Quelle: AFP © Odd Andersen NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg (L) schüttelt dem finnischen Präsidenten Sauli Niinistö bei seiner Ankunft zum NATO-Gipfel in Vilnius, Litauen, am 11. Juli 2023 die Hand.
Von Alex Männer
Nach fast zwei Jahren der hohen Energiepreise sowie der Inflation, die bereits 2022 ihren Anfang nahmen und seitdem beide hin und wieder ansteigen, war Europa im Verlauf dieses Jahres endgültig in einer gefährlichen Wirtschaftskrise gelandet. Sorgen bereitet dabei in erster Linie der Industriesektor, der in den vergangenen zwei Jahren sichtlich geschrumpft ist.
Dieser wirtschaftliche Negativtrend ist in hohem Maße auf die antirussische Sanktionspolitik des Westens, insbesondere auch der Europäischen Union zurückzuführen, die russischen Angaben zufolge inzwischen mehr als 18.000 Einzelsanktionen gegen Russlands Unternehmen und Bürger erlassen haben und einen regelrechten Wirtschaftskrieg gegen Moskau führen würden.
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Spürbar werden die Folgen der Konfrontation mit Russland vor allem in Deutschland, wo infolge der Abkehr von den preiswerten russischen Energieträgern unlängst die knallharte Quittung bekam: Deutschland als der einstige Wirtschaftsmotor der EU wird dieses Jahr wegen der anhaltenden Rezession erstmals seit 1993 mit einem “negativen Wirtschaftswachstum” abschließen.
Finnland setzt nun auch auf Konfrontation
Eine andere europäische Top-Wirtschaftsnation, die das gleiche Schicksal erleidet, ist Finnland. Dieses EU-Land hatte angesichts der dramatischen Eskalation im Ukraine-Konflikt 2022 seine Russlandpolitik ebenfalls revidiert und seine viel Jahrzehnte lang stabilen sowie im Grunde freundschaftlichen Beziehungen zu Moskau zugunsten einer Konfrontation über Bord geworfen.
In der Sicherheitspolitik hatte Finnland, das im Osten auf einer Länge von 1.300 Kilometern an Russland grenzt, seine ebenfalls jahrzehntelange militärische Neutralität aufgegeben und ist in diesem Jahr dem NATO-Bündnis beigetreten. Kürzlich schlossen die Finnen mit den Vereinigten Staaten von Amerika sogar ein Abkommen, wonach das US-Militär künftig Zugang zu 15 militärischen Stützpunkten und Übungsgebieten in dem nordeuropäischen Land gewährt werden soll.
Im Wirtschaftsbereich hatte Finnland die bestehenden Kontakte mit Russland ab dem Jahr 2022 weitgehend eingeschränkt – stattdessen hat man sich der westlichen Sanktionspolitik angeschlossen und seitdem fast alle Strafmaßnahmen gegen Moskau mitgetragen. Zum Beispiel betrifft das die Sperrung des europäischen Luftraums für russische Fluggesellschaften, was – insbesondere aus finnischer Sicht – eine sehr schmerzhafte Gegenreaktion der Russen nach sich zog. Russland hat nämlich im Gegenzug seinen Luftraum für Fluggesellschaften aus den USA und der EU geschlossen, was zu einer erheblich längeren Flugdauer nach Asien sowie damit auch zum erheblichen Anstieg der Treibstoffkosten sowohl für finnische als auch andere Fluggesellschaften führte.
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Davon besonders betroffen ist Finnlands staatliche Fluggesellschaft Finnair, die jahrelang ein Drehkreuz in Helsinki aufgebaut hatte, um Nordasien mit Europa und den USA durch Flüge über Russland zu verbinden. Wegen der russischen Gegenmaßnahmen, die von Finnair das Umfliegen des flächengrößten Landes der Welt erfordern, verlängerte sich nun die Dauer der Flüge nach Asien um bis zu 40 Prozent. Die erhöhten Mehrkosten machen das Projekt von Finnair weniger rentabel, wovon die arabischen Konkurrenten wie die Fluggesellschaften Emirates oder Qatar Airways profitieren. Diese haben von jeglichen Sanktionen gegen Russland abgesehen und dürfen den russischen Luftraum daher weiterhin nutzen.
Es folgte auch in Finnland die Abkehr von den russischen Gasimporten, nachdem sich Helsinki weigerte, die Zahlungen für Gaslieferungen via Pipeline aus Russland in Rubel und nicht mehr in Euro abzuwickeln. Das hatte Moskau zuvor notgedrungen von seinen finnischen Partnern als Reaktion auf die westlichen Finanzsanktionen gefordert.
Im November hatte die finnische Regierung sogar sämtliche Grenzübergänge nach Russland geschlossen – wegen angeblich von russischer Seite organisierter Masseneinwanderung von Migranten aus Drittstaaten über die finnische Grenze. Darunter leidet Finnlands Tourismusbranche, der nun die kaufstarken russischen Urlauber fehlen.
Wirtschaftskrise als Folge
Grundsätzlich ist anzumerken, dass Finnland von dem Russland-Handel in der Vergangenheit enorm profitierte. Noch vor dem Ukraine-Krieg haben mehr als 2.000 finnische Unternehmen Waren nach Russland exportiert, wobei diese Ausfuhren mehr als zehn Prozent des finnischen Außenhandels ausmachten.
Die Export- und Importbeschränkungen hat Finnland im Rahmen seiner Sanktionspolitik deshalb bereits schmerzvoll zu spüren bekommen. So musste das Land seine Volkswirtschaft an die neue Situation anpassen, was unter anderem zum Rückgang bei der Produktion oder in der Dienstleistungsbranche und folglich zum Verlust von Arbeitsplätzen führte.
Die Zahlen jedenfalls sprechen hierbei eine klare Sprache: Die finnische Wirtschaft war in den ersten drei Quartalen 2023 rückläufig und soll in diesem Jahr laut Prognosen der Bank of Finland insgesamt um 0,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr schrumpfen. Die Rezession werde sich vermutlich auch im kommenden Jahr fortsetzen. Ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts wird erst in den Jahren 2025 und 2026 erwartet.
Die Zahl der Aufträge in der Industrie hat nach vorläufigen Angaben des finnischen Statistikamtes in den ersten neun Monaten dieses Jahres ebenfalls stark abgenommen. Zwischen Januar und Oktober 2023 gingen die Aufträge im Jahresvergleich um mehr als elf Prozent zurück. Im Oktober betrug dieser Rückgang laut dem Branchenportal Teknologiateollisuus sogar 16 Prozent.
Dagegen nehmen die Unternehmensinsolvenzen deutlich zu. Diesbezüglich verzeichnete die finnische Inkassobehörde Suomen Asiakastieto Medien zufolge Anfang Dezember eine Rekordzahl von insolventen Unternehmen im Land. Demnach wurden innerhalb einer Woche 85 Unternehmen in Finnland als insolvent gemeldet. Besonders soll die Baubranche davon betroffen sein.
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Nicht besser sieht die Lage in der finnischen Papierindustrie aus. Dieser Sektor erleidet derzeit die vermutlich größte Krise in seiner Geschichte – was übrigens bezeichnend ist für das Fiasko der finnischen Sanktionen gegen Russland und zudem auch ein exzellentes Beispiel dafür, dass diese Strafmaßnahmen wie so oft ein zweischneidiges Schwert sind.
Diesbezüglich hatte etwa die EU im April 2022 das bestehende Exportverbot für europäische Waren nach Russland auf Papier und Druckmaschinen ausgeweitet. Finnland hat dieses Lieferverbot umgehend durchgesetzt und seine Ausfuhren von Papierprodukten und Bleichmitteln nach Osten eingestellt. Allerdings konnte Russland den Großteil dieser Waren schon nach wenigen Monaten unter anderem durch Eigenproduktion ersetzen, so dass die finnischen Papierproduzenten am Ende ohne diesen für sie bislang wichtigen Absatzmarkt und damit auch ohne die Exporterlöse blieben.
Infolgedessen wurde die Produktion in Finnland mancherorts bereits zurückgefahren: Ende November musste der finnische Forstkonzern und Europas zweitgrößter Papierhersteller Stora Enso, der sich im vergangenen Jahr vom russischen Markt verabschiedet hatte, die Papiermaschine im Werk Anjalankoski im Süden des Landes nach 40 Jahren Produktion stilllegen, berichtete das Branchenportal EUWID Papier und Zellstoff .
Wie ein russisches Portal berichtete, sollen in der Fabrik seit 1983 mehr als acht Millionen Tonnen Papier hergestellt worden sein. Nach dem Produktionsstopp in Anjalankoski sei auch die jährliche Gesamtproduktion von gedrucktem Papier in Finnland von 435.000 Tonnen auf 250.000 Tonnen gesunken. Die Entscheidung, die Papierherstellung zu kürzen, begründete man bei Stora Enso mit der sinkenden Nachfrage nach dessen Papierprodukten, den hohen Produktionskosten sowie dem Defizit auf dem Holzmarkt. Der neue Produktionsumfang soll nun die Kosten senken und Wettbewerbsfähigkeit steigern, heißt es.
Zuvor hatte der Konzern laut EUWID Papier und Zellstoff außerdem angekündigt, zwei weitere Produktionsstätten zu schließen: die Zellstoffproduktion im finnischen Sunila und das Sägewerk in Näpi (Rakvere Parish) im Norden Estlands. Damit könnten mehr als tausend Arbeitsplätze verloren gehen, warnen Analysten.
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