Meinung “Wie konnte es nur dazu kommen?” – Enthemmter Überlegenheitsglaube ermöglichte Auschwitz
Nicht besser waren die Zustände bei der Verpflegung der Gefangenen. Laut Kerpert war die Versorgung des Lagers mit Lebensmitteln bereits vor der Einkesselung der 6. Armee bei Stalingrad unzureichend und endete nach dem 5. Dezember 1942 ganz. Seitdem bestand die Ration der Insassen aus etwa einem Liter Brühe pro Tag, die aus verendeten Pferden gekocht wurde. Krupatschenko wurde Zeuge mehrerer Fälle von Kannibalismus. Meder vermutete indessen bei seinem Verhör, dass trotz der Einkesselung eine Reduzierung der Rationen der deutschen Soldaten “um ein bis zwei Gramm” eine Verpflegung der russischen Gefangenen möglich gemacht hätte.
Die unmenschlichen Bedingungen forderten eine massive Anzahl Todesopfer, in allen Verhörprotokollen erscheinen Aussagen von Dutzenden Toten pro Tag. Aufgrund der nicht erfolgten Registrierung der Gefangenen lassen sich die Opferzahlen kaum präzisieren. So sprach Kerpert von etwa 2.000 Hungertoten, Meder von etwa 3.000, während Krupatschenko angab, dass von den ursprünglich 5.000 Insassen zum Zeitpunkt der Befreiung des Lagers nur noch 800 am Leben waren.
Um die “Ordnung” im Lager aufrechtzuerhalten und Gedränge während der Essensausgabe zu verhindern, wurden Hunde auf die Gefangenen gehetzt, was Kerpert und Meder bestätigten. Der ehemalige Insasse Alexejew beschrieb solche Fälle:
“Das deutsche Kommando hetzte die Kriegsgefangenen mit Schäferhunden. Die Hunde warfen die erschöpften Gefangenen zu Boden und zerrten sie über den Schnee, während die Deutschen dastanden und lachten.”
Alle Angeklagten und Zeugen gaben außerdem übereinstimmend an, dass die Gefangenen zur Zwangsarbeit eingesetzt wurden. Diejenigen, die wegen Erschöpfung nicht mehr arbeiten konnten, wurden willkürlich zusammengeschlagen oder erschossen. Meder erklärte bei seinem Verhör:
“Von Beruf bin ich Jurist und verstehe gut, dass es illegale Erschießungen waren, einfacher gesagt – Morde. Doch ich habe bereits gesagt, dass Kriegsgefangene in deutschen Lagern nicht so wie in anderen Ländern behandelt werden.”
Auch andere Archivakten zeigen, dass die beschriebenen Grausamkeiten keine Einzelfälle darstellten. So berichtete der Abwehroffizier Langheld bei seinem Verhör von ähnlichen Zuständen in Gefangenenlagern bei Kiew, Charkow, Poltawa und Rossosch. Bemerkenswerterweise gaben die Verwaltungsangehörigen von Dulag-205 an, dass sie während ihrer Ausbildung mit den Bestimmungen der Genfer Konvention vertraut gemacht worden waren.
Die sowjetische Militärjustiz befand die Lagerverwaltung von Dulag-205 für schuldig. In dem vom FSB veröffentlichten Urteil des Tribunals der 3. Baltischen Front hieß es dazu:
“Die verbrecherischen Taten aller Angeklagten haben in ihrer Gesamtheit unmenschliche Bedingungen im Lager geschaffen, in deren Folge über 3.000 sowjetische Kriegsgefangene an Hunger, körperlicher Gewalt und durch Erschießungen starben.”
Am 10. Oktober 1944 wurden der Kommandant des Dulags-205, Oberst Rudolf Kempert, seine Stellvertreter Hauptmann Karl Frister und Hauptmann Fritz Müsentin, der Adjutand des Lagerkommandanten, Oberleutnant Otto Meder, und der Leiter der Arbeitsverteilungsgruppe des Lagers, Hauptmann Kurt Wohlfahrt, sowie der Leiter der Baugruppe des Lagers, Hauptmann Richard Seydlitz, zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde am 13. Oktober 1944 vollstreckt.
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