Was die Krise in der Ukraine für Eurasien bedeutet
Eine größere geopolitische Krise zwischen Russland und dem Westen aufgrund der russischen Sonderoperation in der Ukraine wird sich unweigerlich auf die regionalen Prozesse in Eurasien auswirken. Experten erwarten, dass sich die Konfrontation zwischen dem kollektiven Westen und Russland verschärfen werde, während China und andere Akteure ihre Präsenz in der Region noch verstärken wollen. Zu diesem Schluss kommen Experten des Russischen Rates für Internationale Angelegenheiten, des Instituts für den Fernen Osten der Russischen Akademie der Wissenschaften und der chinesischen Fudan-Universität in ihrem Jahresbericht “Russisch-Chinesischer Dialog”, der am 9. Juni veröffentlicht wurde.
Der Beginn von Russlands militärischer Sonderoperation in der Ukraine und das anschließende Verhängen vielfältiger Sanktionen gegen Moskau haben die Möglichkeiten und Konturen der Zusammenarbeit in Eurasien, zu dem die Autoren insbesondere auch Tadschikistan, Usbekistan, Kirgisistan, Kasachstan, Aserbaidschan, Armenien sowie Weißrussland und Georgien zählen, erheblich verändert. Für diese Länder birgt das neue geopolitische Umfeld sowohl Risiken als auch Chancen. In dem Bericht heißt es:
“Aus Angst vor sekundären Sanktionen werden die Länder des Kontinents zwischen der eurasischen Integration und anderen Partnerschaften abwägen. Die gegen Moskau verhängten Sanktionen können die Interaktion innerhalb der Eurasischen Wirtschaftsunion in gewisser Weise stärken, gleichzeitig schränken sie jedoch die Möglichkeiten zur Entwicklung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit ein.”
Die Umsetzung der Großen Eurasischen Partnerschaft wie auch die der chinesischen Initiative “Neue Seidenstraße” werden fortgesetzt, und eine darauf abgestimmte Zusammenarbeit könnte dazu beitragen, den Druck von außen zu mindern. Auch auf politischer Ebene wird über diese Möglichkeiten gesprochen – so wurden auf dem Gipfel der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) Ende Mai in Bischkek Wege für eine entsprechende Entwicklung der Integration erörtert.
Wie sich die Strategien der wichtigsten Akteure ändern werden
Vor der Krise verfolgten die großen Akteure unterschiedliche Strategien, so die Experten. China verfolgte eine abwartende Haltung, die USA zogen sich allmählich aus der Region zurück, während Russland aktive Maßnahmen ergriff, um seine strategische Position und Führung im postsowjetischen Raum zu stärken.
Bei der Entwicklung der Beziehungen zur Europäischen Union strebten die eurasischen Staaten danach, den Einfluss Russlands und Chinas auf bilateraler Basis auszugleichen, was auch für China vorteilhaft war. Moskau versuchte sogar ebenfalls, die Idee des Dialogs zwischen der EU und der EAWU weiter zu fördern, was nach Ansicht russischer Experten geopolitisch durch den Wunsch erklärt werden kann, ein Gegengewicht zum Einfluss Chinas in der Region zu schaffen. So stellte der EU-Investitionsfonds für Zentralasien seit 2010 Mittel für EU-Projekte in den Bereichen Umwelt, Energie und soziale Infrastruktur in der Region bereit, während die EU als Alternative zur chinesischen Initiative “Neue Seidenstraße” das “Globale Tor” geschaffen hat, mit dem im Zeitraum von 2021 bis 2027 Projekte in den EU-Partnerländern in Höhe von 300 Milliarden Euro finanziert werden sollen.