“Floskelwolke” ist ein 2014 gegründetes Webprojekt. Im entsprechenden Wikipedia-Eintrag heißt es dazu, dass das Projekt “der Journalisten Sebastian Pertsch und Udo Stiehl Floskeln, Phrasen und Formulierungen in deutschsprachigen Nachrichtentexten kritisiert und ihre Häufigkeit in Medien täglich analysiert”. Ein “Algorithmus” sei den Machern dabei behilflich, aus “täglich 2000 Medienseiten aus Deutschland, der Schweiz und Österreich Gemeinsamkeiten mit der Datenbank der Floskelwolke” abzugleichen.
Nun wurde also die “Floskel des Jahres 2022” vermeintlich herausgefiltert und mit kalkuliertem Effekt der Deutschen Presse-Agentur (dpa) übermittelt. Diese bastelte am frühen Neujahrstag einen entsprechenden längeren Artikel, der wiederum mit einer “Sperrfrist zum 1. Januar, 12:00 Uhr” versehen wurde. Die Top 5 der “Floskelwolke” lauten demnach:
🏆 #FloskelDesJahres 2022 🏆Platz 1: #FreiheitPlatz 2: #SozialtourismusPlatz 3: #technologieoffenPlatz 4: #KlimakleberPlatz 5: #DoppelWummsDie Begründungen zu den einzelnen Begriffen und die Details zum Negativpreis der @Floskelwolke finden Sie im nachfolgenden Thread. ↓ pic.twitter.com/Zv15Cl9nnJ
Bevor ein Blick auf die erkenntnisreichen Begründungen der “Floskel-Flüsterer” geworfen wird, zeigt die erwünschte Berichterstattung des Webprojekts, der beabsichtigte inhaltlich breite Streueffekt, aufschlussreiche manipulative Unterlassungen. Um 12:56 Uhr startete n-tv den Inforeigen: “Ranking von Sprachkritikern – ‘Freiheit’ ist ‘Floskel des Jahres'”. Dann titelte das ZDF mit der Überschrift: “Negativpreis von Sprachkritikern” (13:37 Uhr). Es folgte t-online um 13:41 Uhr mit: “Negativpreis veröffentlicht – Das sind die ‘Floskeln des Jahres 2022′”. Des Weiteren mit variablen, aber annähernd gleichlautenden Überschriften der Deutschlandfunk, die Berliner Zeitung und das Magazin Der Spiegel. Um 15:55 Uhr hieß es in einem Tagesschau-Artikel:
“Negativpreis: ‘Freiheit’ zur Floskel des Jahres gekürt”
Das potenzielle Zielpublikum des ARD-Info-Kommandoschiffes verinnerlicht in einem ersten spontanen Gedanken also: Freiheit = Floskel = negativ. Eine “sprach- und medienkritische Initiative” habe den Begriff gekürt, erfährt der Leser weiter. In der Formulierung der “Floskelwolke”/dpa-Stichwortvorgabe heißt es dann:
“Auf dem ersten Platz steht bei dem Negativpreis diesmal das Wort ‘Freiheit’. Die Sprachkritiker betonen, dass sie mit dieser Wahl nicht das Wort an sich aufspießen – sondern das Schindluder, das damit getrieben wird. Die Begründung: ‘Wir beobachten, wie sich ein zunehmend aggressiver Umgang miteinander in der Gesellschaft in der Sprache widerspiegelt.'”