Meinung

Tom Wellbrock: Juden hassen – leicht gemacht

Tom Wellbrock: Juden hassen – leicht gemacht

Quelle: www.globallookpress.com © Keystone Press Agency

Von Tom J. Wellbrock

Ich habe bewusst in den letzten Jahren Artikel zu Israel weitgehend vermieden. Mir war klar, auf welch dünnes Eis ich mich begebe, wenn ich es wage, die israelische Politik zu kritisieren. Auf meinen Artikel zur deutschen Berichterstattung nach den Angriffen der Hamas auf Israel bekam ich denn auch prompt einen Leserbrief. Die Schreiberin fand klare Worte für mich:

Sobald ich aber ihre Judenhasser-Pamphlete lese, kommt mir die Galle hoch.

Sie sind so widerwärtig wie abstoßend und verbreiten einfach Hetze. Und das bei XX. Und bei XXX. Damit haben sie mir beide Medien verdorben – sie sind ja leider nicht die einzigen Judenhasser, die ihre widerwärtigen Ergüsse bei den genannten Medien verbreiten dürfen.

Nun, ich habe mein Abo beendet und mich beschwert – leider sind diese völkischen Ansichten ja sehr weit in Deutschland verbreitet. Und zu meinem Entsetzen offenbar auch in Russland.

Damit haben sie massiv dazu beigetragen, dass ich mich nicht nur von den genannten Medien, sondern auch von einer Szene weit fern halte, die irgendwie etwas mit ihnen zu tun haben könnte.”

Ich möchte mich dazu äußern, auch wenn das wahrscheinlich meine nächste Schlangengrube wird. Im Laufe der Jahre habe ich mich daran gewöhnt, nicht etwa links zu sein, wie ich es seit Jugendtagen von mir dachte, sondern ein “Rechter”, ein “Querfrontler”, natürlich “Querdenker”, ein “Verschwörungstheoretiker”, ein “Rechtspopulist”, ein “Corona-Leugner” und “Impfgegner”, ein “Klimaleugner”, ein “Wissenschaftsfeind” und noch allerlei mehr. Auch meine Frau, die dachte, einen linken Typen geheiratet zu haben, musste sich in den letzten Jahren immer wieder umstellen, dachte sie doch, ihr Gatte sei progressiv, um soziale Gerechtigkeit bemüht, setze sich für Minderheiten und Schwache ein. Wir dachten das beide, doch wir mussten lernen, dass wir komplett danebenlagen.

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Und so passt es ins Bild, dass ich nun auch noch ein “Judenhasser” sein soll oder vielmehr bin. Denn das entscheide offenbar nicht mehr ich allein, sondern anonyme Sittenwächter, die mich beobachten und entsprechend meiner Texte einordnen. Mir ist das neu, weil ich eigentlich überhaupt nicht zum Hass neige, schon gar nicht gegenüber Menschengruppen oder gar ganzen Völkern. Und im Grunde bin ich der Meinung, dass es sinnvoll ist, die Völker dieser Erde nicht automatisch mit ihren Regierungen gleichzusetzen.

Im Gegenteil, beides muss streng voneinander getrennt werden. Was in aller Welt müsste ich für ein katastrophales Bild aller Deutschen haben, würde ich sie als synonym mit der Bundesregierung betrachten. Die Kassiererin im Supermarkt auf eine Stufe mit “meiner” Außenministerin stellen? Ich würde schwere Schuld auf mich laden, würde ich mir diese Unverschämtheit erlauben. Schuld gegenüber der Kassiererin versteht sich.

Eigentlich bin ich der Ansicht, mit meiner Herangehensweise auf einem guten Weg zu sein. Daher denke ich nicht, dass ich ein Feind der Juden bin, wenn ich die israelische Regierung kritisiere. So wie die Kassiererin nichts für die Russophobie deutscher Politiker kann, sind die Menschen in Israel unschuldig an den Taten ihrer Regierung. Diese Ausgangslage sollte eigentlich geeignet sein, um sachliche Kritik an der israelischen, ja, an jeder Regierung auf der Welt äußern zu können. Wie naiv ich war! Dem ist natürlich nicht so. Kritik an der israelischen Regierung scheint grundsätzlich und kategorisch Judenhass zu bedeuten. Das ist nicht vernünftig, es ist nicht logisch, es ist zudem gefährlich, aber die Situation stellt sich genauso dar.

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Warum sollte diese politische Einordnung aber gefährlich sein? Die Antwort ist einfach. Wenn ich – oder wer auch immer – Israels Politik per se nicht kritisieren darf, erwachsen daraus für die beteiligten Politiker unendlich viele Möglichkeiten des Missbrauchs. Menschen neigen dazu, Grenzen auszutesten, schon bei Kindern beginnt dieses Spiel. Für die Entwicklung der Persönlichkeit ist es bedeutsam, beim Lernen dieser Grenzziehungen Hilfe zu bekommen. Geschieht das nicht, erziehen wir uns “kleine Monster” heran, die der Meinung sind, alles tanze nach ihrer Pfeife.

Die israelische Politik gegenüber den Palästinensern ist zutiefst kritikwürdig, da bin ich mir sicher. Das heißt nicht, dass ich Bomben über Israel abwerfen oder gar “Israel ruinieren” möchte. Es mag politische Figuren geben, die zu einer solchen feindseligen Haltung neigen, die womöglich gleich ein ganzes Volk für seine politische Führung verantwortlich machen und sogar Sportler und Musiker in ihren Hass einrahmen. Ich bin davon – das verspreche ich! – weit entfernt. Ich möchte aber das Recht in Anspruch nehmen, Kritik zu äußern, wenn ich glaube, sie ist angebracht. Mir ist klar, dass wir in einem gesellschaftlichen Klima leben, in dem dieses Recht immer schwerer zu praktizieren ist. Aber ich kann darauf, so leid es mir tut, keine Rücksicht nehmen, ich würde mich verbiegen und meine Aufrichtigkeit verlieren.

Eine Lösung des Problems zwischen Israel und Palästina habe ich nicht, es wäre auch ein Zeichen von Größenwahn, würde ich eine solche Lösung für mich beanspruchen. Und dennoch sehe ich ein Ziel. Dies wäre eine friedliche Koexistenz zwischen Palästina und Israel. Den Weg dorthin müssen andere beschreiten, er überfordert mich und übersteigt meine Kompetenzen um ein Vielfaches. Frieden oder zumindest eine friedliche Koexistenz ist aber in meinen Augen immer erstrebenswert.

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Aus meinem Wunsch nach Frieden, aus meiner Kritik am israelischen Staat, aus meinem Versuch, das Leid der Palästinenser zu sehen und zu berücksichtigen, einen Hass auf Juden zu konstruieren, ist nicht nachvollziehbar. Es ist zudem eskalierend mir gegenüber und – was das wirklich Schlimme ist – gegenüber einem Konflikt, der das exakte Gegenteil braucht, nämlich: Deeskalation und Gespräche.

Das ist die Begründung für meinen Widerspruch, wenn behauptet wird, ich sei ein Judenhasser. Es wäre schön, wenn das zur Kenntnis genommen werden könnte. Ehrlicherweise muss ich aber einräumen, dass ich nicht sehr zuversichtlich bin, was das angeht.

Wir leben in einer Zeit des Krieges, in einer Zeit, in der Friedensdemonstrationen als das Gegenteil dessen, was sie zum Ziel haben, bezeichnet werden, in einer Zeit, in der es heißt, Frieden könne es nur durch tägliche neue Tote geben, in einer Zeit, in der die Spaltung und die Ausgrenzung höchste politische Priorität haben. Das macht die Gesamtsituation wirklich nicht leichter.

Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Texter, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen.

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