Quelle: Sputnik © Konstantin Michaltchewskij Russische Soldaten auf einer selbstfahrenden Haubitze 2SZ Akatsija in Richtung Saporoschje (Dezember 2022)
Von Wladislaw Sankin
Zunächst muss festgehalten werden: Die Großoffensiven mit Frontalangriffen, bei denen die Panzer rollen und eine Schar der Infanteristen mit Kampfgeschrei in Richtung der gegnerischen Schützengräben läuft, sind längst Vergangenheit. Im heutigen Krieg in der Ukraine sind Offensiven in der Regel Vorstöße kleinerer Sturmeinheiten, unterstützt von sorgfältiger Luftaufklärung und der Artillerie. Bewaffnet mit MANPADs und Maschinengewehren kämpfen die Soldaten in der Regel in einem bereits von der Artillerie bereinigten Umfeld.
Analyse Der russisch-ukrainische Krieg: Eine Weltblutpumpe wie im Ersten Weltkrieg
Städte oder größere Siedlungen werden in der Regel zunächst umzingelt, wobei der Gegner zuerst in die sogenannte operative Einkreisung geraten muss. Das setzt voraus, mittels Artillerie die Nachschubwege unter die eigene “Feuerkontrolle” zu bringen. Bis dahin müssen die Zivilisten aus den umkämpften Zonen evakuiert werden. Geschieht dies nicht, sind sie gezwungen, für die Dauer der Kampfhandlungen in ihren Kellern auszuharren. Häufig hungern die betroffenen Menschen, sie sind einer extremen Gefahr ausgesetzt und verängstigt. Ihr Schicksal ist stark vom Verhalten der sich jeweils zurückziehenden Armee abhängig.
Nur einen Monat vor dem ersten Jahrestag des Beginns der russischen Militäroperation in der Ukraine befindet sich Russland auf mehreren Frontabschnitten in der Offensive. Zuvor hatte sich die russische Armee aus mehreren Gebieten, vor allem in den Regionen Charkow und Cherson, zurückziehen müssen. Geschuldet war dies zumeist der zahlenmäßigen Überlegenheit des Gegners, teilweise auch dessen besserer Ausstattung mit vom Westen zur Verfügung gestellten Mitteln der digitalen Aufklärung. Dies war wiederum die Folge dessen, dass Russland am Beginn der Operation keine große Eroberungsarmee, sondern überwiegend kleinere Expeditionskorps in die Ukraine geschickt hatte.
Spätestens mit dem erfolgreichen Abschluss der russischen Teilmobilisierung und der Umstellung der Industrie auf eine kriegswirtschaftliche Produktion scheint für Russland die Phase der militärischen Misserfolge vorbei zu sein. Die Front wurde auf der gesamten Linie stabilisiert, im nahen Hinterland wurden Verteidigungslinien errichtet. Die Front bekam kontinuierlich Verstärkung mit Kämpfern, Militärgerät und Munition, Aufklärungsmitteln und eine bessere Versorgung.
Der erste militärische Erfolg – die Einnahme von Soledar in der ersten Januarhälfte – ließ nicht lange auf sich warten. Derzeit kämpft Russland jedoch, abgesehen von einem kleinen Landstreifen im Gebiet Charkow, noch auf seinen neuen Territorien. Aus russischer Perspektive findet dort momentan somit die Rückeroberung statt; Kiew wiederum sieht sich im – mit Waffen und teilweise auch Personal aus dem Westen geführten – Kampf gegen Okkupanten.
Analyse Russische Armee findet Schwachstelle in der ukrainischen Verteidigung
Eine Übersicht der derzeit wichtigsten Frontabschnitte, in denen die russische Armee in der Offensive ist oder die Initiative ergreift:
Linie Artjomowsk-Sewersk
Täglich melden die Sturmeinheiten der Wagner-Gruppe die Einnahme von einem oder mehreren kleineren Vororten von Artjomowsk (Bachmut). Diese gut befestigte Stadt befindet sich nordwestlich der Großstadt Gorlowka und gilt als entscheidend, um zum Hauptquartier der ukrainischen Armee in Kramatorsk vorzustoßen.
Laut russischen Militäranalysten steht Artjomowsk nun kurz vor der operativen Einkreisung vom Süden und Norden her. In der Stadt befinden sich rund 20 Brigaden der ukrainischen Streitkräfte und ausländischen Söldner. Zwei von drei Hauptversorgungswegen für die ukrainischen Streitkräfte sind bereits unter russischer Kontrolle, gekämpft wird noch um die Straße nach Tschasow Jar. Nach Einschätzung des russischen Militärbloggers Juri Podoljaka steht in Artjomowsk in den nächsten Wochen der “Todeskampf” der ukrainischen Armee bevor. Er erläutert:
“Die komplette Umzingelung der ukrainischen Garnison in Artjomowsk, dem wichtigsten Logistikknoten im Donbass, der noch unter Kiews Kontrolle verbleibt, scheint nur noch eine Frage von Tagen zu sein.”
Ausführlicheres dazu in seinem aktuellen Video.
Gleichzeitig wird der Druck auf die von den ukrainischen Kräften noch gehaltene Stadt Sewersk im Norden der DVR immer höher. Auch hier zeichnet sich eine fortschreitende Einkreisung ab. Russischen Frontkämpfern zufolge geht den Ukrainern zugleich die Munition aus. “Der Beschuss von der ukrainischen Seite her wird immer weniger, sie gerät zunehmend in Abwehrkämpfe”, berichten russische Soldaten.
Ugledar
Laut dem Militäranalysten und Feldkommandeur der Spezialeinheit “Wostok”, Alexander Chodakowsi, findet derzeit eine Offensive in Richtung der Stadt Ugledar im Südwesten der Donezker Volksrepublik statt. Ziel ist auch dort, die Stadt zu umzingeln. Der Vorstoß sei “befohlen” betonte er in einem Bericht am Dienstag.
“Unsere Truppen haben den strikten Befehl erhalten, nach Westen zu ziehen, und dieser Befehl wird auch ausgeführt. Die feindliche Verteidigung wurde in mehreren Gebieten unter Druck gesetzt, und wir kämpfen darum, Ugledar einzukesseln. Die Erfahrungen aus den bisherigen Kämpfen wurden berücksichtigt – das Kommando sieht daher keinen Grund, den Ort frontal anzugreifen.”
Meinung Der Westen liefert nicht Panzer, sondern Illusionen
Die Informationen wurden inzwischen von einer Reihe russischer Militärberichterstatter bestätigt. Demnach geraten die ukrainischen Positionen im Stadtgebiet immer stärker unter Artilleriebeschuss. Die Ukrainer würden aus einer Hochhaussiedlung der Stadt vertrieben, die Kämpfe finden bereits im Stadtgebiet statt. Laut dem Portal Readovka sind Marinesoldaten der Pazifikflotte und mehrere weitere hochprofessionelle Sturmeinheiten an der Rückeroberung der Stadt beteiligt. Massiv zum Einsatz komme die russische Artillerie, insbesondere der thermobare Raketenwerfer “Solnzepjok”.
Feldkommandeur Chodakowski, dessen Einheiten an den Kämpfen beteiligt sind, erklärte, das Tempo der Offensive habe infolge einer Umgruppierung der feindlichen Kräfte im Laufe des Vormittags nachgelassen. Dennoch sei der Gegner auf dem Rückzug.
“In einigen Abschnitten wurde der Feind aus der ersten Linie herausgeschlagen und zog sich hinter die befestigten unterirdischen Verbindungswege in den Kohleminen fast bis nach Ugledar zurück. Es steht harte Arbeit bevor.”
Der Militäranalyst Podoljaka sieht in dem Schlag auf Ugledar die Absicht der russischen Militärführung, die gegnerischen Kräfte westlich von Donezk aufzusplittern und die Front damit um dutzende Kilometer von der Gebietshauptstadt abzudrängen. Ziel sei letztlich die Schwächung der Stellungen um Awdejewka, einer weiteren massiv befestigten Stadt nördlich von Donezk. Die dortigen Feuerstellungen sind berühmt-berüchtigt dafür, die zivilen Stadtviertel von Donezk massiv unter Beschuss zu nehmen.
Karte zum Frontgeschehen vom Dnjepr im Gebiet Saporoschje bis Awdejewka bei Donezk Juri Podoljaka, RT-bearbeitet
Saporoschje
An diesem großen Frontabschnitt im Süden gelangen den russischen Truppen kleinere Vorstöße. Sie brachten mehrere Orte unter ihre Kontrolle. Dies erwähnte auch das russische Verteidigungsministerium in seinem Bericht am Mittwoch.
“Die russischen Truppen der Gruppe Wostok nahmen bei den Offensiven günstigere Positionen in Richtung Saporoschje ein.”
RIA Nowosti dokumentierte mit einem Drohnenvideo die verlassenen ukrainischen Schützengräben im Dorf Kamenskoje.
Weitere Details lieferte eine Analyse des Portals Ukraina.ru. Die befragten Militärexperten gaben zu bedenken, dass die ukrainische Militärführung mehrere kampferprobte Brigaden von dem Teil der Front, an welchem Russland zuvor eine ukrainische Offensive auf Berdjansk und Melitopol erwartet hatte, nach Artjomowsk abgezogen habe, um die “Donbass-Festung” zu verteidigen.
“Unter Ausnutzung dieser günstigen Situation führten die russischen Einheiten Aufklärungsmaßnahmen in Richtung Saporoschje durch und fanden mehrere Schwachstellen. Zunächst schlugen sie dort mit Artillerie zu, dann mit gepanzerten Fahrzeugen, unterstützt von Infanterie. In der Folge durchbrachen sie die erste Verteidigungslinie und rückten sieben Kilometer vor.”
Nach weiteren Durchbrüchen der Verteidigungslinien im gesamten Frontabschnitt sei damit zu rechnen, dass sich die ukrainische Armee aus der Steppe zurückzieht und in den großen Städten verschanzen muss, so die Analyse weiter. Sollte es dazu kommen, würde der Ukraine-Krieg in eine neue Phase eintreten.
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