funktioniere, werde sie weder von den Praxen noch von den Patienten positiv aufgenommen. Dazu gehe man auch noch mit Sanktionen gegen die Praxen vor, “die auf die digitalen Angebote nicht genügend zurückgreifen”.
Diese Sanktionspolitik würde den Praxenkollaps zusätzlich beschleunigen. Denn aktuell seien 30 Prozent der niedergelassenen Hausärzte älter als 60 Jahre. Viele von ihnen hätten die Nase voll und würden früher als geplant in naher Zukunft in den Ruhestand gehen. Darüber würde die Versorgungsstruktur endgültig zusammenbrechen:
“Dann wird uns sehr, sehr schnell eine Versorgungsstruktur in der Fläche wegbrechen, die wir nie wieder aufbauen können. Eine geschlossene Praxis ist wie ein ausgefallener Zahn – da wächst nichts mehr nach”, so Gassen.
Zurzeit gebe es schon 6.000 unbesetzte Arztniederlassungen. Es werde in Zukunft immer schwieriger, einen Arzttermin zu bekommen. Nach Ansicht des Krankenkassenvorstands würden sich das die Menschen von der Politik nicht mehr lange bieten lassen, “dass unsere gute Versorgung sehenden Auges vor die Wand gefahren wird. Dies zeigen die aktuellen Wahlergebnisse ja überdeutlich”.
Andreas Gassen: Es gibt genug Geld im Gesundheitssystem, aber es wird verschleudert
Auf die Frage, ob sich das Problem durch eine weitere Beitragserhöhung lösen lasse, antwortete Gassen, dass es in unserem Gesundheitssystem genügend Geld gebe. Man müsse nur die Effizienz verbessern und dürfe die Mittel nicht durch “eine fehlgeleitete Gesundheitspolitik” verschleudern: “Da müsste man sich dann zum Beispiel fragen, ob es wirklich schlau war, zum Ende der Corona-Pandemie noch einmal drei Impfstoffe für jeden Bundesbürger zu bestellen – Impfstoff, den verständlicherweise keiner mehr haben möchte und den wir jetzt diskret irgendwo entsorgen.”
Inanspruchnahme des Gesundheitssystems muss gesenkt werden – Kranke sollen “Großmutters Hausmittel” nutzen
Zu den Hintergründen zu den im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um bis zu 70 Prozent erhöhten Krankschreibungen der Bundesbürger zu Beginn des Jahres 2023 reagierte Gassen ausweichend: Das sei komplex. Wir hätten einen Verlust der Gesundheitskompetenz und keine wie auch immer geartete Steuerung. Zudem sei der Zugang zum Gesundheitssystem in Deutschland niedrigschwellig. Jedenfalls müsse man die Nutzung des Gesundheitssystems senken:
“Die Frage stellt sich also, wie ich das Inanspruchnahme-Verhalten der Menschen in den Griff bekommen kann.”
Inwiefern der paternalistische Gesundheitsbegriff während der Pandemie zum Nutzungsverhalten des Gesundheitssystems beigetragen habe, antwortete der Krankenkassenvorstand, dass die Pandemie für das Gesundheitssystem nicht förderlich gewesen sei: “Ich glaube, die Pandemie hat uns an vielen Stellen tatsächlich nicht genützt – nicht nur, was die Gesundheit betrifft, sondern auch bei Fragen des demokratischen Miteinanders. … Das Wissen um Hausmittel und um die Gesundheitskompetenz der eigenen Großmutter ist in Vergessenheit geraten.”
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